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SCHACH-SPHINX/05794: Betrug durch Bauchrednerkünste (SB)


Als Alexander Aljechin in Zürich 1921 auf den Zug 1.e2-e4 seines Kontrahenten Steiner mit 1...Sg8-f6 antwortete, zogen viele der anwesenden Meister im Turniersaal die Stirn kraus oder schüttelten ungläubig den Kopf. In der Meisterpraxis war dieser Zug vordem nie aufgetaucht, obwohl er von Laienspielern hin und wieder angewendet worden war, jedoch ohne klar umrissene strategische Grundlagen. Heutzutage wundert sich niemand mehr, wenn jemand die Aljechin- Verteidigung spielt. Damals jedoch war es ungefähr so sinnverwirrend wie die erste öffentliche Vorführung des Phonographen vor der Pariser Akademie der Wissenschaften am 11. März 1878. Und auch die Reaktionen mögen ähnlich gewesen sein. Der französische Arzt Jean Baptiste Bouillaud hatte, nachdem die ersten Töne verklungen waren, entrüstet ausgerufen: "Betrug! Es ist unerhört, Akademiker durch Bauchrednerkünste irrezuführen!" Wie schrill Neuheiten aufgenommen wurden, zeigte auch die Einführung der ersten Zinkschallplatte durch den nach Amerika ausgewanderten Emil Berliner. In einer Zeitschrift war seinerzeit zu lesen, daß sich die Tonwiedergabe anhörte "wie das Geschrei eines wilden Esels". Nun erregte der Zug 1...Sg8-f6 nicht lange ein Stirnrunzeln, da Aljechin einige beachtenswerte Erfolge mit der neuen Verteidigungsidee vorweisen konnte wie im heutigen Rätsel der Sphinx, wo er den englischen Meister Thomas in eine aussichtslose Endspielsituation brachte. Thomas hatte zuletzt 1.Lc1-b2 gespielt und hoffte, die Stellung in einem Remis totsitzen zu können, allein Aljechin fand das richtige Rädchen, an dem er drehte, um die Partie zu einem Sieg hinzuführen. Also, Wanderer, mit welchen Zügen rollte die schwarze Stellung zum Sieg?



SCHACH-SPHINX/05794: Betrug durch Bauchrednerkünste (SB)

Thomas - Aljechin
Baden-Baden 1925

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die haarsträubend-schöne Kombination begann mit dem Turmopfer 1...Td8xd4!, worauf 2.e3xd4 an 2...Lg7xd4+ 3.Kg1-f1 Sd3-f4 4.De2xe4 - 4.De2-d2 Dc8-c4+ 5.Kf1-e1 Sf4-d3+ - 4...Dc8-c4+ 5.Kf1-e1 Sf4xg2+ gescheitert wäre. Doch Grünfeld glaubte, mit 2.f3xe4 den Hals noch aus der Schlinge ziehen zu können. Er irrte, aber die doppelte Pointe war in der Tat schwer zu sehen: 2...Sd3-f4! 3.e3xf4 Dc8-c4!! Wundervoll, keine Gegenwehr half nun. 4.Sa2-c3 Dc4xe2 bzw. 4.Td1-e1 Dc4xa2 hätten schnurstracks zur Niederlage geführt, aber auch Grünfelds Verlegenheitsantwort 4.De2xc4 war kein Rettungsring: 4...Td4xd1+ 5.Dc4- f1 Lg7-d4+ und Weiß gab wegen Figurenverlustes auf.


Erstveröffentlichung am 17. April 2003

02. April 2016


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