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SCHACH-SPHINX/06121: Arabische Anekdoten II (SB)


Stille herrscht im Spielsaal, wenn die Meister der Kunst sich gegenübersitzen. Kein störendes Geräusch darf sie aus ihrer tiefen Versunkenheit aufscheuchen. Nur das Atmen und vielleicht auch das Getriebe ihrer Gedanken werden geduldet. Alles andere wäre ein unverzeihlicher Frevel. Das einzige, womit die Meister bei ihren Partien sprechen, sind ihre Züge. Im alten Arabien wäre dieses Schweigen hingegen als Beleidigung aufgefaßt worden. Das hitzige Temperament ihrer Kultur hätte nie erlaubt, daß sich zwei Spieler derart abschotteten und ihrem Publikum damit die schuldige Geselligkeit verwehrten. Lauthals ging es bei ihren Partien zu, und so herrschte die Gepflogenheit, einander mit Sprüchen und Versen, je nach Können, zu attackieren. Die Ehre des arabischen Schachmeisters stand auf dem Spiel, und diese begrenzte sich nicht bloß auf das Brett. Wer nicht über eine gewitzte Zunge verfügte, der konnte gewinnen und war in den Augen der Zuschauer doch der eigentliche Verlierer. Ziel war es, alle Anwesenden mit dem Spiel als auch mit Wortergüssen zu erheitern. Wer düster über dem Brett hockte, galt als schlechter Gastgeber und wurde künftig gemieden. Wie es in Arabien bei Schachpartien zuging, überlieferte uns der Geschichtsschreiber al- Mas'udi: "Die Schachspieler pflegen verschiedene Arten von Späßen und Witzen zu machen, die überraschen und verblüffen sollen. Viele behaupten, daß dadurch die Spieler angeregt würden und daß es Überlegung und klare Entschlüsse fördere. Man kann sie mit den kurzen, improvisierten Versen vergleichen, mit denen Krieger dem Feind entgegentreten oder die den Kameltreibern beim langsamen Gang des Kamels oder den Wasserträgern beim Heraufholen des Eimers einfallen. Sie gehören zum Rüstzeug des Spielers wie des Kriegers." Man stelle sich den Tumult beim heutigen Rätsel der Sphinx einmal im Geiste vor, wenn die Partie zwischen Simowitsch und Witolinsch im alten Arabien gespielt worden wäre. Denn Witolinsch hatte zuletzt 1...Sb8-d7? gezogen und sich damit der scharfen Zunge seines Kontrahenten ausgeliefert. Nun, Wanderer, wer den Schaden hat, dem bleibt der Spott nicht erspart.



SCHACH-SPHINX/06121: Arabische Anekdoten II (SB)

Simowitsch - Witolinsch
Moskau 1962

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Mit 1...Tf6xf3! wurde der erste Knoten zum Mattnetz zugezogen. Nach 2.Le2xf3 straffte sich der zweite mit 2...Dd5xf3+! Danach gab es kein Entrinnen mehr: 3.Kg2xf3 Sc6xd4+ 4.Kf3-g4 Lb7-c8+ 5.Kg4-h4 Sd4-f3#


Erstveröffentlichung am 04. März 2004

24. Februar 2017


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