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BERICHT/066: Chinas Blick auf die Europäische Union (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7+8/2011

Chinas Blick auf die Europäische Union

von Li Zhang


Die neue Weltmacht China ist für die EU Konkurrent und Partner zugleich. Nicht unwichtig ist es daher, welches Bild die chinesischen Bürgerinnen und Bürger von der Europäischen Union haben und wie die Medien mit dem Thema umgehen. Mehrere Studien bieten hier interessante Einblicke.


Während der letzten 50 Jahre hat die Europäische Gemeinschaft enorme Fortschritte bei der Integration erzielt: Grenzen wurden durchlässiger, historische Konflikte wurden überwunden, ein gemeinsamer Markt mit einer gemeinsamen Währung wurden geschaffen. Aber seitdem die Identitätskrise in der EU virulent ist, wird die Union im Ausland immer weniger als global player wahrgenommen und anerkannt.

Schauen wir auf die Beziehungen zwischen den beiden schnell wachsenden Weltmächten EU und China während der letzten drei Jahrzehnte: Aus der anfänglichen bloßen Wahrnehmung des jeweiligen Machtpotenzials entwickelte sich zunächst eine konstruktive, dann eine umfassende strategische Partnerschaft, die zuweilen schon als Achse des 21. Jahrhunderts interpretiert wurde.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die EU in China gesehen wird und was Chinesen von der EU erwarten. Denken Chinesen positiver über die EU als andere Nationen? Bezugnehmend auf eine kürzlich abgeschlossene Untersuchung in den sechs wichtigsten Städten Chinas lautet die Antwort: Ja! Danach befragt, von welchen Ländern oder Regionen man einen positiven Eindruck habe, nannten 74,1% die EU und nur 59,9% die USA. 77,6% der Befragten haben ein positives Bild von der europäischen Bevölkerung - ein besserer Wert als bei Russen, Amerikanern oder Japanern.

Die Untersuchung war Teil einer Reihe von wissenschaftlichen Erhebungen über das Bild der EU in China von Mai bis August 2010, die vom 7. Framework Programme (FP7) der Europäischen Kommission gefördert wurde. In einer Zufallsauswahl wurden rund 3.000 Bürgerinnen und Bürger zwischen 18 und 70 Jahren in den Städten Beijing, Shanghai, Guangzhou, Xi'an, Chengdu und Nanning, repräsentativ für die Einstellungen der chinesischen Stadtbevölkerung, befragt - in einer weiteren Umfrage äußerten sich 700 Angehörige der Elite, also Regierungsvertreter, Geschäftsleute, Intellektuelle, Medienschaffende und Akteure der Zivilgesellschaft.

Im Ergebnis beurteilen nur 42,3% der Stadtbevölkerung die Beziehungen zwischen China und der EU als gut, während 36,4% die Beziehungen als neutral erachten. Rund die Hälfte wagt einen vorsichtig optimistischen Ausblick auf die zukünftige Beziehung, knapp 17% sind sogar sehr optimistisch mit Blick auf die Entwicklung der Beziehung - während nur eine marginale Minderheit pessimistische Erwartungen hegt.

Ebenfalls rund die Hälfte der städtischen Chinesen meint, dass China und die EU ausreichend gemeinsame Interessen teilten, um bei internationalen Problemen zusammen zu arbeiten - hingegen vertreten 14% die Auffassung, dass die Interessen für eine gemeinsame Politik zu unterschiedlich sind, während der Rest der Auffassung ist, dass die EU und China nicht viele gemeinsame Interessen teilen, aber dennoch politisch zusammenarbeiten können.

Allgemein kann man sagen, dass die chinesische Stadtbevölkerung die Rolle der EU auf dem internationalen Parkett sehr positiv bewertet, bei den Angehörigen der chinesischen Elite ist der Anteil positiver Äußerungen deutlich geringer, und die Einstellung der Eliten variiert dabei von Gruppe zu Gruppe stark.

77,5% der städtischen Bevölkerung glauben, dass die EU eine positive Rolle beim Thema Frieden spielt, aber nur 59,2% der befragten Regierungsvertreter teilen diese Meinung. Den Einfluss der EU auf die Weltwirtschaft beurteilen 83,4% der Stadtbevölkerung positiv - aber nur rund die Hälfte der Wirtschaftselite kommt zum selben Schluss. Beim Thema Umweltschutz und technischem Fortschritt wurde die Rolle der EU sowohl von den Stadtbewohnern als auch der Elite durchweg positiv eingestuft. Obgleich 72,4% der Städter in der Umfrage aussagten, die EU spiele eine positive Rolle im weltweiten Kampf gegen Armut, beurteilen Unternehmer und Aktivisten der Zivilgesellschaft diesen Sachverhalt anders. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus bewerten 73,5% der städtischen Bevölkerung die Rolle der EU als positiv, während die Elite Europas Rolle weder positiv noch negativ sieht.

Die Informationen über die EU, die vorrangig über Fernsehen, Zeitungen und das Internet transportiert werden, wurden von den Befragten als eher positiv bewertet. Wie genau aber repräsentieren die chinesischen Medien die EU? Wie präsent ist die EU in den chinesischen Nachrichtenmedien, und welches Image über die Union wird in den Nachrichten vermittelt?

Eine Langzeitstudie von 1989 bis 2005 über die Darstellung der EU in Chinas angesehenster und einflussreichster Zeitung People's Daily zeigte, dass das Schwerpunktthema EU nicht besonders präsent war und lediglich 3% der internationalen Berichterstattung ausmachte. Die EU wurde aber zunehmend als Gemeinschaft dargestellt, weniger als Zusammenschluss von Einzelstaaten. Die Studie zeigt außerdem, dass etwas weniger als die Hälfte aller Beiträge über die EU in einem positiven Ton verfasst war, lediglich 15% in einem negativen.

People's Daily zeichnet im Grunde drei Bilder von der EU: 1) als globaler Akteur, 2) als einheitliche Macht, und 3) als kooperativer Partner. Das erstere ist zwar noch das blasseste von allen dreien, wird aber immer stärker. People's Daily berichtete kontinuierlich über die Äußerungen aus der Union zu internationalen Themen, obgleich der Einfluss der EU in der internationalen Arena zurzeit noch begrenzt ist. Fast jeder vierte Beitrag über die EU behandelte deren außenpolitische Rolle. Nur über die wirtschaftliche Integration wurde häufiger berichtet. So wird die EU also zunehmend als internationaler Akteur wahrgenommen. Besonders wurde in der Zeitung hervorgehoben, wenn die EU eine von den USA abweichende Meinung vertrat - obwohl beide Mächte stets als Verbündete dargestellt werden.

Eine Studie, die zurzeit noch läuft, zeigt, dass die Wahrnehmung der EU in chinesischen Medien zunimmt. Zwischen Januar und April 2011 wurde die Union in People's Daily in knapp 300 Beiträgen thematisiert. Als politischer Akteur auf der internationalen Bühne wurde sie hierbei vor allem in Bezug auf Libyen und den Mittleren Osten wahrgenommen. Andere chinesische Medien, die für dieses Projekt untersucht wurden, u.a. eine Wirtschaftszeitung, eine englischsprachige Zeitung sowie ein prime-time-Nachrichtenmagazin im wichtigsten chinesischen Fernsehkanal, zeigten ein ähnliches Bild von der globalen Bedeutung der EU wie People's Daily. In den Nachrichten waren der Kommissionspräsident Barroso sowie die neue Außenbeauftragte Catherine Ashton die wichtigsten Gesichter der EU. Bezogen auf die Mitgliedsstaaten erschienen der französische Präsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin Angela Merkel am häufigsten in den Berichten über die EU als internationaler Akteur.

Die Wahrnehmung eines anderen Staates oder einer Staatengemeinschaft spielt eine entscheidende Rolle bei der öffentlichen Gewichtung von Außenpolitik. Wird in einem Land ein positives und attraktives Bild der EU gezeichnet, steigt dort auch der europäische Einfluss und das Potenzial der EU, in Verhandlungen auf Partner sanften Druck auszuüben, also eine Fähigkeit, die der Politologe Joseph Nye Soft Power nannte. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass sich das Bild der EU in China verbessert, nicht nur für die weitere Entwicklung der strategischen Partnerschaft zwischen Europa und China, sondern auch für die "Identität nach Außen" der Union nach dem Vertrag von Lissabon.

(aus dem Englischen von Dirk Kohn)


Li Zhang forscht am Institut für moderne China-Studien der University of Nottingham. Seit 2004 arbeitet sie an verschiedenen Forschungsprojekten zur Wahrnehmung der EU in China. Gerade ist ihr Buch News Media and EU-China Relations bei Palgrave Macmillan erschienen.
Jasmineli.Zhang@nottingham.ac.uk


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 7+8/2011, S. 50-52
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. September 2011