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INTERNATIONAL/073: Ein bisschen Solarstrom für Palästinenser - Alternativen Anlagen droht die Zerstörung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. April 2012

Nahost: Ein bisschen Solarstrom für Palästinenser - Alternativen Anlagen droht die Zerstörung

von Jillian Kestler-D'Amours

Solarzellen auf den Hügeln von Süd-Hebron - Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS

Solarzellen auf den Hügeln von Süd-Hebron
Bild: © Jillian Kestler-D'Amours/IPS


She'b El-Buttum, Westjordanland, 11. April (IPS) - Ein paar provisorische Häuser aus Felsbrocken und Plastikplanen, die mit dicken Seilen zusammengehalten werden, stehen in der zwischen jüdischen Siedlungen isoliert liegenden Gemeinde She'b El-Buttum in den südlichen Hebron-Hügeln. Wenige Meter entfernt produzieren mit Unterstützung der deutschen Bundesregierung Solarfelder und zwei Windräder Strom für das Dorf mit 150 Einwohnern. Diese Anlagen sollen nach dem Willen Israels zerstört werden.

"Wir brauchen den Strom für die Melkmaschine, die Waschmaschine, den Kühlschrank und Licht", sagt Ismail Al-Jabarin. "Früher hatten wir einen Generator, der nur zwei Stunden am Tag funktionierte. Inzwischen geht es wesentlich besser." Die Hirten, die von dem leben, was ihre Ziegen, Schafe und anderen Tiere produzieren, verbrachten bisher drei Stunden täglich damit, Milch manuell zu Butter zu schlagen. Mit Strom dauert dies nur noch eine halbe Stunde.

"Wenn das israelische Militär kommt und die Stromanlagen zerstört, wird sich unser Leben wieder verschlechtern", meint Al-Jabarin. Die israelische Militärbehörde, die das so genannte C-Gebiet des von Israel besetzten Westjordanlands kontrolliert, hat den Betrieb von Solar- und Windkraftanlagen in She'b El-Buttum und fünf weiteren Dörfern im südlichen Hebron-Gebiet verboten. Gebiet C steht vollständig unter israelischer Kontrolle, während Gebiet A ausschließlich von Palästinensern und Gebiet B gemeinsam verwaltet wird.


Deutsches Außenministerium größter Geldgeber

Die Bewohner von Gebiet C sehen die Anordnungen als ersten Schritt zur Zerstörung der alternativen Energiesysteme, die größtenteils vom deutschen Außenministerium finanziert wurden. Aufgestellt wurden die Anlagen von der unabhängigen israelischen Organisation 'Community Electricity and Technology Middle East (COMET-ME).

Guy Inbar, Sprecher der israelischen Militärverwaltung, bezeichnete die Errichtung der Anlagen als illegal. "Sie wurden durch Spenden einer internationalen Institution errichtet, ohne dass dafür die gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungen eingeholt wurden", schreibt er in einer Email an IPS. "Internationale Hilfe ist ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität der palästinensischen Bevölkerung. Dies garantiert aber noch keine Immunität bei illegalen oder unkoordinierten Aktivitäten."

Noam Dotan, einer der Gründer von COMET-ME, hält es allerdings von vorn herein für müßig, Baugenehmigungen in palästinensischen Dörfern im C-Gebiet zu beantragen. "Wir haben keine Genehmigungen für das Energieprojekt eingeholt, weil wir wussten, dass wir sowieso keine bekommen hätten", berichtet er. "Die Gründe dafür sind rein politisch. Die jüdischen Siedlungen im Umkreis können sich ohne Genehmigung erweitern. Uns erlaubt man dagegen noch nicht einmal, eine einzige Solarpanele aufzustellen."

Im Gebiet C leben etwa 150.000 Palästinenser, mehr als 60 Prozent der gesamten Bevölkerung im Westjordanland. Als Besatzungsmacht hat Israel nach den geltenden Bestimmungen des Völkerrechts die Verantwortung, dass die grundlegenden Bedürfnisse der Einwohner des Gebiets erfüllt werden. Dazu gehören angemessene Wohnungen, Gesundheitsversorgung, Bildung und Zugang zu Wasser.

Die israelische Organisation 'Peace Now', die den jüdischen Siedlungsbau beobachtet, fand jedoch heraus, dass Israel zwischen 2000 und 2007 94 Prozent der palästinensischen Bauanträge in dem Gebiet ablehnte. Im gleichen Zeitraum errichteten jüdische Siedler im Gebiet C mehr als 18.000 Häuser. Israel toleriert auch 'Außenposten' wie Mitzpe Yair auf den Hügeln gegenüber von She'b El-Buttum. Solche Siedlungen sind jedoch nach internationalem und israelischem Recht unzulässig. Sie verfügen unter anderem über Strom, Wasser und befestigte Zufahrtstraßen.

"Die Siedler hindern uns daran, in dem Tal unsere Schafe grasen zu lassen. Manchmal schießen sie sogar auf uns", beschwerte sich Al-Jabarin. "In den Siedlungen haben sie alles, wir dagegen haben nichts."


Sauberer Strom für 1.500 Palästinenser

COMET-ME versorgt zurzeit durch Solarpanele und Windräder mehr als 1.500 Palästinenser in 19 Gemeinden in den südlichen Hebron-Hügeln mit Strom. Insgesamt leben in dem Gebiet etwa 8.000 Menschen.

Vertreter der Organisation erklären, dass sie versuchen, größeren internationalen Druck zu erzeugen, um die Energieanlagen vor der Zerstörung durch das israelische Militär zu bewahren. Die deutsche Bundesregierung habe gegenüber Israel bereits Bedenken zum Ausdruck gebracht, hieß es. Von Berlin aus verfolge man die Entwicklung der Lage genau.

Sollten die Solarzellen und Windgeneratoren zerstört werden, würden mindestens 500 Palästinenser vorerst im Dunkeln sitzen. "Man kann sich gar nicht vorstellen, wie sehr der Strom den Alltag hier verändert hat. Um vier Uhr nachmittags ist es im Winter schon dunkel", sagt Dotan. Die Kinder, die aus der Schule kommen, brauchen Licht, um ihre Hausaufgaben zu machen. Und die Erwachsenen nutzen elektrische Geräte für die Milchproduktion. "Ohne Strom werden die Menschen wieder in die Steinzeit zurückkehren." (Ende/IPS/ck/2012)

Links:
http://www.comet-me.org/
http://peacenow.org.il/eng/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107249

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 11. April 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. April 2012