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LATEINAMERIKA/054: Der Kindheit beraubt - minderjährige Hausbedienstete in Haiti (ÖRK)


Ökumenischer Rat der Kirchen - Pressemitteilung vom 11. Dezember 2008

Der Kindheit beraubt: minderjährige Hausbedienstete in Haiti

Von Manuel Quintero


In haitischem Kreolisch heißen sie "Restaveks" (vom französischen "rester avec" - bei jemandem bleiben), weil sie bei einer Familie wohnen, die nicht ihre eigene ist. Ihre Gastfamilien behandeln sie allerdings nicht wie Pflegekinder, sondern eher wie Sklaven.

In Haiti arbeiten 180'000 bis 300'000 Kinder - die Zahlen variieren je nach Quelle - als Hausbedienstete. Acht bis zehn Prozent aller Unter-18-Jährigen werden auf diese Weise ihre Grundrechte vorenthalten.

In einem Land, das unter bitterster Armut, massiver Umweltzerstörung, eklatanter Korruption und immer wiederkehrender politischer Instabilität leidet, stellen diese Kinder die schutzloseste Bevölkerungsgruppe dar. Viele von ihnen stammen aus mittellosen Großfamilien auf dem Land. Ihre Eltern schicken sie in eine Gastfamilie und hoffen, dass sie dort gut aufgenommen und versorgt sind.

"Stattdessen arbeiten sie tagtäglich bis zur Erschöpfung im Haushalt und werden häufig geschlagen, wenn sie die Arbeit nicht zur Zufriedenheit ihrer Pflegeeltern erledigen", berichtete Wenes Jeanty, der Leiter des Hilfsprojekts Foyer Maurice Sixto, dem Team der vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) entsandten Lebendigen Briefe.

Die "Lebendigen Briefe [1]" sind kleine internationale ökumenische Teams, die Orte in aller Welt besuchen, in denen Christen sich für die Überwindung von Gewalt engagieren. Ende November reiste ein solches Team, dem Mitglieder aus Frankreich, den Niederlanden, dem Libanon, Kanada und Kuba angehörten, in die haitianische Hauptstadt Port-au-Prince und andere Gebiete, die in jüngster Zeit von Hurrikans heimgesucht worden waren.

Das Team verbrachte einige Zeit im Foyer Maurice Sixto, um mehr über das Schicksal der Kinder zu erfahren, die als Haussklaven leben und Opfer der tief in der Geschichte des Landes verwurzelten Sklaverei sind.

Viele "Restaveks" verlieren den Kontakt zu ihrer leiblichen Familie. Einige werden - ungefragt und ohne dass ihre Eltern informiert würden - von Pflegefamilie zu Pflegefamilie weitergereicht. Laut Jeanty sind körperliche und seelische Gewalt dabei an der Tagesordnung.

Das Foyer Maurice Sixto wurde 1989 mit Unterstützung von Terre des Hommes, einem international tätigen Kinderhilfswerk mit Sitz in der Schweiz, gegründet. Das Projekt wurde nach Maurice Sixto (1919-1984) benannt, einem bekannten haitianischen Intellektuellen, der die nationalen Eliten wegen ihres Missbrauchs von Kindersklaven als Hausbedienstete anprangerte.

"Wir wollen Kindern und Jugendlichen helfen, die ihre leibliche Familie verlassen müssen und zu Pflegefamilien geschickt werden. Sobald sie ihre Arbeit im Haushalt erledigt haben, kommen sie ins Foyer, wo wir ihnen Schulausbildung, Freizeitaktivitäten und Handwerkskurse anbieten."

"Alle Kinder sind gleich"

Im Foyer, das in Carrefour, einem armen und dicht bevölkerten Distrikt im Süden von Port-au-Prince, liegt, werden circa 300 Kinder, zumeist Mädchen, betreut. Diese erhalten dort jeden Tag eine warme Mahlzeit und werden in der nahe gelegenen Ambulanz von haitianischen Ärzten und Zahnärzten kostenlos behandelt.

Die Foyer-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen arbeiten auch mit den Gastfamilien zusammen und bemühen sich, diese für die Bedürfnisse ihrer jungen Hausbediensteten zu sensibilisieren. "Wir sagen ihnen, dass alle Kinder gleich sind und dieselben Rechte haben", betonte Jeanty.

Es gibt keine fertigen Lösungen für dieses komplexe Problem in einem Land mit einer schnell wachsenden Bevölkerung, von der circa 50 Prozent unter der international festgelegten Armutsgrenze von einem US-Dollar pro Tag und 76 Prozent von weniger als zwei Dollar pro Tag leben.

"Leider können die Kinder nicht einfach aus dieser Form von Sklaverei befreit werden. Es stehen keine Mittel für die Betreuung der Kinder zur Verfügung, sie können auch nicht zu ihren leiblichen Familien zurück und wir finden auch keine besseren, fürsorglicheren Familien, die sie aufnehmen und sich um sie kümmern würden", erklärte er.

Indessen sorgt das Foyer Mauricio Sixto dafür, dass zumindest einige von Haitis "Restaveks" die Möglichkeit und Zeit haben, zu spielen, über ihre Erfahrungen zu sprechen und einfach sie selbst zu sein. "Wir versuchen, ihnen die Kindheit zurückzugeben, auf die sie ein Anrecht haben", fügte Jeanty hinzu.

Am Ende des Besuchs verpflichteten sich die Mitglieder des Teams der Lebendigen Briefe, das Schicksal dieser modernen Haussklaven öffentlich zu machen und anzuprangern. "Der ÖRK sollte über seine Mitgliedskirchen in der Lage sein, gegenüber Regierungen und internationalen Organisationen für diese Kinder einzutreten", erklärte Geneviève Jacques, die Leiterin dieses Teams der Lebendigen Briefe.


Manuel Quintero aus Kuba ist Direktor von Frontier Internship in Mission, einem internationalen Programm zur Unterstützung von Missionsinitiativen mit Sitz in Genf.

Mehr Informationen zum Besuch der Lebendigen Briefe in Haiti:
http://gewaltueberwinden.org/index.php?id=6423&L=2

ÖRK-Mitgliedskirchen in Haiti (auf Englisch)
http://www.oikoumene.org/?id=4691&L=2

Der Ökumenische Rat der Kirchen fördert die Einheit der Christen im Glauben, Zeugnis und Dienst für eine gerechte und friedliche Welt. 1948 als ökumenische Gemeinschaft von Kirchen gegründet, gehören dem ÖRK heute mehr als 349 protestantische, orthodoxe, anglikanische und andere Kirchen an, die zusammen über 560 Millionen Christen in mehr als 110 Ländern repräsentieren. Es gibt eine enge Zusammenarbeit mit der römisch-katholischen Kirche. Der Generalsekretär des ÖRK ist Pfr. Dr. Samuel Kobia, von der Methodistischen Kirche in Kenia. Hauptsitz: Genf, Schweiz.

[1] http://gewaltueberwinden.org/index.php?id=5725&L=2


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Quelle:
Pressemitteilung vom 11. Dezember 2008
Herausgeber: Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK)
150 rte de Ferney, Postfach 2100, 1211 Genf 2, Schweiz
E-Mail: ka@wcc-coe.org
Internet: www.wcc-coe.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2008