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SCHULE/275: Die kleinen Fehler sind die besten! (welt der frau)


welt der frau 9/2009 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Die kleinen Fehler sind die besten!
Interview mit Reinhard Kahl

Von Christine Haiden


Der deutsche Bildungsjournalist Reinhard Kahl wird nicht müde, das Hohelied des Fehlers zu singen. Er setzt sich für eine neue Schule ein, die die Unverwechselbarkeit der Menschen ernst nimmt. Und für Lehrkräfte, die ihre Chancen wahrnehmen, statt über bestehende Begrenzungen zu jammern.


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CHRISTINE HAIDEN: Wir haben in Österreich eine ziemlich heftige Schuldebatte hinter uns ...

REINHARD KAHL: ... das haben die teutonischen Völker so an sich, die führen gerne Bildungskrieg. Das ist der letzte Religionskrieg, der noch geblieben ist, und Religionskriege lieben sie seit ein paar Hundert Jahren.

CHRISTINE HAIDEN: Aus der Perspektive von Fehlern - werden in einem solchen Konflikt Fehler gemacht?

REINHARD KAHL: Da gibt es zwei Antworten. Man könnte sagen, man macht zu viele große Fehler und vermeidet die interessanten Fehler. Die kleinen Fehler sind die, aus denen man lernt. Weil man im Schulbereich eine große Angst hat, Fehler zu machen, etwas auszuprobieren, sich selbst auszuprobieren, führt man lieber Krieg. Was ein bisschen komisch ist.

CHRISTINE HAIDEN: Der Krieg ist die höchste Eskalationsstufe.

REINHARD KAHL: Der Krieg ist die Form, in der man den anderen abspricht, dass sie überhaupt interessant sein können, dass aus ihnen etwas hervorgehen kann. Diese Atmosphäre von Verdächtigung ist gerade im Bildungskrieg so stark. Oft weiß man gar nicht, worum es geht.

CHRISTINE HAIDEN: Ist das ein systemisches Problem, dass Schule solche Verhaltensweisen hervorruft?

REINHARD KAHL: So wie die meisten Schulen noch sind, haben sie eine heimliche Religion. Die ist die der richtigen Lösung. Die Rückseite der richtigen Lösung sind die Fehler, die man nicht machen darf. Die Mentalität der Schule ist nicht, dass es viele Möglichkeiten gibt, sondern viele Unmöglichkeiten. Natürlich ist nicht alles möglich und beliebig. Es gibt aber so viele Möglichkeiten, Mensch zu sein. Sehen wir das als einen Vorteil? Oder messen wir ihn oder sie an einem Ideal, dem keiner standhält? Das ist die Erbsünde der Schule. Dass ein Perfektionsideal herrscht, dem keiner richtig standhält. Am Ende gehen die meisten eher geschwächt als gestärkt heraus. Das ist doch verrückt.

CHRISTINE HAIDEN: Bildung soll Menschen zu Kreativität führen, das wird auch keine Lehrerin, kein Lehrer abstreiten.

REINHARD KAHL: Wir kommen als Individuum auf die Welt. Dann gibt es Versuche, die Ecken und Kanten abzuschleifen. Das ist ein solcher Irrsinn. Menschen, denen man den Eigensinn ausgetrieben hat, sollte man dann wieder motivieren? Das klappt nicht. Wenn man Kinder beobachtet, wie sie lernen, sieht man, welchen unglaublichen Antrieb sie haben. Ein Kind lernt pro Tag drei, vier Wörter. Sie lernen den aufrechten Gang, alles ohne Lehrer. Stellen Sie sich einmal vor, man würde das Gehen in der Schule im Sitzen lernen!

CHRISTINE HAIDEN: Aber wir haben auch ständig die Diskussionen um Leistungsnormierungen und um Standardisierung des Wissens.

REINHARD KAHL: Wenn man dafür ist, dass Verschiedenheit gut ist, dann braucht man so etwas wie Standards, an denen man das misst. Wenn man aber die Standardisierung zum Hauptthema macht, ist das, als ob man Häuser nur mit Statikern, aber ohne Architekten baut. Dann kommen hässliche Häuser raus. Diese Standarddiskussion ist unglaublich angstgetrieben und hat vielleicht auch damit zu tun, dass wir ein schwach ausgebildetes Urteilsvermögen haben. Ein Beispiel: Der Lernforscher Manfred Spitzer macht bei seinen Vorträgen mit Lehrern gerne ein Spiel mit dem Publikum. Er unterbricht, gibt jedem ein DIN-A4-Blatt und sagt, jeder solle nur die wichtigsten Formeln der Mathematik aus der Oberstufe aufschreiben. Das sagt er so, dass keiner lacht. Dann beginnt er zu lachen, weil jeder weiß, dass dafür eine Streichholzschachtel reichen würde. Am nächsten Tag machen die Lehrer trotzdem wieder Unterricht, als würde man all dieses Zeug behalten, als würden noch immer beim Lernen Fässer gefüllt und nicht Elemente verflochten. So entsteht bestenfalls ein Bluffsystem, in dem man für die Prüfung lernt und anschließend nie wieder etwas damit zu tun haben will.

CHRISTINE HAIDEN: Was heißt das für Standardisierungen?

REINHARD KAHL: Das Überprüfen von Standards ist dann gut, wenn man es in großem, auch zeitlichem Abstand zur Schule macht. Das war auch der Sinn von PISA, zu fragen, welche Kompetenzen sie haben, und nicht, welches Wissen. Es geht darum, wie Menschen Handelnde werden und weiterlernen können.

CHRISTINE HAIDEN: Heftige Debatten gibt es zur Ganztagesschule. Wie können Kinder umfassend lernen, wenn man sie den ganzen Tag in der Schule belässt und nur künstliche Lernumgebungen schafft?

REINHARD KAHL: Das funktioniert nicht. Ich denke an eine Schule in Potsdam bei Berlin. Die haben ein völlig verwahrlostes Grundstück der früheren Stasi übernommen und gehen mit den Schülern der 9. und 10. Klasse da wochenlang raus, um zu bauen, daraus einen Bauernhof zu machen. Die Schüler, auch die schulmüden, kommen voller Begeisterung hin. Sie haben unglaubliche Lust, Werkzeuge zu benutzen, wirksam zu sein. Eine gute Schule findet nicht nur im Schulraum statt. Wenn eine Ganztagesschule nur zu einer beschäftigungstherapeutischen Anstalt wird, ist das furchtbar.

CHRISTINE HAIDEN: Viele Lehrer klagen, dass sie unter massivem Druck stehen, dass sie sozusagen in ihrer Arbeitssituation nicht verstanden werden.

REINHARD KAHL: Lehrer klagen gerne.

CHRISTINE HAIDEN: Stimmt das, werden sie nicht verstanden?

REINHARD KAHL: Ja, aber das sind so Zirkel. Leute, die sich selbst immer als Erstes als Opfer verstehen, sind solche, die selbst kein Opfer bringen wollen. Warum ändern sie denn nichts? Beispiele von guten Schulen sind solche, wo die Lehrer auch eine Schule machen, die sie selbst gut finden, wo sie sich wohlfühlen. Wer entscheidet, ich will mich da eigentlich gar nicht wohlfühlen, aber ich will um ein Uhr raus sein, bei dem stimmt doch etwas nicht. In einer kantonalen Schule in Bürglen in der Schweiz haben Lehrer aus drei Räumen die Wände rausgenommen. Sie haben nun eine Klasse von 60 Schülern und haben drei bis fünf Lehrer drinnen, die arbeiten zusammen. Der Klassenraum wird zu einer Art Lernbüro. Das Erste in der 7. Klasse ist - in der Schweiz gibt es eine sechsklassige Primarschule -, dass die Kinder nach der Sommerpause ihre Arbeitsplätze bauen. Die Lehrer haben auch ihre Arbeitsplätze mit einer kleinen Ampel, mit Grün, Gelb und Rot. Wenn sie ungestört arbeiten wollen, stellen sie die auf Rot, wenn sie bereit sind, etwas zu klären, machen sie Grün und wenn sie gelb ist, muss sich ein Schüler überlegen, ob es wichtig ist. Da kommt etwas von einem Zusammenleben mit Respekt auf, von Interesse. Da gibt es fast keine Disziplinprobleme, die diese Schule vorher hatte.

CHRISTINE HAIDEN: Was halten Sie von der Idee, Lehrer und Lehrerinnen sollten nicht nur eine Schulkarriere haben, sondern einmal irgendwo in einem nicht schulischen Bereich tätig sein und andere Erfahrungen sammeln?

REINHARD KAHL: Das finde ich auch. Aber man sollte die Schule auch öffnen für Lehrer, die vielleicht auf einem zweiten Bildungsweg hinkommen. Man sollte aber vor allem versuchen, dass man eine neue Gruppe von Lehrern kreiert, sogenannte Dritte. Handwerker, Künstler, Wissenschaftler, die das bleiben und einen Tag oder eine gewisse Zeit in die Schule gehen. Das hätte den Vorteil, dass Lehrer, wenn sie solche Dritte wie Menschensammler suchen, selbst aufgewertet werden. Dann haben sie nicht nur immer mit Kindern zu tun, sondern auch mit Erwachsenen. Dann werden sie mehr zu Managern dieser Lerninszenierung. Ich glaube, das wäre wichtiger, als dass jemand vor seinem Studium ein Praktikum gemacht hat. Entscheidend ist, dass Kinder in der Schule andere Erwachsene als nur Lehrer kennenlernen. Damit ist nichts gegen Lehrer gesagt, sondern dagegen, dass man nicht alles sein kann. Die meisten Schüler sind gar nicht richtig geistesanwesend in der Schule.

Es wird immer geredet über Klassengröße und Unterrichtsausfall oder diese etwas absurde Diskussion über die schulautonomen Tage. Aber es reden nur wenige darüber, dass 70, 80 Prozent der Zeit nur der Körper rumsitzt und die Fantasie spazieren geht. Wenn man das schafft, dass die Leute, wenn sie da sind, auch da sind, hat man viel erreicht.

CHRISTINE HAIDEN: Ein interessantes Phänomen ist, dass viele sich vor allem an interessante Lehrer erinnern, die ein Fach mit Leidenschaft, wenn auch mit pädagogischen Fehlern unterrichtet haben.

REINHARD KAHL: Menschen mit Eigensinn, die etwas aus ihren Fehlern gemacht haben.

CHRISTINE HAIDEN: Nimmt man zu wenig ernst, dass Lehrer auch Typen sein sollen?

REINHARD KAHL: Sollen sie doch auch nicht sein. Sie sollen doch irgendwie Lehrplanfunktionäre sein. Das andere ist doch gefährlich oder wird auch nicht geliebt. Man müsste es erst mal mögen, dass Menschen unterschiedlich sind. Wir haben so viele Verdächtigungs- und Verachtungsdiskussionen.

CHRISTINE HAIDEN: Lehrer sagen, ihnen würde kein Fehler gestattet, Fehler würden immer härter geahndet.

REINHARD KAHL: Das stimmt doch gar nicht.

CHRISTINE HAIDEN: So wird das empfunden.

REINHARD KAHL: Ja, aber das ist diese Jammergeschichte. Da muss man nach den österreichischen Lehrern fragen, die deswegen vorbestraft sind oder im Gefängnis sitzen.

CHRISTINE HAIDEN: Kann man das System wirklich aus der Verantwortung entlassen?

REINHARD KAHL: Wer ist das System?

CHRISTINE HAIDEN: Das System, das sich aus Normen und Verwaltungen zusammensetzt, aus stark hierarchisierten Verläufen von Anweisungen und Rückmeldungen.

REINHARD KAHL: Und wer verlangt, dass man dieses Spiel mitmacht?

CHRISTINE HAIDEN: Die Lehrer in dem System meinen, das System sei stärker als sie und sie hätten zu wenige Handlungsmöglichkeiten.

REINHARD KAHL: Ich glaube, das stimmt einfach nicht. Das System ist doch das Spiel, auf das wir uns geeinigt haben und das wir mitspielen. Natürlich, ein möglicher Beobachterblick ist es, auf das System zu gucken, aber ein anderer Blick ist es, darauf als Akteur zu blicken.

Diese Vorliebe für den Blick, der die Welt rezensiert als ein Theaterstück, in dem man nicht mitspielt, ist etwas schwach.

CHRISTINE HAIDEN: Lieber kritisieren als handeln?

REINHARD KAHL: Ja. Man ist froh über alle Anzeichen, die man in diesen Verhinderungsdiskursen kapitalisieren kann. Wenn die Ministerin irgendeinen Käse baut, kann man sagen: Seht ihr, das geht nicht! Das sind alles so Zaungastperspektiven. Warum einigen sich viele Pädagogen darüber, lieber ein Zaungast zu sein als ein Zaunkönig? Warum haben sie häufig so wenig Lust am Leben?

CHRISTINE HAIDEN: Haben Sie eine Vermutung, woran das liegt?

REINHARD KAHL: Ich würde dazu neigen, dass es diesen Trägheitssog und Schweresog für Menschen gibt und dass die Frage ist, wie man die Gegenkräfte, die nach oben ziehen, an sich selbst und für andere ausbildet. Die Schule ist eine, in der diese Schwere gegenüber den hochziehenden Kräften dominiert.

CHRISTINE HAIDEN: In das Schulsystem gehen eher Menschen, die das anzieht?

REINHARD KAHL: Ja, aber es gehen auch Menschen hinein, die noch anderes wollen. Wenn ich an diejenigen denke, die die Lernaufwiegler sind, die etwas Interessantes gemacht haben, dann haben die das nicht so sehr aus irgendeiner Grundsatzüberlegung gemacht, sondern die haben gesagt: So will ich nicht leben. Ich will nicht in diesen muffigen Räumen sein, das Papier, das rumliegt, stört mich, deswegen hebe ich es auf und nicht, weil ich ein Vorbild sein will.

Die also in der Lage sind, "ich" und "wir" zu sagen, und nicht immer "man" und "das System" sagen. Die sich fragen: Will ich das so? Und: Was habe ich zu verlieren, wenn ich dieses Spiel nicht weiter mitmache?

CHRISTINE HAIDEN: Haben Sie aus Ihrer Erfahrung - Sie haben sehr viele Schulen besucht - eine Empfehlung zur Maximalgröße einer Schulklasse?

REINHARD KAHL: Die Erfahrung zeigt, man kann auch mit einer großen Schule so umgehen, dass man sie in viele kleine Schulen aufspaltet.

Eine der interessantesten Schulen in Deutschland, eine Grundschule in Münster, ist gar nicht groß, 250 oder 300 Schüler. Die ist aufgeteilt in kleinste, altersgemischte Lernhäuser, Dörfer. Das Maß, mit wie vielen man verkehren kann, ist das Maß der Gruppen. Ein solches Lernhaus ist etwas anderes als ein Klassenraum, der altershomogen ist. Das ist eine Organisation von im Gleichschritt laufenden Lernrekruten.

CHRISTINE HAIDEN: Eine Untersuchung in Deutschland hat gezeigt, dass die Klassengröße an sich, auch wenn sie bei 25 Schülern ist, nichts ändert, wenn die Pädagogik sich nicht ändert.

REINHARD KAHL: Das ist einleuchtend. Wenn vor allem der Lehrer spricht, ist es egal, ob da 17 oder 700 sitzen. Diese Klassengröße ist eine Ausredendiskussion.

CHRISTINE HAIDEN: Was ist für Sie die interessanteste Schule, die Sie derzeit kennen?

REINHARD KAHL: Ach, das ist wie die Frage nach dem interessantesten Menschen.

CHRISTINE HAIDEN: Eine Schule, wo sich eine Weiterentwicklung zeigt.

REINHARD KAHL: Interessant finde ich diese Potsdamer Montessorischule, dieses Rausgehen mit den Kindern in der Pubertät. Wo die Schüler das planen, wo sie das Grundstück vermessen, zuerst mit Schritten, dann mit ihrem Band, und dann merken, wie nah sie schon mit den Schritten dran waren, wo auch eine andere Körperlichkeit hineinkommt. In den Schulräumen stört der Körper und deswegen ist der dann auch gestört. Vom Leib gar nicht zu reden. Das ist doch Fernunterricht mit Anwesenheitszwang.

CHRISTINE HAIDEN: Was würden Sie als Erstes tun, wenn Sie Bildungsminister würden?

REINHARD KAHL: Zurücktreten. (Er lacht.) Ich glaube, die Musik spielt an anderen Stellen. Ein Schulleiter, eine Schulleiterin, ein Lehrer, eine Lehrerin, die gut sind, können mehr Einfluss haben als ein Minister. Ein Bildungsminister könnte sich zum Beispiel selbst auferlegen, dass er die Hälfte seiner Zeit an Schulen verbringt, mit den Leuten spricht, sich das ansieht und in die Gesellschaft zurückträgt. Ein Bildungsminister sollte die Illusion aufgeben, er würde an einem besonders langen Hebel sitzen. Wenn er etwas verändern will, soll er das Ministerium ändern. Wenn ein Ministerium aufhört, eine Superbürokratie zu sein, und eine lernende Organisation würde, wäre es fast nicht zu vermeiden, dass sich das positiv auf die Schulen auswirkt.


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Ich vermittle die Liebe zu den Sprachen
Maria Schrems-Gadermaier (42), Gymnasialprofessorin

"Hola chicos, ¿qué tal?" Farbenfroh gekleidet und energiegeladen betritt die Spanisch- und Französischlehrerin Maria Schrems-Gadermaier das Klassenzimmer. Die zweifache Mutter unterrichtet seit acht Jahren an zwei Linzer Gymnasien hauptsächlich Spanisch. "Ich liebe meine beiden Fremdsprachen und die Länder, in denen sie gesprochen werden. Dies möchte ich den SchülerInnen vermitteln", sagt die 42-Jährige. Sie lässt im Unterricht Humor, aber auch die nötige Strenge walten. "Vor allem schätze ich an diesem Beruf den Umgang mit jungen Menschen, denn wir können gegenseitig voneinander lernen", sagt Maria Schrems-Gadermaier. Sie achtet darauf, den Unterricht so abwechslungsreich und aktuell wie möglich zu halten. "In den ersten zwei Jahren mit der neuen Sprache muss das Grundgerüst geschaffen werden. Dann wird auf aktuelle Themen aus dem Tagesgeschehen, neue Kinofilme oder spanische Hits eingegangen. Außerdem verreise ich mit meinen SchülerInnen gerne. Ich war mit ihnen schon in Cannes, Madrid, Málaga, Granada, Sevilla und Barcelona. Um mich weiterzubilden, steht jeden Sommer ein Sprachkurs in Spanien auf dem Programm." Neue Unterrichts-Ideen erhofft sie sich durch die Betreuung von StudentInnen. (Andrea Mann)


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"Ich nehme jedes Kind so an, wie es ist"
Regina Übleis (43) ist seit 21 Jahren Volksschullehrerin

Betritt man den Klassenraum der 1. B, glaubt man sich in einem sehr gemütlichen und picobello aufgeräumten Kinderzimmer. Vor der Tafel thront nicht wie üblich der Lehrertisch, sondern liegen bunte Montessoriteppiche. "Die Kinder sollen", so die begeisterte Lehrerin, "von der lauten Welt draußen in eine ruhige Welt des Lernens kommen." Das Zimmer ist nach Feng-Shui eingerichtet. Die Kojen für Lesen oder Computerarbeit sollen Wohlfühlbereiche für die Kinder sein. "Jedes Kind hat andere Bedürfnisse, eine andere Lebensgeschichte. Ich nehme sie so an, wie sie sind", schildert Regina Übleis. Sie stellt aus dem reichen Angebot an Unterrichtsmethoden, wie Montessori oder Kybernetik, den richtigen Mix für jedes Kind zusammen. Viel Wert legt sie auf das richtige Miteinander. "Die Kinder lernen bei mir sehr bald das gegenseitige Helfen. Für mich ist es auch sehr wichtig, dass Konflikte gesehen und aufgearbeitet werden." Das Verbessern der Hefte wird sofort im Anschluss an den Unterricht erledigt, Ideen für den kommenden Schultag begleiten sie durch den Alltag. Positives Echo ist die größte Motivation für die 43-Jährige. Und sie schätzt, dass das Konferenzzimmer kein Konkurrenzzimmer ist. "Wir teilen Freud und Leid miteinander." (am)


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"In einer Klasse sollte das Lachen nie fehlen"
Ulla Boxhofer (43), seit 1990 Hauptschullehrerin für Englisch, Bewegung und Sport

Der Spaß am Beruf hat bei Ulla Boxhofer etwas mit Spaß im Unterricht zu tun. "Humor ist für mich sehr wichtig. Es hilft einem, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. In einer Klasse sollte das Lachen nie fehlen!" Die 43-Jährige war während ihrer ersten Dienstjahre an einer Haupt- und Polytechnischen Schule im Linzer Zentralraum tätig. Dort erlebte sie viele Herausforderungen mit lernschwachen und verhaltensauffälligen SchülerInnen. "Einfühlungsvermögen und ehrlicher Austausch innerhalb des LehrerInnenkollegiums machten ein Unterrichten möglich." Boxhofer bedauert, dass es für LehrerInnen keine verpflichtende Supervision an Schulen gibt. "Lehrkräfte sollten heutzutage gleich drei Aufgaben auf einmal übernehmen: erziehen, bilden und mit Elternkooperieren. Die Ansprüche stark gestiegen." Nun arbeitet Ulla Boxhofer an der Praxishauptschule der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz. "Hier ist die Belastung eine andere. Wir stehen als Praxisschule für Lehramtsstudierende in der Auslage. Andererseits motiviert dies, immer wieder neue Unterrichtsmethoden zu erproben und das eigene Tun zu reflektieren. Der Druck sollte nicht dominieren. "Das Lehrbuch muss zu Schulschluss nicht abgeschlossen sein. Mir ist auch ein Theaterbesuch mit den Schülern wichtig." (am)


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"Das Spontane der Kinder braucht Raum"
Dagmar Harringer (56), Volksschullehrerin seit 1973

"Dieser Beruf ist für mich ideal. Er fördert meine Kreativität jeden Tag aufs Neue", kommt die 56-Jährige ins Schwärmen, wenn sie über ihre Berufung spricht. Als Dagmar Harringer selbst die dritte Klasse Volksschule besucht hatte, stand für sie fest, dass sie einmal Lehrerin werden möchte. "Und ich bin noch heute mit meinem inneren Kind mittendrin. Ich kann mich in die Kinder hineinversetzen, kann noch alles bewundern. Ich unterrichte schon seit vielen Jahren Integrationsklassen. Hier entsteht eine Art Synergie, die stark motivierend und bereichernd ist." Wenn sie eine Stunde plant, muss diese nicht immer nach ihren Vorstellungen ablaufen. "Man kann auch schauen, was daraus wird. Die Kinder bringen so viele eigene Ideen ein, es ist so viel Schöpfergeist da. Die Neugierde und das Spontane der Kinder brauchen Raum." Als Auflockerung bringt sie Tanzelemente in den Unterricht ein. Seit drei Jahren praktiziert sie "Biodanza". Getanzt wird zwischendurch. Es fördert den liebevollen Umgang miteinander, Achtsamkeit und das gegenseitige Spüren.


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"Ich bekomme alles unter einen Hut"
Gabriele Henkel (45), früher Werklehrerin, seit drei Jahren Volksschullehrerin.

"Ich stehe mit großer Freude in meiner eigenen Klasse, das erfüllt mich total", sagt Gabriele Henkel, die durch einen "internen" Berufswechsel wieder mehr Freude an ihrer Arbeit fand. "1982 bin ich als Handarbeitslehrerin in den Beruf eingestiegen. Das hat mich nach vielen Jahren nicht mehr ganz erfüllt. Ich war an verschiedenen Schulen, konnte Kinder nie vollständig betreuen. Daher habe ich mich entschlossen, das Lehramtsstudium für Volksschulen nachzuholen", schildertdie zweifache Mutter. Nach drei Praxisjahren hat die 45-Jährige erstmals eine eigene Klasse. "Ich habe mein Ziel erreicht und bin sehr froh, diesen Schritt gesetzt zu haben. Ich bin sehr motiviert." Im Unterricht setzt sie auf Aktivitäten und alternative Lernformen wie Montessori und Kybernetik. Eltern sind oft eingeladen, im Unterricht mitzuarbeiten. Lernen passiert bei Gabriele Henkel nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch auf dem Bauernhof, Eislaufplatz, im Theater oder Schwimmbad.


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LUST STATT FRUST AM LEHREN

Jede/r dritte LehrerIn leidet an berufsbedingter Erschöpfung und Depression. Im Lehrberuf kennt man das Burn-out-Syndrom schon lange, doch es ist nach wie vor ein Tabuthema.

Von Andrea Mann


Die Ansprüche der Gesellschaft und der Eltern steigen. Ein Druck, dem viele LehrerInnen nicht standhalten können. 30 Prozent aller österreichischen Lehrkräfte sind berufsbedingt "ausgebrannt". Die ersten Symptome sind Müdigkeit, Ungeduld oder häufiges Erkranken. Wird dem nicht gegengesteuert, folgen Atemprobleme, Kopfschmerzen oder Herzrasen - die fortgeschrittenen Anzeichen von Burn-out. Doch meist wird darüber geschwiegen. "Viele PädagogInnen wagen es nicht, ihren KollegInnen gegenüber Misserfolge und Frustration zu zeigen. Viele LehrerInnen sind Einzelkämpfer. Doch sie sollten Teamplayer sein. Die Schule sollte als Team gesehen werden, wo man über positive und negative Erlebnisse reden kann - mit gegenseitiger Unterstützung und Wertschätzung",sagt Dr.in Agnes Lang, Landesreferentin für Schulpsychologie und Bildungsberatung des Landesschulrates für Oberösterreich. Mentoring, Supervision oder Coaching könnten Abhilfe schaffen.

Beratungsstellenleiter Dr. Alfred Mateja weiß aus Erfahrung, dass dieses Angebot nicht so einfach angenommen wird. "Das wäre ja wieder ein Eingeständnis den KollegInnen gegenüber."


Weitere Stressfaktoren

Die beiden Experten sehen noch weitere Stressfaktoren. Wie die räumlichen Bedingungen an den Schulen. "Die Konferenzzimmer sind nach wie vor riesig. Sie sind zum Teil für 100 KollegInnen gedacht. Dort herrscht immer Unruhe, es gibt keine entsprechenden Arbeitsplätze, die LehrerInnen haben keine Computer, keinen Internetanschluss. An ein Arbeiten ist dort nicht zu denken", schildert Lang. Daher wird die Arbeit mit nach Hause genommen. Oft wird sie aufgeschoben, der Kopf ist nie frei. "Es ist ganz wichtig, sich eine Tagesstruktur zu machen und sich strikt daran zu halten. Dadurch entstehen Freiräume", sagt die Schulpsychologin. Die gewonnene Freizeit gehört zum Ausgleich genutzt. "Ein Hobby ist die beste Prävention gegen Burn-out."


Bessere Ausbildung

Durch Änderungen in der Ausbildung, vor allem in der für AHS-LehrerInnen, könnte Burn-out ebenfalls vermieden werden. Alfred Mateja: "Es wird Fachwissen vermittelt, die pädagogische Seite kommt oft zu kurz. Viele JunglehrerInnen stürzen sich mit Begeisterung in den Beruf. Treffen sie auf die tatsächlichen Unterrichtsbedingungen und gehen ihre Konzepte nicht auf, fehlt das Erfolgserlebnis. Immer intensivere Vorbereitungen und weiteres Scheitern führen schließlich zum Ausbrennen."


Unterricht ist keine Fernsehsendung

Die heutige Jugend unterscheidet sich von der gestrigen. "Die SchülerInnen werden immer unruhiger. Die Aufmerksamkeit der Kinder zu halten ist heutzutage keine leichte Aufgabe", sagt Agnes Lang. Vielen Kindern und Jugendlichen wird schnell fad, die Konzentration ist nicht die beste. "Eine Klasse ist keine homogene Gruppe. Man muss es schaffen, sich auf viele unterschiedliche Charaktere einzustellen. Hat man hier Schwierigkeiten, sollte man sich diese selbst und anderen gegenüber eingestehen", rät Lang.

(Hilfsangebote unter: www.schulpsychologie.at)


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Ausgabe 9/2009, Seite 22-28
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. September 2009