Daß Schachspieler Nerven aus Drahtseil besitzen, wird allgemein anerkannt, meint im Grunde jedoch, daß ihre Geduld zuweilen bereits an die Pforten des Unmenschlichen anklopft. Man erinnere sich da an die längste je gespielte Turnierpartie zwischen Thomas Ristoja und Jan- Michael Nykopp bei der offenen Finnischen Meisterschaft 1991 in Tampere. Beide Spieler hatten sich in die Stellung verbissen. Nuance um Nuance suchten beide einen Vorteil aus der mehr oder weniger ausgeglichenen Partie zu erwirtschaften. Als dann das Endspiel anbrach, verloren beide wohl Kopf und Übersicht, denn erst nach insgesamt 15 Stunden Spielzeit und 300 Zügen waren beide so erschöpft und inzwischen lustlos geworden, daß sie sich auf ein Remis verständigten. Man kann sicher unterstellen, daß Ristoja und Nykopp in der Endspielkunst nicht so bewandert waren, sonst hätten sie lange bevor erkennen können, daß nur ein grober Verstoß gegen die simpelsten Endspielregeln einen Sieg erschwindelt hätte. Endspiele schreiben so ihre eigenen Gesetze, die sich weder mit Eröffnungs- noch mit Mittelspielstrategien in Einklang bringen lassen. Wer diese Phase der Partie nicht beherrscht, sollte tunlichst zusehen, daß er seinen Gegner zuvor Matt setzt. Von der Stellung der Könige hängt in der Regel ab, ob die materialschwächere Seite ein Remis halten kann oder nicht. Im heutigen Rätsel der Sphinx besaß Eduard Lasker mit den schwarzen Steinen zwar einen Mehrbauern und Qualitätsvorteil, doch sein Kontrahent Emanuel Lasker konnte dank besserer Königsstellung sogar mit einem Springer gegen einen Turm das Unentschieden forcieren. Viel Spaß beim Grübeln, Wanderer!
Em. Lasker - E. Lasker
New York 1924
Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Aljechin nutzte die unharmonische Aufstellung der weißen Figuren nach
1.e3-e4 zu einer bezaubernden Siegeswendung: 1...Sb5-d6! 2.Tb2xb7
Tb8xb7 3.Tb1xb7 De7xb7 und nun verbot sich 4.e4xd5 wegen 4...Db7-b2!
5.Le2-d1 Sd6-e4 6.Dd2-e2 e6xd5 7.Sc2-e3 Db2-c1. Also spielte Kmoch
bescheiden 4.Dd2-c1, sah jedoch nach 4...Sd6xe4 5.Sc2-e3 h4xg3 6.h2xg3
Se4xg3 7.Kg1-g2 Sg3-e4+ keine Veranlassung mehr, die verlorene Partie
weiterzuspielen.
Erstveröffentlichung am 26. August 2003
13. August 2016
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