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SCHACH-SPHINX/05547: Was bedeutet Denkästhetik? (SB)


Immer schon haben Laien versucht, ins Wesen einer Schachpartie vorzudringen. Die Versuche waren zahlreich, ungeachtet dessen fehlte ihnen die gesunde Farbe des Begreifens; angekränkelt waren sie von einer Blässe desjenigen, der über ein Gebiet Worte verlor, das er nie oder nur bruchstückhaft betreten hatte. In den 60er Jahren unternahm Alois Wotawa in seinem Buch "Auf Spurensuche mit Schachfiguren" einen Vorstoß in die Verschlungenheit menschlicher Denkprozesse. Seine Fackel, die ihm durchs Dunkel geleiten sollte, hieß Ästhetik. Hören wir ihn dazu selbst: "Hält man dieser erstaunlichen Kurzsichtigkeit gegenüber unverrückbar fest, daß ausnahmslos jedes Menschentum und Menschenwerk, die ästhetischen Genuß vermitteln, Kunst ist, kann nicht mehr fraglich sein, daß auch reines Denken, wie solches z.B. in sehr beträchtlichen Gebieten der Philosophie, der Mathematik und anderer Wissenszweige zutage tritt, durch Genialität der Einfälle und Eleganz der Beweisführung just jene oft zutiefst befriedigenden Gefühle auslösen kann, die sich bei Aufnahme der traditionellen Kunstwerke und Kunsttaten einstellen. Der Umstand, daß es sich um Denkästhetik, um rein intellektuelles Wohlgefallen handelt, kann dem echten Kunstcharakter der betreffenden geistigen Leistungen nicht Abbruch tun. Auch die Tatsache nicht, daß solche Fälle ästhetisch fruchtbaren Denkens sich mehr als häufig auf streng wissenschaftlichem Boden ereignen. Treten sie hier auf, verlieren sie hierdurch keineswegs ihre künstlerische Artung: Sie fügen vielmehr dem Werte der Wissenschaft den der Kunst hinzu. Zum künstlerisch wertvollen Rational-Schönen zählen, will man nicht engstirnigem Dogma huldigen, auch Denkaufgaben, sobald sie ... unabweislich zu ästhetischen Emotionen führen ... Das will heißen, daß, wenn auch nur fallweise, selbst das praktische Spiel, die Schachpartie, ganz oder zu einem Teil Kunstwerk sein kann, wenn durch tief durchdachtes Positionsspiel oder durch ebenso zwingende wie blendende Kombinationen helles Entzücken wachgerufen wird". Alles schön und gut, oder um es mit dem verstorbenen Ex- Weltmeister Michail Tal zu sagen: "Weiß denn eigentlich der Mensch selbst, wie er denkt?" Sei einmal dahingestellt, was den inneren Genuß, dies sogenannte kunstvolle Denken, im Kern und überhaupt ausmacht, im heutigen Rätsel der Sphinx kann man ihm vielleicht ein wenig auf die Spur kommen. Mit den schwarzen Steinen schien Michail Botwinnik, ein anderer ehemaliger Weltmeister, der ebenfalls vor Jahren bedauerlicherweise verstarb, ins Remis einwilligen zu müssen. Entweder könnte er nun 1...Kb8-a8 mit Dauerschach durch 2.Tc7-c8+ usw. spielen oder den Rücktausch der Dame gegen den Turm vorbereiten, wonach sein Kontrahent Makagonow jedoch hervorragende Remischancen gehabt hätte. Aber es gab da noch eine dritte Möglichkeit, Wanderer!



SCHACH-SPHINX/05547: Was bedeutet Denkästhetik? (SB)

Makagonow - Botwinnik
Swerdlowsk 1943

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Bobby Fischer konnte getrost 1.Dg5-h6! ziehen, ohne 1...c2-c1D+ 2.Ta1xc1 Tc8xc1+ 3.Kg1-h2 fürchten zu müssen. Der Grund wird gleich ersichtlich. Mjagmasuren zog nämlich 1...De8-f8, wonach Fischer galant und aufs excellenteste mit 2.Dh6xh7+! Kg8xh7 3.h5xg6++ Kh7xg6 4.Lg2- e4# mattsetzen konnte.


Erstveröffentlichung am 15. August 2002

26. Juli 2015


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