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INTERNATIONAL/113: Südsudan - Brüchiger Frieden, neue Miliz schürt Feindseligkeiten zwischen Ethnien (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. November 2012

Südsudan: Brüchiger Frieden - Neue Miliz schürt Feindseligkeiten zwischen Ethnien

von Jared Ferrie


Angehörige der Murle-Ethnie warten auf Nahrungsmittel - Bild: © Jared Ferrie/IPS

Angehörige der Murle-Ethnie warten auf Nahrungsmittel
Bild: © Jared Ferrie/IPS

Yuai, Südsudan, 1. November (IPS) - Der riesige Hubschrauber russischer Bauart setzt langsam zur Landung zwischen dicht gedrängt stehenden Lehmhütten an. Umgeben sind sie von endlosem Grasland, das in der Regenzeit saftig grün ist. Das Leben in dem südsudanesischen Dorf Yuai erscheint friedlich. Doch noch vor knapp einem Jahr tobte in dem Bundesstaat Jonglei ein ethnischer Konflikt, bei dem Tausende Menschen getötet wurden.

Bewohner von Yuai versammelten sich an einem Tag Ende Oktober an der schmutzigen Landebahn, um ein Komitee zu begrüßen, das von Präsident Salva Kiir mit Friedensplänen in die Unruheregion geschickt wurde. Im vergangenen Jahr waren nach Angaben der Vereinten Nationen mindestens 1.600 Menschen bei Gefechten zwischen den verfeindeten Ethnien Murle und Lou Nuer ums Leben gekommen. In den ersten beiden Monaten dieses Jahres wurden weitere 400 Tote gezählt.

"Der Präsident bat mich und andere Kollegen, dem gesamten Bundesstaat Frieden zu bringen. Jonglei fiel fast auseinander", sagte Daniel Deng, der Erzbischof der Episkopalen Kirche von Sudan und Südsudan, der das Komitee leitete.

Nach Ausbruch der Gewalt setzte die Regierung im März einen Friedensprozess und ein Programm zur Entwaffnung von Zivilisten in Gang. Die Entwaffnungskampagne wurde von Vorwürfen überschattet, die Regierungssoldaten nutzten ihre Macht aus. Der Frieden zwischen den ethnischen Gruppen, deren Führer im Mai ein Abkommen schlossen, hat bislang aber weitgehend gehalten.

UN-Blauhelme in dem südsudanesischen Dorf Yuai - Bild: © Jared Ferrie/IPS

UN-Blauhelme in dem südsudanesischen Dorf Yuai
Bild: © Jared Ferrie/IPS

Der brüchige Frieden wird nun allerdings durch eine Regierungsmiliz bedroht, an deren Spitze David Yau Yau steht. Politische Beobachter und Regierungsvertreter warnen davor, dass die Rebellen neue ethnische Unruhen in Jonglei schüren könnten. "Wir hoffen, dass die Regierung die Oberhand hat und die Rebellion unter Kontrolle hält", sagte Deng.


Sudan wird Bewaffnung von Rebellen vorgeworfen

Die südsudanesische Regierung macht den ehemaligen Bürgerkriegsgegner Sudan für die Bewaffnung von Yau Yau verantwortlich. In Khartum wird dies allerdings entschieden abgestritten. Auch die Unregelmäßigkeiten bei der Entwaffnung der Zivilisten, die auf das Konto der Armee SPLA gehen, haben offenbar zu der Erstarkung der Miliz beigetragen, wie aus einem am 31. Oktober in Genf veröffentlichten Bericht des unabhängigen Forschungsprojekts 'Small Arms Survey' hervorgeht.

"Soldaten, die die Entwaffnung vorantrieben, haben Menschen vergewaltigt, gefoltert und getötet", heißt es in dem Report 'My Neighbour, My Enemy: Inter-Tribal Violence in Jonglei'. Die Opfer stammten demnach vorwiegend aus dem Volk der Murle, deren Misstrauen gegen die SPLA weiter wachse.

Laut dem Autor des Berichts, Jonah Leff, rekrutierte Yau Yau Jugendliche der Murle, die über das Vorgehen der SPLA bei der Entwaffnung erbost waren. Unterdessen würden sich junge Lou Nuer wiederbewaffnen, um möglichen Angriffen der von Yau Yau ausgerüsteten Murle gewachsen zu sein.

Deng äußerte Befürchtungen, dass Yau Yau den Frieden zwischen den Ethnien zerstören könnte, sollte es der SPLA nicht gelingen, die Angriffe ihrer Soldaten auf andere Volksgruppen zu verhindern. Simon Duoth, ein offizieller Vertreter des Landkreises Uror, berichtete, dass Rebellen Ende Oktober bereits eine Familie in dem benachbarten Kreis Akobo attackiert hätten. Beide Landkreise gehören zu dem Land der Lou Nuer.

Zuvor hatten Truppen von Yau Yau bereits SPLA-Posten im Kreis Pibor angegriffen, wo die Murle leben. Nach Angaben der Small Arms Survey sind seit dem 22. August mindestens 100 Soldaten getötet worden. Die Stärke der Miliz wird auf etwa 3.000 Mann geschätzt.

Sollten sich die Übergriffe der Soldaten auf die Murle fortsetzen, könnte die Zahl der Rebellen weiter steigen. Small Arms Survey stellte in dem Report fest, dass die Soldaten Zivilisten sogar geschlagen und festgenommen hätten. Aus den Gebieten der Lou Nuer wurde dagegen berichtet, dass Militärs gestohlenes Vieh zurückgebracht und Bauern sicheres Geleit zu ihren Feldern gegeben hätten.

Murle-Kind wird nach einem Angriff im Krankenhaus behandelt - Bild: © Jared Ferrie/IPS

Murle-Kind wird nach einem Angriff im Krankenhaus behandelt
Bild: © Jared Ferrie/IPS

"Die Murle haben dagegen erklärt, dass die SPLA ihnen wenig oder gar keinen Schutz geboten hat. In einigen Fällen wurden sogar landwirtschaftliche Geräte gestohlen", heißt es weiter. "Für viele Murle sind nicht mehr die Lou Nuer der größte Feind, sondern die SPLA."

Armeesprecher Oberst Kella Dual Kueth bestritt Übergriffe seitens der SPLA. Andere Regierungsvertreter machten lediglich einzelne Soldaten dafür verantwortlich. Auch Deng ist der Ansicht, dass es keinen systematischen Missbrauch gebe. "Es handelt sich um Personen, die das Gesetz nicht respektieren. Die SPLA hat bereits Maßnahmen gegen sie ergriffen."


UN-Mission wird Versagen vorgehalten

International tätige Organisationen wie 'Human Rights Watch' (HRW) und 'Amnesty International' haben hingegen in großem Umfang Vergewaltigungen und Misshandlungen von Zivilisten in Pibor dokumentiert. Am 23. August erklärte HRW, dass "die Behörden keine ausreichenden Schritte eingeleitet haben, um die Gewalt einzudämmen und daran beteiligte Soldaten zur Verantwortung zu ziehen".

Small Arms Survey zufolge hat die Friedensmission der Vereinten Nationen UNMISS zwischen März und September lediglich eine Erklärung zu "anscheinenden Menschenrechtsverletzungen" während einer Entwaffnungskampagne der Regierungspartei SPLM abgegeben. "UNMISS hat ihr Mandat, Zivilisten vor den weit verbreiteten Übergriffen der SPLA zu schützen, nicht richtig wahrgenommen", kritisiert der Bericht. Ein Sprecher der Mission wies die Vorwürfe zurück. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:

http://www.smallarmssurveysudan.org/fileadmin/docs/issue-briefs/HSBA-IB21-Inter-tribal_violence_in_Jonglei.pdf
http://www.hrw.org/africa/south-sudan
http://www.ipsnews.net/2012/10/tribal-wars-threaten-south-sudan-again/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. November 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2012