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SCHACH-SPHINX/05443: Stachel der Verteidigung (SB)


Daß Schach nicht nur eine Denkdisziplin, sondern vor allem eine körperliche Tätigkeit ist, daran zweifelt heutzutage kein Fachmann mehr. In der Laienwelt hat sich zwar der wunderliche Glaube festgesetzt, daß im Schach allein die Gedanken das Feld beherrschen, aber kaum ein hochkarätiger Meister würde in Abrede stellen, daß er in schlechter physischer Verfassung um einige Stufen schlechter spielt und kombiniert. Schließlich muß der Körper jeden Gedanken tragen. Und wenn das Gerüst wackelt, steht es auch mit den Einfällen nicht zum besten. Denken wir nur an den holländischen Meister Max Euwe zurück. Als er sich auf seinen Weltmeisterschaftskampf gegen den russischen Titelverteidiger Alexander Aljechin vorbereitete, büffelte er nicht nur Varianten, er lernte im reifen Alter von 34 Jahren auch noch das Schwimmen, um sich in den kalten Wellen der Nordsee erst einmal körperlich in Topform zu bringen. Sein Gegenüber hingegen ignorierte die Bedürfnisse des Leibes, trank, rauchte, schlug sich die Ohren um die Nacht, ganz Lebemann der sublimen Art. Aber während Aljechin im Laufe des zermürbenden Turniers die Kräfte verließen, hielt sich Euwe mit seiner Kondition über Wasser, und so gewann er nicht nur den Weltmeistertitel, sondern hatte auch noch das Schwimmen gelernt, etwas, was für einen Küstenbewohner im Grunde bereits im Kindesalter eine Pflichtübung sein müßte. Eine seiner schönsten Partien spielte Euwe im Kandidatenturnier 1953 in Zürich gegen den gefürchteten russischen Angriffsspieler Efim Geller. Das Aufsehenerregende und Lehrreiche dieser Partie zeigte sich in der äußerst scharfsinnigen Art, wie sich Euwe mit den schwarzen Steinen verteidigte und aus der Defensive heraus einen siegbringenden Gegenangriff inszenierte. In der Geschichte der Schachkunst gibt es nur wenige Partien, die so glänzend aus der Verteidigung heraus gewonnen wurden. Im heutigen Rätsel der Sphinx hatte Geller zuletzt 1.Lc1-h6 gespielt. Kein Pfifferling schien die schwarze Stellung mehr wert zu sein. Aber wie gesagt, Max Euwe hatte das Schwimmen in stürmischer Brandung gelernt. Wie kehrte er den Stachel gegen den Angreifer, Wanderer?



SCHACH-SPHINX/05443: Stachel der Verteidigung (SB)

Geller - Euwe
Zürich 1953

Auflösung des letzten Sphinx-Rätsels:
Botwinnik ausgeprägtes Gespür für Feinheiten ließ ihn auf 1...d5xe4? von der tumben Fortsetzung 2.Ld3xe4 absehen und statt dessen 2.Ld3-b5! finden. Dieser Zwischenschwenk und der nach 2...Lc8-d7 anknüpfende Springerzug 3.Sf3-d2! besiegelten im Grunde schon die Niederlage seines amerikanischen Kontrahenten Denker. Da nun 4.Sd2-c4 mit Figurengewinn drohte, wählte Denker 3...a7-a6 4.Lb5xc6 Ld7xc6 5.Sd2-c4 Da5-f5 6.Lf4-d6! e4-e3 7.Sc4xe3 und die verzweifelte Pointe 7...Df5xb1+, aber nach 8.Db3xb1 La3xd6 9.Db1xb6 Ke8-d7 10.Db6-b3 Ta8- b8 11.Db3-c2 Tb8-b5 12.0-0 Tb5-h5 13.h2-h3 Th8-b8 14.c3-c4 g7-g6 15.Se3-g4 Th5-f5 16.Sg4-e5+ Ld6xe5 17.d4xe5 Tf5xe5 18.Dc2-d2+ mußte er sich schließlich doch geschlagen geben, da auf 18...Kd7-c7 oder 18...Kd7-e7 19.Tf1-d1 gefolgt wäre mit der vernichtenden Drohung 19.Dd2-d6+


Erstveröffentlichung am 04. Mai 2002

13. April 2015


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