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SCHACH-SPHINX/05562: Irrtum mit tausend Möglichkeiten (SB)


Schachvarianten in Büchern sind versiegelte Geheimnisse. Wie eine konservierte Wahrheit laden sie den Lesenden ein, sich ihrer in einer Partie zu bedienen. Schließlich unterschrieb ein namhafter Meister dies Zertifikat, und man möchte doch annehmen, daß er gewissenhaft analysiert hatte, wo nicht sind Reinfälle vorprogrammiert. Irren ist bekanntlich menschlich. Denn der Rattenschwanz der Möglichkeiten, der sich dann in mannigfaltigen Richtungen fortpflanzt, heißt Glaubwürdigkeit. Die bringen nämlich viele Turnierspieler den Machwerken aus Wort und Variantenmathematik oft ungeprüft entgegen. Es klingt ja auch simpel, wenn unter einer Analyse der Vermerk steht: Weiß ist im Vorteil, gar im entscheidenden. Und da das Auge meist nur halbherzig nach Fehlern Ausschau hält, wenn ihm versichert wird, man habe bereits nachgesehen, nimmt der Verstand dies eben als bare Münze und packt die Analyse ins Gedächtnis, bis sie dann wieder hervorgekramt wird bei einer Turniergelegenheit. Man glaubt gar nicht, wieviele Partien auf diese Weise wieder den Nährstoff bilden für das nächste Theoriewerk. Ein Scheitern folgt dem anderen, bis ein gewaltiger Berg entsteht, den ohnehin kaum jemand abtragen kann. Eine Büchersintflut ist die Folge, und die nächste Generation steht wieder vor dem alten Dilemma. Was tun? unkt die Kritik dazwischen, auch der hellste Kopf verliert einmal den Faden. Knäuel sind es mittlerweile, und strenggenommen reicht zum Entwirren ein Menschenleben schon nicht mehr aus. So bleibt graue Theorie, was einst ein blühender Strauch war. Ob auch der rumänische Großmeister Florin Gheorghiu einer fatalen Empfehlung im heutigen Rätsel der Sphinx gefolgt war, als er mit den weißen Steinen auf der Schacholympiade in Luzern 1982 gegen seinen chinesischen Kontrahenten Liu verlor? Schließlich setzte ihm dieser mit zwei Zügen matt. Die Sache ist verbürgt, Wanderer!



SCHACH-SPHINX/05562: Irrtum mit tausend Möglichkeiten (SB)

Gheorghiu - Liu
Luzern 1982

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Erfinderisch, wie er war, opferte David Janowsky mit 1.De3-h6! seine Dame. Die Sache hatte aber einen Haken. Nach 1...g7xh6 wäre Fritz Sämisch nämlich mit 2.Th3-g3# mattgegangen. Verfänglich war die Stellung nun und gänzlich ungereimt. Und da auf das plausible 1...f7- f6 beispielsweise 2.Dh6-h7+ Kg8-f7 3.Ld3-g6+ Kf7-e6 4.Le5xd6 Ke6xd6 5.0-0-0+ mit betrüblichem Ende gefolgt wäre, quittierte Sämisch seinen Dienst und ging, wenn auch besiegt.


Erstveröffentlichung am 30. August 2002

10. August 2015


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