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SCHACH-SPHINX/05887: Selbstvergessende Lektüre (SB)


Daß ein spannendes Buch einen Meister um den Sieg bringen könnte, wer hätte das je geglaubt, auch nur für möglich gehalten, und doch trug es sich so zu, nämlich 1911 in Karlsbad. Fedor J. Dus-Chotimirski, ein 32jähriger, zwar begabter, doch noch recht turnierunerfahrener Meister aus Moskau, hatte gegen Meister Süchting eine Gewinnstellung erreicht. Nur noch ein paar Züge, reines Handwerkskönnen im Grunde, und der Punkt wäre an ihn gegangen. Doch Süchting, ein hartschädeliger Mensch, vertiefte sich mehr und mehr in die trostlose Stellung in der Hoffnung, vielleicht doch noch einen verborgenen, remisverheißenden Zug zu finden. So vergingen die Minuten und Dus-Chotimirski begann sich allmählich zu langweilen. Also griff er zu einem Buch und las. Die Lektüre war so ergreifend, daß er alle Welt um sich herum vergaß und natürlich nicht bemerkte, daß Süchting schließlich doch einen Zug ausführte. Inzwischen schritt die Zeit auf der Schachuhr des Russen unentwegt voran. Kein Ticken, kein Hüsteln konnte Dus-Chotimirski aus der Versunkenheit entreißen. Erst als ihm der Schiedsrichter darauf aufmerksam machte, daß er durch Zeitüberschreitung verloren hatte, stahl sich Entsetzen auf sein Gesicht. Der junge Meister brach fast in Tränen aus, so tief erschütterte ihn die Niederlage. Berufsspieler, der er war, hing von jeder gewonnenen oder verlorenen Partie Wohl und Wehe seines Lebens ab. Bei soviel Elend zeigte schließlich der Turnierdirektor Mitleid und rief den Bedauernswerten zu sich. Mit einer Banknote aus privater Kasse unterbrach der Direktor den Tränenfluß des Ärmsten. Wie gut, daß Alexander Aljechin im heutigen Rätsel der Sphinx kein fesselndes Buch zur Hand hatte, er hätte sonst mit den weißen Steinen die glänzende Siegeskombination gegen Meister Subarjew verschlafen, Wanderer.



SCHACH-SPHINX/05887: Selbstvergessende Lektüre (SB)

Aljechin - Subarjew
Moskau 1916

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Damen stecken voller Tücke, und besonders die von Meister Kovacevic. Als sich diese mit 1.Dg4-e6+! vom Brett verabschiedete, folgte ihr ein wenig später der schwarze König nach: 1...Sc5xe6 2.Lh3xe6+ Tf8-f7 - 2...Kg8-h8 3.Le3xh6! g7xh6 4.g6-g7+ Kg8-h7 5.g7-g8D+ Tf8xg8 6.Le6-f5+ Tg8-g6 7.Tg1xg6 Le7-f8 8.Tg6xc6+ - 3.g6xf7+ Kg8-f8 4.Th1xh6! Le7-f6 5.Le3-c5+ Sc4-d6 6.Th6-h8+ Kf8-e7 7.Th8xd8 Dc7xd8 8.Tg1-d1 Lf6-g5+ 9.Kc1-b1 und Schwarz gab auf, denn nach 9...Ke7xe6 10.Td1xd6+ Dd8xd6 11.Lc5xd6 wäre das Endspiel hoffnungslos gewesen.


Erstveröffentlichung am 17. Juli 2003

04. Juli 2016


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