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SCHULE/497: Mädchen können besser lesen, Jungen besser rechnen? So einfach ist es nicht! (idw)


Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung - 27.03.2017

Mädchen können besser lesen, Jungen besser rechnen? So einfach ist es nicht!


Forscherinnen und Forscher des DIPF haben herausgefunden, dass der Einfluss des Geschlechts auf die Leistungen von Schulkindern je nach sozialer Herkunft unterschiedlich ausfällt. Verallgemeinernde Aussagen über den Bildungserfolg DER Jungen oder DER Mädchen greifen also zu kurz, da deren Leistungsunterschiede sozial bedingt variieren.

Jungen bleiben häufiger sitzen und machen seltener Abitur. Mädchen zeigen wiederum schlechtere Schulleistungen in Mathematik. Das geht aus aktuellen Daten hervor, etwa vom Statistischen Bundesamt oder aus der PISA-Studie. Die Kennzahlen scheinen eine deutliche Sprache zu sprechen, weswegen in der öffentlichen Diskussion oft ein schnelles Urteil gefällt wird: Von den "Jungen als Bildungsverlierern" oder davon, dass Mathematik "kein Mädchenfach" sei, ist immer wieder die Rede. "Dabei wird jedoch übersehen, dass Jungen und Mädchen keine homogenen sozialen Gruppen sind", gibt Josefine Lühe zu bedenken. In einer Studie hat die Bildungsforscherin gemeinsam mit weiteren Wissenschaftlern des Deutschen Instituts für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) herausgefunden, dass sich der Einfluss der Geschlechtszugehörigkeit auf die Schulleistungen je nach sozialem Hintergrund unterscheidet. Sie empfiehlt daher, mit generalisierenden Aussagen zum Bildungserfolg nur aufgrund des Geschlechts vorsichtig zu sein.

Über die wechselseitige Wirkung von sozialem Hintergrund und Geschlechtszugehörigkeit auf die Schulleistungen ist bislang nur wenig systematisches Wissen vorhanden. An diese Forschungslücke knüpfen Lühe und ihre Kollegen Dr. Michael Becker, Dr. Marko Neumann und Professor Dr. Kai Maaz an. Sie untersuchten Daten zu 3935 Schülerinnen und Schülern aus der sechsten Klasse von knapp 90 öffentlichen Berliner Grundschulen. Die Daten waren im Rahmen der BERLIN-Studie, der langjährigen Begleituntersuchung der Berliner Schulstrukturreform, erhoben worden. Die Forscherinnen und Forscher konzentrierten sich auf die Ergebnisse von Leistungstests in Lesen, Mathematik und Englisch sowie auf die Angaben der Eltern zu ihrem sozio-ökonomischen Status in Fragebögen. Das Team errechnete anschließend mittels statistischer Regressionsanalysen die Beziehung zwischen den Variablen.

Die Ergebnisse bestätigen zunächst die bekannten Befunde, dass Mädchen im Lesen und in Englisch, Jungen in Mathematik besser abschneiden. "Der Effekt der Geschlechtszugehörigkeit wird jedoch durch den sozio-ökonomischen Status der Jungen und Mädchen moderiert", so Lühe. Das bedeutet, dass die Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern je nach sozialem Hintergrund unterschiedlich ausfallen - in allen drei getesteten fachlichen Bereichen. Ein weiterer Befund: Im Vergleich mit den Mädchen ist bei den Jungen der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und der Leistung größer. Ihre Leistungen steigen also bei einem höheren sozio-ökonomischen Status stärker an und fallen umgekehrt bei einem niedrigeren Status deutlicher ab.

Weiterführende Erklärungen für die Effekte können die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anhand dieser Untersuchungen noch nicht geben. Sie verweisen aber darauf, dass sich möglicherweise gesellschaftliche Stereotypen auswirken. In Familien mit einem niedrigeren sozio-ökonomischen Status könnte beispielsweise die Vorstellung verbreiteter sein, dass es unmännlich sei, fleißig für die Schule zu lernen. Die Analysen könnten nun erweitert werden, etwa auf Kinder im ländlichen Raum oder auf andere Altersgruppen, Schulsysteme und Bundesländer. Als praktische Implikation hält Josefine Lühe aber schon jetzt fest: "Wenn es zum Beispiel um die Entwicklung und Anwendung von pädagogischen Fördermaßnahmen für Kinder geht, sollte man von stereotypen Vorstellungen von DEN Jungen oder DEN Mädchen besser abrücken."

Die Studie wird im Detail in einem Beitrag für die Zeitschrift für Erziehungswissenschaft beschrieben [1].


Über das DIPF:
Das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) trägt mit empirischer Bildungsforschung, digitaler Infrastruktur und gezieltem Wissenstransfer dazu bei, Herausforderungen im Bildungswesen zu bewältigen. Das von dem Leibniz-Institut erarbeitete und dokumentierte Wissen über Bildung unterstützt Wissenschaft, Politik und Praxis im Bildungsbereich - zum Nutzen der Gesellschaft.

Über die BERLIN-Studie:
Die Studie ist die wissenschaftliche Begleituntersuchung der Berliner Schulstrukturreform. Zentrale Bestandteile der Reform sind die Zusammenlegung der bisherigen Haupt-, Real- und Gesamtschulen zur neu eingeführten Integrieren Sekundarschule (ISS) und die Neugestaltung des Übergangsverfahrens in die weiterführenden Schulen. Die Begleituntersuchung ist ein Kooperationsprojekt des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, des DIPF und des Leibniz-Instituts für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN).


Weitere Informationen unter:
[1] http://bit.ly/Leistungsunterschiede_Geschlecht_soziale_Herkunft
- detaillierte Beschreibung der Studie in einem Beitrag für die Zeitschrift für Erziehungswissenschaft

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution270

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung,
Philip Stirm, 27.03.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. März 2017

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