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KIRCHE/1785: Papst-Ansichten irritieren US-Konservative - UN und NGOs begeistert (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. September 2015

Religion: Papst-Ansichten irritieren US-Konservative - UN und NGOs begeistert

von Thalif Deen


NEW YORK (IPS) - In den USA hat Papst Franziskus mit seinen Reden vor dem US-Kongress und der UN-Vollversammlung zu drängendsten aktuellen Fragen einen Nerv getroffen. Während er mit seinen kritischen Äußerungen zum politischen Weltgeschehen bei den Vereinten Nationen offene Türen einrannte, erklärten rechtskonservative Politiker, dass sich seine 'Unfehlbarkeit' ausschließlich auf theologische Zusammenhänge beschränke.

Mindestens zwei Republikaner, die für die US-Präsidentschaft nominiert sind - Gouverneur Chris Christie aus New Jersey und Senator Marco Rubio aus Florida - erklärten nach der Ansprache des Papstes vor dem US-Kongress, dass sie anderer Meinung als der Papst seien. Beide Politiker gelten als praktizierende Katholiken.

"Meiner Meinung nach hat der Papst unrecht", meinte Christie mit Blick auf die Vermittlungsrolle des Papstes bei der Wiederaufnahme der US-kubanischen Beziehungen. "Tatsache ist, dass sich seine Unfehlbarkeit auf religiöse, nicht aber politische Fragen bezieht." Und Rubio fügte hinzu, dass das Papst als Individuum, als wichtige Persönlichkeit, politische Meinungen vertreten könne. "Und natürlich steht es uns frei, anderer Meinung zu sein als er."

Wie Eric LeCompte von 'Jubilee USA', einer Allianz aus mehr als 75 US-Organisationen und 400 Glaubensgruppen, betonte, hat der Papst zu keinem Zeitpunkt eine Unfehlbarkeitserklärung abgegeben. Auch sei unwahrscheinlich, dass er dies jemals tun werde. "Mit seinen Äußerungen wollte er vielmehr den Gläubigen die kirchliche Morallehre vermitteln."


Moralische Leitlinien

Wenn der Heilige Vater über Ungleichheit, Armut, Umwelt und Wirtschaft rede, gebe er klare moralische Richtlinien vor, so der Vatikan- und UN-Berater LeCompte weiter. "Seine Heiligkeit wendet die katholische und biblische Lehre direkt auf die Wirtschaftspolitik und deren Folgen für Millionen Menschen an. Er ruft zu einem globalen Verfahren auf, das die von der Finanzkrise betroffenen Menschen schützen soll." Er poche auf zentrale Prinzipien wie Gerechtigkeit und Mitgefühl und kritisiere eine Wirtschaftspolitik, die Armut verursache, so der Experte.

Ähnlich argumentierte auch Sydney Silva, ein ehemaliger katholischer Priester, der in den USA lebt. Was Franziskus und einige seiner jüngeren Amtsvorgänger ab Papst Paul VI. gesagt hätte, sei eher als Auftrag an hochrangige Kirchenvertreter zu verstehen, die brennenden Weltprobleme und -fragen anzugehen.

Nach der katholischen Lehre ist der Papst als Stellvertreter Christi auf Erden unfehlbar. Als solcher kann er zu Glaubens- und Sittenfragen Unfehlbarkeitserklärungen ausgeben. Diese seien im letzten Jahrhundert aus der Mode gekommen, so Silva. Keiner der jüngeren Päpste hätte, selbst wenn er über Humanae Vitae (etwa zur Geburtenkontrolle) geschrieben hätte, den traditionellen Weg eingeschlagen, sondern insbesondere in Fragen der Armut, finanziellen Ungleichheit, Ausbeutung und menschlichen Erniedrigung eine progressive Haltung eingenommen.

Papst Franziskus hatte in seiner Rede vor den Vereinten Nationen eine verantwortungsvolle Kreditpolitik im Umgang mit der Finanzkrise gefordert. "Das, was er über die Verantwortung der Kreditgeber gesagt hat, ist bemerkenswert", meinte LeCompte. "Er hat sogar darauf hingewiesen, dass nach dem historischen Selbstverständnis der katholischen Kirche Wucher eine Sünde ist."

Nach seiner historischen Ansprache vor dem US-Kongress in Washington und vor Hunderten von Christen, erschien der Papst am 26. September vor der UN-Vollversammlung der Vereinten Nationen. Dabei sprach er zwei Themen an, denen sich auch die neue UN-Entwicklungsagenda widmet: die wirtschaftliche Ungleichheit und die Umweltzerstörung, die den Prozess der Ausgrenzung weiter vertieft.


Kritik an Wegwerfgesellschaft

"Der Missbrauch und die Zerstörung der Umwelt gehen zugleich mit einem unaufhaltsamen Prozess der Ausschließung einher. Tatsächlich führt ein egoistisches und grenzenloses Streben nach Macht und materiellem Wohlstand dazu, sowohl die verfügbaren materiellen Ressourcen ungebührlich auszunutzen als auch die auszuschließen, die schwach und weniger tüchtig sind, sei es, weil sie in anderen Befindlichkeiten leben (Menschen mit Behinderungen), sei es, weil ihnen die geeigneten technischen Kenntnisse und Instrumente fehlen oder weil ihre politische Entscheidungsfähigkeit nicht ausreicht. Die wirtschaftliche und soziale Ausschließung ist eine völlige Verweigerung der menschlichen Brüderlichkeit und ein äußerst schwerer Angriff auf die Menschenrechte und auf die Umwelt", so Franziskus in seiner Rede.

Die Ärmsten seien diejenigen, die am meisten unter diesen Angriffen litten und das aus dreifachem Grund: Sie würden von der Gesellschaft ausgemustert und litten zugleich unter der Ausbeutung der Natur. Diese Phänomene bildeten die heute so verbreitete und unbewusst gefestigte 'Wegwerfkultur', so das Oberhaupt der Katholischen Kirche.

"Das Dramatische dieser ganzen Situation von Ausschließung und sozialer Ungleichheit mit ihren deutlichen Folgen, führt mich gemeinsam mit der gesamten Christenheit und vielen anderen dazu, mir auch meiner eigenen diesbezüglichen schweren Verantwortung bewusst zu werden. Deshalb erhebe ich zusammen mit allen, die in sehnlicher Erwartung nach schnellen und wirksamen Lösungen rufen, meine Stimme", sagte Franziskus mit Blick auf die Post-2015-Entwicklungsagenda und die UN-Klimakonferenz, die im Dezember in Paris stattfindet.

Offensichtlich vom Papst begeistert, erklärte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon: "Sie sind nicht in Palästen zu Hause, sondern unter den Armen. Sie pflegen keinen Umgang mit den Berühmtheiten, sondern mit den Vergessenen. Sie sind nicht auf offiziellen Fotos, sondern auf Selfies mit jungen Leuten zu sehen. Wie die Vereinten Nationen auch, werden Sie von der Leidenschaft geleitet, anderen zu helfen. Ihre Ansichten mobilisieren Millionen. Ihre Lehren bringen Bewegung. Ihr Beispiel inspiriert jeden von uns."

Positiv auf die Äußerungen von Papst Franziskus reagierten auch die Nichtregierungsorganisationen (NGOs). So erklärte Ben Phillips von 'ActionAid', dass man dessen moralische Federführung zu Fragen der wirtschaftlichen Ungleichheit und zum Klimawandel begrüße. "Er spricht für viele Millionen Menschen auf aller Welt, die mit den Folgen leben müssen. Nun sind die politischen Führer an der Reihe zu handeln."

Andrew Steer vom Weltressourceninstitut (WIR) unterstrich, dass der Papst in aller moralischer Klarheit seine Stimme für die Notwendigkeit erhoben habe, die Erde zu schützen. "Oder um es so zu sagen: Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, für unseren Planeten und für die Hilfsbedürftigsten zu sorgen."

Wie Barbara Frost von 'WaterAid' betonte, hat der Papst ein Schlaglicht auf die Ärmsten und Verletzlichsten geworfen, die vom Klimawandel und den enormen Ungleichheiten auf der Welt besonders betroffen seien. "Er hat wiederholt betont, dass der Zugang zu sauberem Trinkwasser und eine grundlegende Sanitärversorgung universelle Rechte sind, die für die Gesundheit und menschliche Würde entscheidend sind. Und er hat uns alle aufgefordert, dass wir uns um unseren Planeten kümmern."

Auch die Internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (ICAN) begrüßte die Rede von Papst Franziskus. "Atomwaffen sind unmoralisch, unethisch und inakzeptabel", sagte die ICAN-Leiterin Beatrice Fihn. "Die Regierungen sollten dem Ruf des Papstes folgen und mit Gesprächen für ein Atomwaffenverbot beginnen."


Sexueller Missbrauch durch Priester

Barbara Blaine vom 'Survivors Network of those Abused by Priests' (Netzwerk der von Priestern missbrauchten Überlebenden, sah allerdings auch Anlass zu Kritik. So hinterfragte sie Franziskus' Zusicherung, dass die Bischöfe wegen des sexuellen Missbrauchs und der Versuche, diese zu vertuschen, einen hohen Preis bezahlt hätten.

"Welchen Preis? Welcher Bischof hat weniger Urlaub, fährt einen kleineren Wagen, wäscht seine Wäsche selbst oder wurde bei der Beförderung übergangen, weil er Sexualstraftäter schützt und Kinder gefährdet? Kein einziger", sagte sie und fügte hinzu: "Wenn du eine Frau bist, darfst du kein Priesteramt bekleiden, wenn du verheiratet bist, darfst du kein Priesteramt ausüben. Doch wenn du Kinder missbrauchst, darfst du im Priesteramt bleiben." (Ende/IPS/kb/28.09.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/09/popes-outspoken-views-rattle-u-s-conservatives-but-not-u-n/

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IPS-Tagesdienst vom 28. September 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Oktober 2015

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