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FORSCHUNG/166: Äthiopien - Ausweg aus dem Teufelskreis der Armut (forsch - Universität Bonn)


forsch Frühjahr 2018
Bonner Universitäts-Magazin

Ausweg aus dem Teufelskreis der Armut

von Johannes Seiler


Warum ist es für Menschen am Rande der Gesellschaft so schwer, der Armut zu entkommen? Dr. Christine Husmann vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) untersuchte am Beispiel Äthiopiens, wie sich Kleinbauern durch bessere Erträge von der größten Not befreien könnten.


Das Leben der Kleinbauern in Äthiopien ist beschwerlich. Traktoren oder Mähdrescher sind so gut wie nicht vorhanden. Die meisten bestellen mit einfachen Hacken oder mit dem Ochsenpflug ihr Land. Gedroschen wird häufig auf dem blanken Boden. Die klimatischen Bedingungen sind günstig, doch im Bergland der Ackerkrume etwas abzuringen erfordert extrem harte Arbeit: Oft ermöglichen erst Terrassen den Anbau von Nahrungsmitteln. Die Wege zum nächsten Dorf oder Markt sind weit. Brennholz wird häufig von Frauen von Hand herbeigeschafft - wer hierfür einen Esel sein eigen nennen kann, gehört schon zu den Glücklicheren.

Äthiopien zählt zu den ärmsten Staaten der Welt. In dem bergigen Land im Osten Afrikas wird weniger als die Hälfte des Bruttoinlandsproduktes in der Landwirtschaft erwirtschaftet, obwohl rund 85 Prozent der Bevölkerung auf dem Land und von der Landwirtschaft leben. Nach Schätzungen der Weltbank kämpfen rund ein Drittel der Menschen mit extremer Armut. "Das Problem ist nicht nur die hohe, durch die Zahlen der Weltbank eher unterschätzte Anzahl der Menschen in Armut, sondern die besondere Schwierigkeit, Menschen für Verbesserungen der Lebensbedingungen zu erreichen, die weit unterhalb der Armutsgrenze leben", sagt Dr. Christine Husmann vom Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF).

Für ihre Dissertation ermittelte die Wissenschaftlerin Äthiopiens Brennpunkte der Marginalität, wo besonders viele Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden und ums Überleben kämpfen müssen. "Bestimmte Bevölkerungsgruppen werden von wichtigen Ressourcen wie etwa Bildung oder Technologie ausgeschlossen. Sie profitieren nicht vom Fortschritt der Gesellschaft", bringt es Husmann auf den Punkt. Für ihre Dissertation befragte die Wissenschaftlerin viele Kleinbauern und ihre Familien, aber auch Experten aus dem öffentlichen und dem privaten Sektor sowie Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen. Die räumlichen Daten erfasste sie mit Hilfe Geographischer Informationssysteme (GIS) und stellte sie in Karten dar.


Mangel an hochwertigem Saatgut

"Ein Drittel der Bevölkerung ist von extremer Marginalisierung betroffen", fasst Husmann das Ergebnis zusammen. Diese Menschen sind weit von Städten entfernt, haben kaum Zugang zur Gesundheitsversorgung, zu sauberem Trinkwasser, zu Märkten und zu landwirtschaftlicher Grundausstattung. Das Ergebnis sind Hunger und Mangelernährung, was wiederum weit reichende Folgen hat: "Chronische Unterernährung schränkt bleibend die geistigen Fähigkeiten ein und verschärft damit noch das Problem des geringen Bildungsstands und der geringen Produktivität in weiten Teilen der Bevölkerung."

Ein Großteil der rund 97 Millionen Äthiopier müht sich als Kleinbauer, baut vorwiegend Getreide und Mais an. Große Teile der Bevölkerung sind unterernährt, auch in guten Erntejahren sind viele Menschen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. "Das größte Problem sind die extrem niedrigen Ernten", sagt die Geographin. "Mit qualitativ hochwertigem Saatgut könnten die Bauern bis zur sechsfachen Menge ernten." Die Nachfrage ist riesig, doch die überwiegend staatlichen Produzenten stellen nach den Erkenntnissen der Wissenschaftlerin nicht genügend Saatgut bereit. Zudem reguliert die Regierung den Zugang. Die Bauern nutzen deshalb Samen oder Setzlinge, die sie aus der eigenen Ernte aufbewahren. Das sind aber oft wenig ertragreiche Sorten, die zudem in vielen Fällen krankheitsanfällig sind.

Der Wissenschaftlerin zufolge könnten sich viele der Kleinbauern durch mehr und besseres Saatgut aus ihrer drängenden Armut befreien. Voraussetzung sei, dass die Regierung den Markt hierfür teilweise liberalisiere und sowohl privaten Herstellern vor Ort als auch ausländischen Produzenten unternehmerischen Freiraum lasse, um die Entwicklung und Vermehrung von verbessertem Saatgut zu befördern. Eine Monopolisierung wie in den USA sei aufgrund der Gesetzeslage, die die Eigentumsrechte an neuen Sorten regelt, auch bei verstärkten Investitionen aus dem Ausland nicht zu befürchten. Die wichtigen Funktionen, die das Aufbewahren, Tauschen und Wiederverwenden des Saatguts der Bauern erfüllen, könnten auch bei einem stärkeren Engagement von privaten Firmen erhalten bleiben. Außerdem sei es erforderlich, dass Banken genügend Mikrokredite bereitstellen, mit denen die Kleinbauern in besseres Saatgut und andere Produktionsmittel investieren können.


Erste Fortschritte in der Armutsbekämpfung

Auch nach ihrer Dissertation über Äthiopien hält die ZEF-Wissenschaftlerin Kontakte und reist etwa ein- bis zweimal pro Jahr dorthin. "Äthiopien macht große Fortschritte in der Armutsbekämpfung, aber die Menschen sind immer noch sehr arm", berichtet Husmann. Inzwischen berät sie auch einen deutschen Saatguthersteller, der dort investiert, bislang aber vor allem die äthiopische Züchtung unterstützt. Den äthiopischen und ausländischen privaten Sektor einzubeziehen wäre nach ihrer Einschätzung eine Chance, mit der die Kleinbauern zumindest ein Stück weit dem Teufelskreislauf der Armut entkommen könnten.


Publikation:
Christine Husmann: The Private Sector and the Marginalized Poor. An Assessment of the Potential Role of Business in Reducing Poverty and Marginality in Rural Ethiopia, Peter Lang Verlag, Development Economics and Policy, 57,90 Euro

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Quelle:
forsch - Bonner Universitäts-Nachrichten Frühjahr 2018, Seite 14-15
herausgegeben im Auftrag des Rektorats der
Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2018

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