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SCHACH-SPHINX/05554: Unverstand trägt Masken (SB)


Der Mensch ist es gewohnt, die Wahrheit über die Fakten zu stellen, das Bücherwissen über die Intuition und den Zweifel, sogar das Gefühl von Gewißheit rangiert bei ihm zuweilen höher als die Skepsis hinsichtlich eines möglichen Irrtums. Mit demselben Recht erhebt er das Anschauliche, beispielsweise eine Schachstellung, über den kritischen Blick, der zunächst einmal hinter den Kulissen nach dem Tatsächlichen forschen möchte. Kommt ein Einwand, so heißt es rasch wie aus der Pistole geschossen: Karpow spielt aber so und so bzw. Kasparow zieht niemals so und so. Unverstand trägt Masken oder mit Schopenhauer geredet: "Bestätigt wird dasselbe zwar jeden Augenblick durch die unerschütterliche Gewißheit, mit der jeder in allen Fällen von der Erfahrung erwartet, daß sie diesem Gesetz gemäß ausfalle, d.h. durch die Apodiktizität, die wir selbiger beilegen, die sich von jeder anderen auf Induktion gegründeten Gewißheit, z.B. der empirisch erkannten Naturgesetze dadurch unterscheidet, daß uns sogar zu denken unmöglich ist, daß dieses Gesetz irgendwie in der Erfahrungswelt eine Ausnahme erleide. Wir können uns z.B. denken, daß das Gesetz der Gravitation einmal aufhörte zu wirken, nicht aber, daß dieses ohne eine Ursache geschehe." Friedrich Nitzsche behauptet allerdings: "...das große Stimulans zum Leben, darüber hinaus die Erlösung des Erkennenden, wenn er den furchtbaren und fragwürdigen Charakter des Daseins nicht nur sieht, sondern ihn leben will: des Helden; die Erlösung des Leidenden, der durch sie den Weg findet zu Zuständen, wo das Leiden gewollt, verklärt wird. Der Wille zur Macht spricht in der Kunst, die den Zustand ohne Furcht vor dem Furchtbaren mitteilt." Genug der Maskerade, Wanderer? Dann auf zum heutigen Rätsel der Sphinx und damit zur hintergründigen Frage, wie Viktor Kortschnoj mit den schwarzen Steinen die scheinbar remisverdächtige Stellung zu einem fulminanten Sieg führte?



SCHACH-SPHINX/05554: Unverstand trägt Masken (SB)

Awerbach - Kortschnoj
Eriwan 1965

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Natürlich ließ sich Viktor Kortschnoj von einem solch plumpen Annäherungsversuch wie 1...Tc3-c8 nicht foppen, sondern setzte seine Siegeslinie mit 2.De8-g6+ Kh7-h8 3.Td6-d7 Tc8-g8 4.Se3-g4 fort, worauf Lew Polugajewsky die Waffen streckte.


Erstveröffentlichung am 22. August 2002

02. August 2015


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