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SCHACH-SPHINX/06547: Streit um das Grünfeldindische Geburtsrecht (SB)


Als der selige österreichische Großmeister Ernst Grünfeld 1922 die Schachwelt mit der kuriosen Eröffnung 1.d2-d4 Sg8-f6 2.c2-c4 g7-g6 3.Sb1-c3 d7-d5!? vor den Kopf stieß, glaubten viele an einen Scherz, an eine launenhafte Anwandlung, kurzum an etwas, das sich nie und nimmer durchsetzen würde, wenn man die nach Grünfeld benannte Verteidigung überhaupt ernstnehmen konnte. Das Lager der Großmeister spaltete sich in drei Fraktionen. Die meisten warteten ab, eine entschiedene Gruppe übte sich in bösartiger Kritik und eine kleine Schar verteidigte diesen neuen Spielgedanken mit allem nötigen Nachdruck. Die Kritikaster wollten dem Neuen das Geburtsrecht verweigern und bestanden darauf, daß diese Zugfolge auch früher schon gespielt worden sei, also nichts Neues, geschweige denn etwas Revolutionäres sein konnte. Savielly Tartakower, ein Freund Grünfeld, konterte denn auch mit ironischer Feder: "Wenn Grünfeld eine taktisch ermöglichte Brücke zwischen dem Damengambit und dem Königsfianchetto aufbaut, so - mögen auch jene Zugreihen nachgewiesenermaßen bereits von Palamedes oder von Sissa angewandt worden sein! - ist es doch klar, daß wir es hier mit etwas Neuem, Schachrevolutionärem zu tun haben! Mag daher auch der weltgereister Meister Kostitsch die neue Schachrichtung als 'Bluff' bezeichnen, nichtsdestoweniger pflegt er sich alle Evolutionen und Zusammenhänge dieses Bluffs in seinem Notizbuche fleißig zu notieren und dieselben als etwas wirklich Vorhandenes, kraftvoll Gestaltendes, vielseitig Aufrüttelndes zu studieren!" Die Grünfeldindische Verteidigung ließ sich jedenfalls von keinem "Nominalistenstreit" vom ihrem Weg abbringen. Hochgeschätzte Meister wie zum Beispiel der amerikanische Ex-Weltmeister Bobby Fischer sahen in ihr eine scharfe Klinge und belegten dies mit einer Reihe glänzender Siege. Ihre Behandlung ist indes äußerst verwickelt und verlangt höchst genaues Spiel. Wer einmal daneben tritt, bezahlt dies mit einer prompten Niederlage wie Meister Stohl, der anläßlich der Österreichischen Mannschaftsmeisterschaft zur Idee Grünfelds griff, jedoch die nötige Akkuratesse vermissen ließ. Mit seinem letzten Zug 1...Sc6-d4+ im heutigen Rätsel der Sphinx hoffte er, mit einem blauen Auge davonzukommen. Nun, Wanderer, sollte er soviel Glück haben?



SCHACH-SPHINX/06547: Streit um das Grünfeldindische Geburtsrecht (SB)

Tschernin - Stohl
Österreich 1993

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die Abtauschvorbereitung der Türme durch 1...Kd8-d7 erwies sich nach 2.Df2-b6! als ein Schlag ins Wasser. Nun wäre auf 2...Th8-c8? vernichtend 3.e5-e6+! gefolgt. Also disponierte Kamsky um und zog 2...Th8-d8, worauf Kasparow die schwarze Stellung unter Strom setzte: 3.Tc3-c5! Dd5-d1+ 4.Kb1-a2 Kd7-e8 5.Db6xb7 Dd1-g4 6.e5-e6! f7xe6 7.Tc5- e5 Dg4-g5 - 7...Ke8-f8 8.f5xe6 Kf8-g8 9.Db7-f7+ - 8.h2-h4! Dg5xh4 9.Te5xe6+ Ke8-f8 10.f5-f6 und die Versperrung der Halbdiagonale d8-h4 brachte den Sieg.


Erstveröffentlichung am 30. April 2005

27. April 2018


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