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SCHACH-SPHINX/05484: Distanz zwischen Auge und Herz (SB)


Die Attraktivität eines am Brett spielenden Schachmeisters hält sich in Grenzen. Vorrangig ist das Publikum ohnehin nicht an ihm als Mensch, sondern vielmehr an seiner Partie interessiert. In kaum einer anderen Sportart wächst zwischen dem Akteur und dem, was er tut, eine solche Wand der Anonymität empor wie beim Schach. Der ehemalige holländische Weltmeister Dr. Max Euwe hatte sich in diesem Zusammenhang die Frage gestellt: "Was ist ein Schachspieler in erster Linie?" Die Antwort gab er sich selbst, und sie klang nicht gerade optimistisch: "Ein stiller Denker mit ernstem Blick. Er sitzt da, er nickt, er denkt. Und als Nur-Denker ist er uninteressant, jedenfalls fürs Publikum. Einigermaßen interessant wird er, wenn er zum Beispiel während einer Partie eine Zigarre ißt." Angesichts dessen wird man nicht viel Hoffnung haben, daß sich die künstliche Distanz zwischen dem Schachmeister und seinem Publikum je wird aufheben lassen. Zu intim ist der Verkehr mit seinen Gedanken, als daß sie nach außen durchschimmern könnten. So bleibt der Schachmeister in seiner Welt gefangen, einem Licht in undurchdringlicher Finsternis gleich. Was das Publikum sieht, ist immer nur Aufguß, blassester Widerschein von einem Ringen, das gleichsam in anderen Dimensionen sich austobt. So ist der Zuschauer um die eigentliche Essenz betrogen, und nichts straft der Mensch so sehr wie das Ausgeschlossen-Sein von einer Handlung. Auf sich selbst zurückreflektiert, steht der Zuschauer plötzlich vor der unleugbaren Erkenntnis, daß er immer nur Beobachter sein kann, nie Teilhaber, nie auch nur ein sich Mitfreuender. Fehlt zudem selbst die geringste Ansatzfläche für eine Identifikationsmöglichkeit, so vereinsamen beide, der Tat- wie auch der Augenmensch. Da war es seinerzeit, als Bobby Fischer die Schacharenen bestürmte, anders, denn als rebellischer Kämpfer gegen die sowjetische Überlegenheit fand er einen Weg in die Herzen seiner Zuschauer. Auch wenn sie sein Denken nicht verstanden, seinen Trotz konnten sie nachempfinden. Hinter der Fassade des verschlossen denkenden Schachspielers schimmerte bei ihm nachvollziehbare Menschlichkeit durch. Im heutigen Rätsel der Sphinx mußte er sich jedoch dem Zauberer aus Riga, Michail Tal, geschlagen geben. Mit Weiß am Zuge legte Tal die schwarze Stellung in Brand. Welchen Funken nahm er dazu, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05484: Distanz zwischen Auge und Herz (SB)

Tal - Fischer
Bled 1959

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Die Reihenfolge hätte Dr. Herrmann umdrehen müssen, um einen Schuh daraus zu machen. Zum rascheren Sieg hätte 1.Te2xe6! geführt, um nach 1...f7xe6 mit 2.Sg3-h5+ fortzusetzen. Der Verteidigungszug f7-f6 wäre so verhindert worden.


Erstveröffentlichung am 14. Juni 2002

24. Mai 2015


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