Schattenblick → INFOPOOL → SCHACH UND SPIELE → SCHACH


SCHACH-SPHINX/05881: Klaustrophobische Verlustangst (SB)


Es gibt viele Arten, eine Niederlage wegzustecken. Das Gros der Verlierer setzt eine unverbindlich lächelnde Maske auf, reicht dem anderen die Hand und verläßt stehenden Fußes den Ort der Kapitulation. Dann gibt es noch den Typ von Mensch, der sich, dem anderen und aller Welt hinterher lauthals erklären muß, daß er gar nicht hätte verlieren müssen, wenn ihm nicht dieser oder jener dumme Zug dazwischengefunkt hätte. Wohl lag es an dem viel zu hellen Licht oder an der schwerverdaulichen Mahlzeit, daß er seine Gedanken nicht beieinander hatte. Diese Art von Verleugner ist der widerlichste und kommt gar nicht einmal selten vor. Die beste Art und Weise, sich aus der Affäre zu ziehen, fand freilich Meister Adorjan in München 1979. Adorjan hatte keine guten Tage auf dem Turnier gehabt. Seine Pläne mißrieten und seine Fallen wurden samt und sonders aufgedeckt. In seiner Partie gegen Ludek Pachman geschah's nun, daß er den Vorteil aus der Eröffnungsphase nach und nach wieder einbüßte und schließlich geradezu miserabel stand. In seiner klaustrophobischen Verlustangst erhob er sich jäh beim 34. Zug und machte ein paar Schritte. Pachman führte in der Zwischenzeit den zum Sieg führenden Zug aus, und als Adorjan zum Brett zurückkehrte und einen Blick auf die entflammte Stellung warf, überkam es ihm heiß und kalt und ein schwarzer Schleier senkte sich über seine Augen. Da lag er auch schon langgestreckt am Boden. Blutleer im Gesicht gab Adorjan die Partie auf und ließ sich auf sein Zimmer führen. Seine Glieder waren am nächsten Tag noch so schwach von der erlittenen Niederlage, daß er die Schiedsrichter bat, die nächsten Partien vom Bett aus spielen zu dürfen. Der Vorschlag wurde natürlich abgelehnt und so reiste Adorjan noch am selben Tag ab. Also, Wanderer, der Ohnmacht wieder auf die Füße geholfen, welchen weißen Zug hatte Adorjan im heutigen Rätsel der Sphinx vorausgeahnt?



SCHACH-SPHINX/05881: Klaustrophobische Verlustangst (SB)

Pachman - Adorjan
München 1979

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Meister Sillye öffnete mit 1...d4-d3! die Diagonale des schwarzfeldrigen Läufers und drohte im zweiten Zuge 2...Dh4xh3! 3,g2xh3 Tg8-g1# Also versuchte es sein Kontrahent Zagonyi mit 2.Lf3xe4 f5xe4 3.Te1xe4, doch die Parade half nicht, weil 3...Dh4xh3! immer noch durchschlug; indes, es gab ohnehin keine Rettung mehr.


Erstveröffentlichung am 11. Juli 2003

28. Juni 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang