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INTERNATIONAL/202: Mexiko - Lehrer*in sein und das Land verteidigen sind tödliche Unterfangen (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Mexiko
Lehrer*in sein und das Land verteidigen - tödliche Unterfangen

Von Silvia Ribeiro


(Mexiko-Stadt, 25. Juni 2016, la jornada) - Am 5. Juni, dem Tag der Erde [Ribeiro meint den Weltumwelttag], beklagten drei Berichterstatter*innen der UNO in einer Erklärung, dass Land und Umwelt verteidigen in einigen Ländern tödliche Unterfangen sind. Die Menschenrechte ihrer Verteidiger*innen würden ständig verletzt, darunter das elementarste Recht: das Recht auf Leben. Mexiko befindet sich unter den fünf Ländern, die die entsprechende weltweite Liste anführen. Sieben Länder, die Mehrheit davon in Lateinamerika - Brasilien, Kolumbien, Honduras, die Philippinen, Mexiko, Peru und Guatemala - summieren 913 der 1.024 Morde an Aktivist*innen, die der Bericht der Organisation Global Witness über die Ermordung von Umweltschützer*innen im Zeitraum 2002 bis 2014 anprangert. Viele dieser Länder sind auch an der Spitze der weltweiten Liste über Morde an Gewerkschafter*innen (Kolumbien, Guatemala, Honduras). Mexiko ist dabei, sich ebenfalls in diese Gesellschaft einzureihen.


Höchst besorgniserregende systematische Verletzung der Menschenrechte

Das Kommuniqué verfassten John Knox, Berichterstatter für Menschenrechte und Umwelt; Michel Forst, Berichterstatter über die Situation der Menschenrechtsverteidiger*innen; und Victoria Tauli Corpuz, Berichterstatterin über die Rechte der Indigenen Völker. Der - immer noch ungeahndete - Mord an der indigenen Leitfigur Berta Cáceres am vergangenen 3. März in Honduras war einer der weltweit alarmierenden Fälle, die diese Erklärung motivierten. Im Mai 2016 hielt sich Michel Forst in Mexiko auf. Während dieses nicht offiziellen Besuches bekundete er, Interviews mit mehr als 80 Menschenrechtsverteidiger*innen hätten eine höchst besorgniserregende systematische Verletzung der Menschenrechte im Land aufgezeigt.

Die Entscheidung für ein gemeinsames Kommuniqué fiel, weil die Angriffe, Rechtsverletzungen und Morde nicht auf Umweltschützer*innen oder Menschenrechtsverteidiger*innen begrenzt sind, sondern auch diejenigen betreffen, die für Land und Territorien, das Recht ihrer Kulturen und Lebensformen und ein würdiges Leben in ihren Dörfern und Gemeinden kämpfen.


Kampf um die öffentliche Bildung

All dies sind Kämpfe, die auch zu den Bedingungen und Schlachten der Lehrer*innen der CNTE gehören. Lehrer*innen, die am 19. Juni in Oaxaca brutal von Polizist*innen verschiedener Regierungsebenen attackiert wurden. Das Ergebnis waren elf Tote (während des Angriffs und danach), Dutzende Verwundete und mehr als 20 Verschwundene. Unter den Ermordeten waren auch Anwohner. Sie unterstützten den Kampf der Lehrer*innen nicht nur, weil sie ihn teilten, sondern weil die Lehrer*innen sind, wie sie: Indígenas, Bauern und Bäuerinnen und deren Kinder.

Der Kampf dieser würdigen Lehrer*innen gegen die "Bildungsreform" (in Wahrheit eine Arbeitsreform, um kritische Lehrer*innen loszuwerden und aus der Bildung einen Konkurrenzmarkt zu machen) ist einer um ihr Überleben, aber auch um die öffentliche Bildung. Er ist nicht getrennt von anderen Kämpfen ihrer Völker gegen Bergbaukonzerne, Stauwerke und Megaprojekte, Wasserraub und -verunreinigung, genmanipulierte Organismen, Waldabholzung und andere Besitzenteignungen. Oft sind es Lehrer*innen, die informieren, erklären, übermitteln, unterstützen, organisieren. Die Behörden wissen das. Darum macht eine unabhängige Gewerkschaft wie die CNTE sie umso wütender.


Gefordert wird die Bestrafung der Schuldigen

Das Massaker von Nochixtlán summiert sich zu anderen Morden gegen Aktivist*innen und Menschenrechtsverteidiger*innen aus Dörfern, Gemeinden und Stadtvierteln, die ihre Orte, ihre Lebensformen und ihren Lebensunterhalt verteidigen. Durch ihre Kämpfe geben sie uns ein Beispiel und schützen alle. Nach wie vor klafft die offene Wunde wegen des Mordes an sechs Personen und des Verschwindenlassens der 43 Studenten, der zukünftigen Lehrer der Landuniversität Isidro Burgos de Ayotzinapa, in der Nacht des 26. September 2014.

Wie im Fall von Ayotzinapa erhebt sich im ganzen Land der Protest gegen das Massaker an den Lehrer*innen. Gefordert wird die Bestrafung der Schuldigen, Dialog statt Repression, die Freilassung der inhaftierten Lehrer, der Rücktritt des (un)verantwortlichen Ministers. In der ganzen Welt nehmen die Protest- und Solidaritätsbekundungen zu. Sie weiten sich gegen eine mexikanische Regierung aus, auf der bereits die Verbrechen gegen die Studenten von Ayotzinapa und die jüngste Ausweisung - damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt - der Interdisziplinären Unabhängigen Expert*innengruppe (GIEI) lasten.

Wie in den Fällen von Nochixtlán, Iguala, usw. versuchen die Behörden zynischerweise, den Opfern selbst die Schuld zu geben. Sie inhaftieren Aktivist*innen unter falschen Anklagen und verbreiten diese über gekaufte Medien. Ähnliche Methoden werden in Brasilien und Paraguay angewendet.


Lügen der Macht auch in Brasilien und Paraguay

Am 7. April 2016 ermordeten Polizei und Auftragsmörder der Papierfabrik Araupel im Bundesstaat Paraná, Brasilien, zwei Aktivisten der Landlosenbewegung (MST), Vilmar Bordim und Leonir Orback. Sie verletzten sechs weitere Personen, die ein Stück Land besetzt hatten, das für die Agrarreform bestimmt war. Die Polizisten logen, sie wären in einen Hinterhalt geraten, obwohl die MST-Mitglieder unbewaffnet waren. Das Verbrechen bleibt ungeahndet.

In Curuguaty, Paraguay, attackierten am 15. Juni 2012 etwa 300 Soldaten 60 Campesinos - Frauen, Männer, Kinder - die das für die Agrarreform vorgesehene Landstück Marina Kué besetzt hielten. Sie töteten elf Campesinos und sechs ihrer eigenen Polizisten, um einen Hinterhalt anführen zu können und den politischen Prozess zu rechtfertigen, mit dem der damalige Präsident Lugo abgesetzt wurde. Die Polizei erklärte, die Frauen und Kinder seien ein Köder für den Hinterhalt gewesen. Nach vier Jahren ungerechter Haft sehen sich elf der Campesions einem manipulierten Gerichtsverfahren und einer Mordanklage gegenüber. Eine weltweite Kampagne fordert ihre Freilassung und Freisprechung (https://absolucionya.wordpress.com).


Ein Beispiel für Würde

Die Lügen der Macht fallen aufgrund kollektiver Aktion und Erinnerung immer schneller in sich zusammen. Die Attacken gehen weiter, können aber ihren Diskurs nicht aufzwingen. So wird der Terror, den sie säen wollen, entwaffnet. Jeder Kampf hingegen ist ein Beispiel für Würde und stärkt diejenigen, die nachfolgen.


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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juli 2016

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