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MELDUNG/508: David Haye hält bestellten Ringrichter für befangen (SB)



Nachvollziehbare Bedenken gemischt mit Psychokrieg

David Haye läßt sich die Gelegenheit nicht entgehen, im Vorfeld seines Duells mit Wladimir Klitschko am 2. Juli in Hamburg den Blätterwald zum Rauschen zu bringen und zugleich die Ausgangsbedingungen zu seinen Gunsten zu verschieben. Der WBA-Weltmeister im Schwergewicht hat gegen die Bestellung von Ringrichter Genaro Rodriguez Protest eingelegt. Der Referee aus Chicago könnte befangen sein, da er in der Vergangenheit bereits vier Klitschko-Kämpfe geleitet hat, führt das Team des Briten zur Begründung an.

Daß die Vorgehensweise des Ringrichters den Kampfverlauf unter Umständen maßgeblich beeinflussen kann, steht außer Frage. Duldet er beispielsweise unsaubere Manöver wie Festhalten, Klammern oder Abstützen auf dem Gegner, steht zu befürchten, daß er einen der beiden Boxer, der sich vermehrt solcher Praktiken bedient, massiv bevorteilt. Gleiches gilt für nicht geahndete Kopfstöße, die Rißwunden hervorrufen können und in der Konsequenz zum Abbruch des Kampfs führen. Die Liste ließe sich mit nicht sanktionierten Tiefschlägen, Treffern am Hinterkopf, zu tiefem Abtauchen und anderen Regelwidrigkeiten beliebig fortsetzen.

Nun stellt sich allerdings die Frage, ob der von Haye beanstandete Genaro Rodriguez tatsächlich unter die Kategorie eines Ringrichters fällt, der Wladimir Klitschko mit hoher Wahrscheinlichkeit bevorteilen würde. Beim ersten Kampf des Ukrainers unter Leitung des Referees aus Chicago waren einige Unsauberkeiten im Infight zu beobachten, die jedoch nicht den Ausschlag für die Niederlage Derrick Jeffersons in der zweiten Runde gaben. Später waltete Rodriguez bei Klitschkos Sieg gegen Francois Botha durch technischen K.o. in der achten Runde seines Amtes. Im Kampf gegen Eddie Chambers lehnte sich der Ukrainer anfangs wiederholt auf den Amerikaner, was diesen zu einer Ringereinlage in der zweiten Runde inspirierte. Andererseits stand Rodriguez auch bei der Niederlage Wladimir Klitschkos gegen Corrie Sanders im Ring, als der entzauberte Champion viermal zu Boden ging.

Dieser Bilanz sind folglich keine eindeutigen Hinweise zu entnehmen, daß Klitschko bei Rodriguez einen regelrechten Stein im Brett hätte. Was also könnte David Haye befürchten? Wladimir Klitschko neigt dazu, sich den Gegner mit seinem Jab vom Leib zu halten und sofort zu klammern, wenn ihm der Kontrahent dennoch zu nahe kommt. Haye als deutlich kleinerer Boxer hat folglich Grund zur Annahme, daß ihn der Ukrainer auf diese Weise neutralisieren könnte, sofern der Ringrichter das Festhalten zuläßt.

Bekannt ist andererseits auch, daß sich Genaro Rodriguez nach mehreren Niederschlägen in derselben Runde schützend vor den getroffenen Boxer zu stellten pflegt, auch wenn dieser wieder auf die Beine kommt, wie es beispielsweise bei Lamon Brewster gegen Andrzej Golota oder Marco Huck gegen Matt Godfrey der Fall war. Das ist eine sinnvolle und angemessene Maßnahme zum Schutz eines schwer angeschlagenen Boxers, dem in diesem Zustand gravierende gesundheitliche Gefahren drohen, da seine Abwehr- und Kompensationsreflexe erheblich eingeschränkt sind. Offenbar befürchtet Haye jedoch nicht zuletzt, von Klitschko getroffen und in der Folge zu schnell aus dem Kampf genommen zu werden.

David Hayes jüngste Einwände haben mithin durchaus einen nachvollziehbaren Kern, ohne daß man sich deshalb seiner Auffassung anschließen müßte, das Lager Klitschkos wolle ihn mit manipulativen Mitteln schon auf dem Vorwege über den Tisch ziehen. Für beide Seiten steht in diesem Kampf, der als das attraktivste und hochkarätigste Schwergewichtsduell seit Jahren angekündigt wird, außerordentlich viel auf dem Spiel. Wladimir Klitschko will den Triumpf vollenden und auch den vierten maßgeblichen Gürtel in Familienbesitz überführen, womit der langgehegte sportliche Traum des ukrainischen Brüderpaars Wirklichkeit würde. David Haye winkt der Ruhm, den Nimbus der Klitschkos zu brechen, Boxgeschichte zu schreiben und wie erhofft auf dem Höhepunkt seiner Karriere abzutreten, um womöglich als Actionheld in der Filmbranche seine Meriten zu versilbern. Daß beide Seiten nichts unversucht lassen, an den Stellschrauben der Konditionen ihres Kampfs zu drehen, kann unter diesen Umständen nicht überraschen.

25. Juni 2011