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MELDUNG/030: Mathematiker Karl Sigmund publiziert in "Nature" zu Sozial- und Konfliktverhalten (idw)


Universität Wien - 15.07.2010

Mathematiker Karl Sigmund publiziert in "Nature" zu Sozial- und Konfliktverhalten

Utl.: Spieltheoretische Modelle zum Thema Trittbrettfahrer entwickelt


Neues Licht auf die alte Frage des Umgangs mit Trittbrettfahrern wirft Karl Sigmund, Professor für Mathematik der Universität Wien. In der renommierten Fachzeitschrift "Nature" weist er anhand von spieltheoretischen Modellen nach, dass auch in einer Gesellschaft von Egoisten einfache Formen von "pool punishment" spontan entstehen können - die institutionelle Bestrafung innerhalb von Gruppen statt des Bestrafens auf eigene Faust.

Vielfältig ist der Schaden, den Unternehmen und Institutionen durch Trittbrettfahrer erleiden: "Oftmals werden Firmen und andere Organisationsformen durch den Eigennutz der TeilnehmerInnen gefährdet. Denn es ist verlockend, die Beiträge der anderen auszubeuten, ohne selbst etwas beizutragen", erklärt Karl Sigmund, Professor für Mathematik der Universität Wien. Die übliche Gegenmaßnahme besteht in der Bestrafung der TäterInnen - wer diese vornimmt, ist aber nicht immer klar geregelt.


"Soziale Dilemmata"

Dieser Frage widmen sich Sigmund und sein Forschungsteam in der Publikation "Social learning: The evolution of police-like institutions", veröffentlicht in der renommierten Fachzeitschrift "Nature". Beruhend auf Computersimulationen und der Analyse spieltheoretischer Modelle liefern die WissenschafterInnen einen theoretischen Unterbau für soziale Feldforschung und ökonomische Experimente. Mehrere Problemfelder des Trittbrettfahrens beschreibt Sigmund hierbei: "Zumeist kostet es etwas, Strafen zu verhängen, aber die Auswirkungen kommen den Benachteiligten zugute. Das führt aber zum nächsten Problem, nämlich das Bestrafen anderen zu überlassen. Damit bietet sich eine weitere Möglichkeit zum Trittbrettfahren an."

Derartige "soziale Dilemmata" wurden von WissenschafterInnen sowohl theoretisch als auch in ökonomischen Experimenten untersucht, meistens beruhend auf dem Prinzip des "peer punishment": Die TeilnehmerInnen bestrafen nach dem gemeinsamen Unternehmen jene Personen, die zu wenig zum Gelingen beigetragen haben. Im Alltag aber wird das Bestrafen der AusbeuterInnen meist Institutionen wie der Polizei überlassen. Selbst in weniger entwickelten Gesellschaften von Hirten, Bauern oder Fischern obliegt die Bestrafung zumeist einer Institution - wie die Feldforschungen von Elinor Ostrom zeigten, die hierfür 2009 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt. Dieses "pool punishment" kann als eine Urform der Polizei angesehen werden.


Gesellschaft von Egoisten

In einem theoretischen Modell weist Karl Sigmund gemeinsam mit der Wirtschaftwissenschafterin Hannelore De Silva, dem Evolutionsbiologen Arne Traulsen und dem Physiker Christoph Hauert nach, dass auch in einer Gesellschaft von Egoisten einfache Formen von "pool punishment" spontan entstehen können. "Dabei handelt es sich um eine Kombination von sozialem Lernen, also dem Kopieren erfolgreicher Modelle, sowie Versuch und Irrtum", erläutert der Mathematiker. Weder Hang zum Altruismus, noch Vorrang für "Gemeinwohl" statt "Eigenwohl" der Handelnden sind notwendig, um eine Art von Polizei entstehen zu lassen.

Zwar kommt die institutionelle Form der Bestrafung im Allgemeinen teurer als das Bestrafen auf eigene Faust; es verursacht aber auch dann Unkosten, wenn niemand Trittbrett fährt. Dafür kann sie aber nicht so leicht unterlaufen werden, und ist daher stabiler. Weiteres Ergebnis: Beide Formen der Bestrafung bilden sich eher dann aus, wenn es Personen möglich ist, auf das gemeinsame Unternehmen zu verzichten. "Diese Eigenbrötler-Option fördert die Kooperation, ähnlich wie ein Katalysator", so Sigmund: "Sie ist im Lernprozess der Menschheit nur ein Zwischenstadium auf dem Weg zu einer Art von Sozialkontrakt".


Publikation

Social learning: The evolution of police-like institutions.
In: Nature - Ahead of Print-Publikation.
http://dx.doi.org/ DOI: 10.1038/nature09203

Weitere Informationen unter:
http://public.univie.ac.at
- Presseportal der Universität Wien

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution84


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Wien, Alexander Dworzak, 15.07.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2010