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SCHACH-SPHINX/05522: Bedarf an Lob (SB)


Es scheint an der Zeit zu sein, den Bedarf an Lob wieder hervorzukitzeln, denn nichts schmeichelt den modernen Menschen mehr als das Ego seiner Vernunftbegabtheit. Kopflastig, wie er nun einmal ist, spricht er auf Worte stärker an als auf korrumpierbare Tatsachen. Schon Goethe wußte zu sagen: "Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigener Geist, in dem die Zeiten sich bespiegeln." Na und! ruft da die zänkische Seele auf, ein jeder wie er es eben kann. Fleißig hortet der Mensch sich dazu ein Selbstverständnis zusammen, das keinen Zweifel zuläßt. Der vernünftige Mensch von heute spielt Schach. Selbst die Sportler geben sich intellektuell. Wie es heißt, spielen sie jetzt häufiger in ihrer Freizeit das Königliche Spiel. Das Mentale aufbauen, sagen sie dann, und neulich hörte man einen Fußballtrainer rühmen, seine Jungs würden nun besser den Ball treten, seit sie sich auch vom Kopf her strapazieren. Wir glauben's gern. Die deutsche Sportnation übt sich im Kombinieren. Längst war es überfällig, dieses Denken um die Wette. Das Ausland murrt und fühlt sich übergangen. Kehren die Deutschen zu ihrem Dichter- und Denkerpathos zurück? Erinnern wir uns, im Schach-Echo 1956, Heft 1, stand zu lesen: "Würde sich das Schach nur aus räumlichen und zeitlichen Beziehungen, etwa gepaart mit rein dynamischen Kräften, zusammensetzen, so wäre es, wie z.B. die mathematischen Kampfspiele, ohne weiteres mit prägnanten Methoden zu durchforschen. Doch in das Schach ist hineingelegt eine stilisierte Kausalität, eine Materie, die außer Dynamik noch Statik aufweist. Und gerade die Verbindung dieser Elemente in jedem Stein, die das Spiel so anziehend und so schwierig macht, erschwert, ja macht wissenschaftliche Sicherheit unmöglich." Wie sehr dies zutrifft hätte der indische Großmeister Viswanathan Anand bei einem Frankfurter Simultanturnier - er spielte gegen 40 Gegner nur mit den schwarzen Steinen - beinah am eigenen Leibe erfahren. Sein Kontrahent Dieter Auer spielte in der Diagrammstellung 1.Lg5-e3, so daß Anand nach 1...Df5xc5 2.Le3xc5 Lg7-f8 3.Lf3-d5 remisieren konnte. Wie hätte Auer jedoch im heutigen Rätsel der Sphinx spielen müssen, um Siegeschancen zu erhalten, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05522: Bedarf an Lob (SB)

Auer - Anand
Frankfurt 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Smyslow geizte nicht mit Material, dynamischer Verstand, sonst nichts, sagte er sich und opferte nach 1...Tc4-e4+ flugs mit 2.Dd3xe4! seine Dame. Doch nicht umsonst warf er seine Königin fort, sondern holte sich mit 2...d5xe4 3.Tb7-b8+ Ld7-c8 4.Lf1-b5+ Da5xb5 5.Tb8xb5 Sf8-e6 6.Lg5-f6 Tg8xg2 7.h4-h5 Lc8-a6 8.h5-h6 als Kompensation den Triumph nach Hause.


Erstveröffentlichung am 22. Juli 2002

01. Juli 2015


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