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MELDUNG/419: Golowkins Promoter drängt auf Titelkampf mit Sturm (SB)



Oleg Hermann preist seinen Boxer als erste Wahl an

Die World Boxing Association (WBA) führt den Kölner Felix Sturm als Superchampion und den Kasachen Gennadi Golowkin als regulären Weltmeister im Mittelgewicht. Diese Diversifizierung der Titel dient dem Zweck, die Konstellation an der Spitze künstlich aufzuwerten, um die Vermarktungsmöglichkeiten zu steigern, ohne daß ein Äquivalent an zusätzlicher substantieller Qualität vorhanden wäre. Wenngleich man sich grundsätzlich darüber streiten kann, ob ein Boxweltmeister tatsächlich für sich in Anspruch nehmen darf, der Beste seiner Gewichtsklasse zu sein, entsprach das klassische Prinzip eines "wahren" Champions pro Limit noch am ehesten einem real vorhandenen Können in Relation zu dem Vermögen anderer Boxer. Leistet man sich jedoch neben dem regulären Weltmeister noch einen Superchampion und einen Interimsweltmeister, kommt es zu einer vollends fiktiven Wertsteigerung.

Schon das Konzept des Weltmeisters im herkömmlichen Sinn gaukelte dem Publikum vor, es handle sich um jenen Boxer, der alle anderen in seiner Gewichtsklasse besiegen könne. Berücksichtigt man jedoch, welch tatkräftiger Einflußnahme von Managern und Promotern es bedarf, um ein Talent durch sorgsame Wahl der Gegner und Lobbyarbeit bei den Verbänden nach oben zu schleusen, erweist sich die Karriere eines Boxers eher als Ausdruck gebündelter Verwertungsinteressen, die sich zu Lasten ebensolcher Bestrebungen der Konkurrenz durchsetzen und nur zu einem Bruchteil mit dem Können im Ring zu tun haben.

Hinzu kommen gesellschaftliche Faktoren wie insbesondere die Sportförderung und Nachwuchsarbeit, die maßgeblich über das Wohl und Wehe ganzer Disziplinen entscheiden. Auch kann die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen und zugewandten Trainer den Ausschlag geben, ob ein Boxer den sportlichen Gipfel erklimmt oder vorzeitig an bestimmten Schwächen und Unzulänglichkeiten scheitert. Im Weltmeister den anerkannt besten Boxer zu sehen, abstrahiert mithin von diversen konstituierenden Umständen und Impulsen, die in Betracht zu ziehen man sich geflissentlich enthält. Um dem Champion zuzujubeln, bedarf es eines Kinderglaubens, daß er der Allerstärkste sei. Das kann man als liebenswerte Neigung schätzen oder als selbstgewählte Beschränkung kritisieren.

Anzumerken bleibt indessen, daß die Diversifizierung der Titel mit eben diesem Prinzip des "wahren" Champions, das man als Kernstück des Publikumssports Boxen bezeichnen könnte, auf entufernde Weise bricht. Die Akteure werden ja nicht dadurch besser, daß man sie wie in einem neofeudalen Hofstaat mit Ehrentiteln bedenkt, statt sie wie vordem üblich in der prosaischen Rangliste in Schlange aufzureihen. Für eine gewisse Frist werden sich die Zuschauer davon blenden lassen und dem totgesagten Boxsport zu einer neuen Scheinblüte verhelfen. Unter dem Strich handelt es sich jedoch um einen Konzentrationsprozeß zugunsten einer schrumpfenden Zahl populärer Stars, der über den gravierenden Substanzverlust des Boxsports nicht dauerhaft hinwegtäuschen können.

Um nun auf Felix Sturm und Gennadi Golowkin zurückzukommen, so gilt der Kasache bereits seit einem Jahr als Pflichtherausforderer des Kölners, ohne daß dies Konsequenzen gehabt hätte. Golowkins rühriger Promoter Oleg Hermann hat gerade einen neuen Anlauf genommen, um Sturms Manager Roland Bebak zu Verhandlungen über einen Kampf zu bewegen. Der Superchampion vermarktet sich bekanntlich wie die Klitschkos in Eigenregie und wägt daher sorgsam ab, wenn er sich als Gegner in den Ring holt. Wie Hermann zutreffend anführt, habe Sturm offenbar Schwierigkeiten, einen passenden Gegner für den im Juni geplanten Kampf zu finden.

Einen weiteren Giovanni Lorenzo oder Ronald Hearns zu rekrutieren, werde sich wohl machen lassen, spielt Golowkins Promoter auf den gegen Sturm erhobenen Einwand an, dieser suche sich allzu paßförmige Kontrahenten aus. Diese Praxis fortzusetzen, verwirft Hermann jedoch als lächerlich, worauf er Sturms Anfrage bei Exweltmeister Kelly Pavlik in der Luft zerreißt. Der US-Amerikaner komme gerade aus der Entzugsklinik und habe seit einem Jahr nicht mehr gekämpft. Pavlik sei zwar ein großer Boxer, doch brauche er noch Zeit, um wieder seinen früheren Stand zu erreichen. Daher sei gegenwärtig ein Kampf gegen ihn witzlos.

Natürlich ist klar, daß Oleg Hermann mit seiner Argumentation darauf zusteuert, seinen Schützling Golowkin als einzig gehaltvolle Option anzupreisen. Gennadi stehe bereit, werde von den Boxfans gewünscht und sei die entscheidende Hürde für Sturm, der sich nicht als legitimer Champion ausgeben könne, solange er diesem Gegner aus dem Weg gehe. Lege Sturm so großen Wert auf den Weltmeistergürtel der WBA, müsse er ihn erst einmal im Kampf mit Golowkin gewinnen. Sollte er auch nur ein wenig Stolz haben, müsse er sich endlich seinem Pflichtherausforderer stellen, da er andernfalls als ein Boxer in die Geschichte eingehen werde, der stets weggelaufen sei.

Mit diesen Worten, die Sturm zu einer Replik provozieren sollen, hofft Oleg Hermann seinen Boxer Gennadi Golowkin in den Augen des Publikums zur ersten Wahl des Superchampions aufzuwerten. Das dürfte freilich schwieriger denn je geworden sein, wuchert das inflationäre Sammelsurium der Titel und Regularien doch längst zu einem schier undurchdringlichen Gestrüpp, das zu entwirren sich kaum noch jemand in der Lage sieht.

17. März 2011