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SCHACH-SPHINX/05467: Flegeljahre (SB)


Von Spinoza stammt der Versuch, das Wesen der Tugend durch Erkenntniskraft zu durchdringen. Wir lesen also bei ihm: "Absolut aus Tugend handeln ist nichts anderes, als nach den Gesetzen seiner eigenen Natur handeln. Wir handeln aber nur insofern, sofern wir erkennen. Folglich ist aus Tugend handeln nichts anderes in uns, als nach der Leitung der Vernunft handeln, leben, sein Sein erhalten, und zwar aus dem Grunde, daß man den eigenen Nutzen sucht." Verkürzt, gegen den Punkt gerieben und aus seiner Asche zum Phönix erhoben, lautet seine Quintessenz: Handeln nach Nutzen. Nun ist Nutzen ein weit gefaßter Begriff, der stets individuell gefärbt wird. Ein Nutzen ist mithin eine sehr persönliche Angelegenheit, nicht übertrag-, geschweige denn zum Dogma erhebbar. Trotzdem ist Spinozas Werk über die Ethik geeignet, insbesondere einem bestimmten Schachspieler um die Ohren geschlagen zu werden für seine Flegelhaftigkeit: Die Rede ist von Walter Browne. Vielleicht, daß durch diese Belehrung solche Szenen künftig unterbleiben wie in seiner Partie gegen seinen amerikanischen Landsmann Bernard Zuckerman. Browne, in miserabler Position, im Grunde bereits zur Kapitulation fertig, hoffte, aus der hohen Zeitnot von Zuckerman "Nutzen" ziehen zu können, doch dieser besaß einen Freibauern kurz vor dem Umwandlungsfeld. Als Zuckerman am Zuge den Bauern in eine Dame verwandeln wollte, täuschte Browne Ungeschicklichkeit vor und fegte dessen Dame vom Tisch, und zwar so heftig, daß sie bis in die hinterste Ecke des Saals flog. Zuckerman, getrieben von der tickenden Uhr, sprang auf, lief der Figur hinterher, doch als er zurückkehrte, war sein Fähnchen gefallen, und Browne - wie Eulenspiegel grinsend - notierte seinen Sieg. Daß Browne durchaus auch ohne solche unwürdigen Tricks gewinnen konnte, bewies er beispielsweise bei der amerikanischen Meisterschaft von 1975, wo er den ersten Platz belegte. In seiner Partie gegen Meister Robert Byrne gelang ihm mit den schwarzen Steinen eine hübsche Entkräftung des forschen Keres-Angriffs in der Sizilianischen Verteidigung. Also, Wanderer, mit Spinoza im Rucksack läßt sich das heutige Rätsel der Sphinx auch erkenntnistheoretisch lösen!



SCHACH-SPHINX/05467: Flegeljahre (SB)

Byrne - Browne
USA 1975

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Meister Metz hatte hinterher allen Grund, sich schwarz zu ärgern. Wie er auf den Unsinn kommen konnte, auf 1...f7-f5 2.Kb4-c5?? zu ziehen, er wußte es nicht zu sagen. Vielleicht war der fünfstündige Partiemarathon schuld daran, daß er nach 2...Kg7-h6 3.Kc5-d4 Kh6xh5 4.c2-c4 Kh5-g5 5.c4-c5 Kg5-f6 6.c5-c6 Kf6-e7 7.Kd4-e5 Ke7-d8 8.Ke5xf5 Kd8-c7 9.Kf5-e5 Kc7xc6 ins Remis einwilligen mußte, wo er doch mit 2.c2-c4! problemlos hätte gewonnen können.


Erstveröffentlichung am 28. Mai 2002

07. Mai 2015


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