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SCHACH-SPHINX/05486: Unzeitige Anstrengung (SB)


Abraham Lincoln hatte die Weisheit, "nur wer bereit ist, seinem Freund auch dann für einen Rat zu danken, wenn sich dieser als falsch erwies, hat einen guten Charakter", ins Gedächtnis der Welt eingeschrieben. Auf so manchem Rat folgte nämlich bittere Rache. Das Zauberwort heißt allerdings Vertrauen, und wer einen Rat gibt, ohne dafür geradezustehen, nun, der hat die Konsequenzen für seine Worte nicht minder zu übernehmen wie der besagte Freund, der darauf hört. Ob Artur Schopenhauer, lebte er noch, mit Ressentiments rechnen müßte, für seinen Rat: "Der Muskel wird durch starken Gebrauch gestärkt; der Nerv hingegen dadurch geschwächt. Also übe man seine Muskeln durch jede angemessene Anstrengung, hüte hingegen die Nerven vor jeder; also die Augen vor zu hellem, besonders reflektiertem Lichte, vor jeder Anstrengung in der Dämmerung wie auch vor anhaltendem Betrachten zu kleiner Gegenstände; eben so die Ohren vor zu starkem Geräusch; vorzüglich aber das Gehirn vor gezwungener, zu anhaltender oder unzeitiger Anstrengung." Was fängt ein Schachspieler mit einem solchen Rat an? Die Figuren sind klein, die Gedanken unverwandt auf ein Ziel gerichtet, die Nerven wollen explodieren, in den Ohren rauscht das Blut und auch das Licht im Saal schwankt zwichen grell und dämmerig. Wie gut, daß Schopenhauer beim Philosophieren geblieben war und sich nicht als Schachspieler zu bewähren suchte. So mancher Fuß hätte ihm wohl das Schienbein grün und blau blessiert. Zu sehr hatte auch die ungarische Großmeisterin Judit Polgar in ihrer Partie gegen den holländischen Heißsporn Joel Lautier auf einen Sieg hingedrängt, als sie mit 1.g2-g4 das Grenze der Verträglichkeit überschritt. Maßhalten wäre angesagt gewesen. Wie konnte der Holländer im heutigen Rätsel der Sphinx den Übermut der Ungarin strafen, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05486: Unzeitige Anstrengung (SB)

J. Polgar - Lautier
Monaco 1995

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Wer die Gebote solider Verteidigung so mißachtet, wie es Meister Burn getan hatte, der braucht sich hinterher nicht zu beklagen, daß sein König im Sturm gefangen- und mattgesetzt wird. Der amerikanische Meister Marshall - schon der Name zeugt von martialer Wut - ließ sich die Gelegenheit jedenfalls nicht entgehen, um mit 1.Ld3xg6! f7xg6 2.Dc2xg6+ Lf6-g7 3.Sf3-g5 Dd8-f6 4.Th1-h8+! Kg8xh8 5.Dg6-h7# seinen Ruf als gefährlicher Angriffsspieler zu festigen.


Erstveröffentlichung am 16. Juni 2002

26. Mai 2015


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