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KIRCHE/1800: Wenn sich Kirche aus der Fläche zurückzieht (idw)


Leibniz-Institut für Länderkunde - 02.11.2015

Wenn sich Kirche aus der Fläche zurückzieht

IfL-Studie untersucht Auswirkungen des Pfarrermangels im Altenburger Land


Die beiden großen Kirchen in Deutschland verlieren seit Jahren Mitglieder, immer mehr Gotteshäuser werden aus Kostengründen geschlossen. Vom Rückbau kirchlicher Angebote sind vor allem Regionen abseits der Ballungsräume betroffen. Mit welchen strukturellen Anpassungen die Kirche auf den demografischen Wandel und die anhaltende Abwanderung junger Menschen aus strukturschwachen Räumen reagiert, haben Judith Miggelbrink und Frank Meyer vom Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) in Thüringen im Raum Altenburg untersucht. Ebenso wollten sie wissen, wie sich die Maßnahmen auf den Alltag der aktiv am Gemeindeleben teilnehmenden Bevölkerung und auf das Verhältnis zwischen Pfarrern und Gemeindegliedern auswirken. Die Ergebnisse ihrer 2013/2014 durchgeführten Befragungen und Analysen sind jetzt im aktuellen Heft der Zeitschrift "forum ifl" nachzulesen.

Demnach hat die Streichung von mehr als zwei Dritteln der Pfarrstellen seit 1993 im Kirchenkreis Altenburger Land der Evangelischen Landeskirche in Mitteldeutschland zu einer starken individuellen Belastung der Geistlichen und anderer Kirchenbediensteter geführt. Durch die Zusammenlegung von Gemeinden können viele von ihnen die zahlreichen Verpflichtungen von der Sonntagspredigt über die Seelsorge bis zur Pflege persönlicher Kontakte mit den Gemeindegliedern nicht mehr in vollem Umfang erfüllen.

Der IfL-Studie zufolge kam es dadurch zu Konflikten zwischen Hauptamtlichen und Ehrenamtlichen. Letztere fühlten sich von den Hauptamtlichen alleingelassen und sehen ihr Engagement nicht ausreichend gewürdigt. Viele der Gläubigen beklagten nicht nur, dass sie eine Verschlechterung der Situation vor Ort hinnehmen müssten. Sie seien zudem in die Rolle geraten, ehrenamtlich Strukturen erhalten oder aufbauen zu müssen, für die die Kirche als Institution nicht mehr aufkommt.

Für die Stellenstreichungen wurde oft eine als anonym empfundene Bürokratie verantwortlich gemacht. In der daraus resultierenden Frustration sahen manche der von den Wissenschaftlern befragten Pfarrer einen Grund für das wachsende Interesse an den Freikirchen. Viele Gläubige würden angesichts der Versorgungsmängel ihre Bindung an die institutionalisierte Form der Glaubensausübung hinterfragen. Meyer: "Wenn Gottesdienste der eigenen Konfession nicht mehr regelmäßig stattfinden und der persönliche Kontakt zwischen Pfarrer und Gemeinde verloren geht, können andere Angebote durchaus an Attraktivität gewinnen".

Für ihre Untersuchung haben die Leipziger Wissenschaftler umfangreiches statistisches Material ausgewertet sowie rund 30 Interviews und Gruppendiskussionen unter anderem mit Pfarrern, Seelsorgern und Gemeingliedern geführt. Anhand ihrer Erkenntnisse formulieren sie konkrete Vorschläge, wie den tief greifenden Änderungen auf Ebene der Landeskirchen und Kirchenkreise begegnet werden kann. Beispiele sind die Übertragung der Befugnisse von Pfarrern auf Laien bei gleichzeitiger ideeller Aufwertung des ehrenamtlichen Engagements, eine verbesserte Kommunikation und mehr Transparenz bei der Vermittlung von Entscheidungsprozessen. Die Wissenschaftler raten außerdem zu mehr Offenheit gegenüber neuen Formen der Kooperation, auch über Konfessionsgrenzen hinweg.

Die Studie ist Teil eines am IfL angesiedelten Forschungsprojekts über Diskurse und Praktiken in schrumpfenden Regionen. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das Vorhaben für den Zeitraum von drei Jahren, das Projekt läuft noch bis 2016. Beteiligt sind Thomas Bürk vom Geographischen Institut der Universität Hamburg, Matthias Naumann vom Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung in Erkner und Stephan Beetz, Professor für Soziologie und Empirische Sozialforschung an der Hochschule Mittweida.

Die Teilstudie "Kirchliche Strukturplanung in schrumpfenden ländlichen Räumen. Das Beispiel des Kirchenkreises Altenburger Land" ist jetzt als Heft 28 der vom Leibniz-Institut für Länderkunde herausgegebenen Schriftenreihe "forum ifl" erschienen. Im Anhang nimmt der amtierende Superintendent des Kirchenkreises Altenburg Land, Michael Wegner, Stellung zur gegenwärtigen Situationen und skizziert programmatische Konsequenzen.


Die Studie ist zu beziehen über info@ifl-leipzig.de und steht als kostenloser Download zur Verfügung:
http://ifl.wissensbank.com/fastlink.html?search=252414000

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution158

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Länderkunde, Dr. Peter Wittmann, 02.11.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. November 2015

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