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SCHACH-SPHINX/05518: Vom Vordenker zum Dogmatiker (SB)


Das Werk und Wirken des ersten offiziellen Schachweltmeisters Wilhelm Steinitz ist ambivalent. Sicherlich, seine spielerischen Leistungen sprechen für sich, und auch sein Versuch, die Schachstrategie in ein einfaches Verständnis zu kleiden, muß respektvoll hervorgehoben werden. Leider scheiterte er an einem feinen Rädchen, das seine groben Finger zu drehen nicht imstande waren. Nüchternheit, so heißt es. In seinem Versteigen, sich gegen die zeitgenössischen Denkströmungen behaupten zu müssen, machte er den Fehler, den viele engagierte Denker schon vor ihm gemacht hatten: Um Recht zu haben, wurde er zum Dogmatiker. Dr. Fritz Siebert, einer der wenigen Philosophen des Schachspiels, schrieb in Anerkennung seiner Verdienste: "So hat Wilhelm Steinitz zwei Grundregeln erkannt: 1. daß kein Schachmeister Wunder tun kann. Daß nicht der genialste Meister die Partie gewinnt, sondern der Mann am Brett, der die richtige Variante spielt (diese Formulierung stammt von Siegbert Tarrasch). Damit hat Steinitz genialen Begabungen wie einem David Janowski und Michael Tschigorin schachgeschichtlich das Wasser abgegraben, weil diese phantasiebegabten 'Spieler' von dem Wahn nicht loskommen konnten, als könnten sie irgendein 'Wunder' aus einer hochstaplerisch verbauten Stellung herausholen. 2. daß das Schachspiel kein Übergewichtsspiel ist, sondern ein Gleichgewichtsspiel. Zu Beginn der Partie sind die Kräfte von Schwarz und Weiß völlig identisch und die Stellungen sind symmetrisch zueinander angeordnet. Aus diesen beiden Umständen völlig gleichmäßiger Kraftverteilung in symmetrischen Stellungen von Schwarz und Weiß, hat Steinitz klar erkannt, daß der bloße Anzug beim Spielen Zug um Zug zur Begründung eines siegverheißenden Übergewichtes durch bloße Führung der weißen Steine niemals ausreichen könne und daß man daher bei seinem Aufmarsch lavieren müsse, um irgendwelche Fehler des Gegners abzuwarten, besser gesagt herauszufordern." Seine Theorien hatte er teilweise sogar in hervorragender Weise gegen seinen zeitgenössischen Widersacher Tschigorin gesetzt. Im heutigen Rätsel der Sphinx gab der russische Meister mit seinem nächsten Zug 1...Se6xd4 Steinitz die Möglichkeit, die Partie mit einer schlagenden Kombination zu vollenden. Man muß kein Dogmatiker sein, Wanderer, um sie zu finden!



SCHACH-SPHINX/05518: Vom Vordenker zum Dogmatiker (SB)

Steinitz - Tschigorin
Wettkampf 1892

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Karpow machte die Schwäche der schwarzen Grundreihe zum Sprungbrett für seinen Sieg und zog nach 1...Ld5-b3 kaltblütig 2.Td1-d7! Nun verbot soch 2...Lb3xc2 wegen 3.Td7xb7! Tb8xb7 4.Ta6-a8+ Le7-f8 5.Lf2- c5. Also blieb Kasparow nichts anderes übrig, als mit 2...Tb8-d8 auf Vereinfachung zu spielen, aber seine Stellung hing schon zu sehr durch und so gab er nach 3.Ta6xe6 Td8xd7 4.Te6-e1 Td7-c7 5.Lf2-b6 auf.


Erstveröffentlichung am 18. Juli 2002

27. Juni 2015


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