"In der einen Hälfte des Lebens opfern wir unsere Gesundheit, um Geld zu erwerben", so der französische Philosophenkönig Voltaire, denn er erkannte: "In der anderen Hälfte opfern wir das Geld, um die Gesundheit wieder herzustellen." Fein gesprochen, artig und adrett. Schließlich sollte der Existenzialismus ja erst zwei Jahrhunderte später das Licht dieser widersprüchlichen Welt erblicken. Zumindest irrte sich Voltaire nicht irrte, daß ein Schaden durch den anderen erkauft wird. Man lese nur seinen 'Candide', um den ironischen Witz von der besten aller möglichen Welten zu verstehen, ein Einfall, zu dem wohl erst ein französischer Denkerkopf geschaffen werden mußte. Auch in der Schachkunst scheint man zuweilen nach dieser Losung zu verfahren. Raumgewinne auf dem einen Flügel auf Kosten der Enge auf dem anderen. Werfen wir dazu nur einen Blick ins heutigen Rätsel der Sphinx. Meister Kudrin hatte die eine Hälfte des Spiels damit verbracht, auf dem Damenflügel Kapital zu sammeln, während sich sein Kontrahent Polugajewsky auf der anderen Seite schadlos hielt. Als Kudrin erkannte, daß er im Alter auf der Königsseite recht gebrechlich geworden war, kam der Gedanke einer Schadensbegrenzung und Kapitalumverteilung viel zu spät. Ist Reue etwa das Thema für den Einsatz des Lebens? Meister Kudrin hatte zuletzt jedenfalls 1...Ld7-b5 gespielt, und fiel dann auf den harten Boden der Vergeblichkeit, Wanderer.
Polugajewsky - Kudrin
New York 1989
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Lust und Wehe Hand in Hand - ein altes Thema und in der Partie
zwischen Mues und Reinhardt neuaufgelegt: 1.a2-a3 Lb4xd2+ 2.Lc1xd2
Se4xd2 3.Sf3xd2 Td8xd2! 4.Ke1xd2 Dc7-e5! Ei, nun kam der Schmerz, denn
5.Da4-b5 scheiterte an 5...Th8-d8+ 6.Kd2-e1 Sc6-d4! oder 6.Kd2-c1 Sc6-
d4!, weswegen sich der weiße König mit 5.Kd2-e1 sogleich in sein
Schneckenhaus verkroch, was ebenfalls nicht viel nützte, denn nach
5...De5xb2 6.Ta1-d1 Lf5-c2 oder 6.Da4-d1 Db2-c3+ wäre es ohnehin Zeit
gewesen zum Aufgeben.
Erstveröffentlichung am 23. September 2003
11. September 2016
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