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KIRCHE/1426: Predigt von Robert Zollitsch im Jahresschlussgottesdienst am 31. Dezember 2012 (DBK)


Pressemitteilungen der Deutschen Bischofskonferenz vom 31.12.2012

Predigt des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert Zollitsch, im Jahresschlussgottesdienst am 31. Dezember 2012 in Freiburg

Von Gottes Licht geleitet!



Liebe Schwestern, liebe Brüder in der Gemeinschaft des Glaubens!

Silvester ist nicht nur die Nacht der Böller und Leuchtraketen. Sie ist wie keine zweite die Nacht der guten Wünsche: Wir wünschen einander zum neuen Jahr Gesundheit, Glück, Erfolg, Segen, Gottes Gnade und Nähe, Frieden. Das ist zweifellos gut so und zeugt von Wohlwollen und Zuwendung. Dabei ist uns bewusst, dass es letztlich nicht in unserer Hand liegt, ob diese Wünsche in Erfüllung gehen. Es ist ein Anderer, in dessen Macht die Erfüllung dieser Wünsche liegt: Gott, von dem alles kommt und der alles fügt. Wünsche, die wir uns gegenseitig zusprechen, sind - genau besehen - die stille Anerkennung, dass das Entscheidende von einem Anderen kommt. So sind Wünsche im tiefsten Teil eines verborgenen, oft unbewussten Gebetes: Sie weisen uns auf den hin und führen uns zu dem, an den wir uns wirklich halten können. So sind sie denn - am Ende des alten und zum Beginn des neuen Jahres - Türöffner für Gott und für den Weg ins neue Jahr.

Das neue Jahr, liebe Schwestern, liebe Brüder, lädt uns ein, nach vorne zu schauen. Wenn wir hier in unserem Münster nach vorne schauen, dann sehen wir über die strahlenden Christbäume hinweg den Hochaltar mit dem herrlichen Weihnachtsbild von Hans Baldung Grien. Die zentrale Darstellung dieses Weihnachtsbildes fällt von weitem wenig auf, da die Personen auf ihm eher klein und eng aneinander gerückt sind. Auf diesem Bild der heiligen Nacht sehen wir Maria und hinter ihr den heiligen Josef vor dem neugeborenen Kind knien. Das Kind liegt auf einer Windel, die von Engeln gehalten wird: ganz in Licht getaucht - so sehr, dass das Licht, das vom Kind ausgeht, die Gesichter Mariens, Josefs und der Engel hell leuchten lässt. Dieses Licht ist uns durch die Geburt Jesu Christi geschenkt. Wir haben es vor Augen, haben es vor uns. Es leuchtet nicht nur an Weihnachten. Es leuchtet uns, wenn wir auf das zu Ende gehende Jahr zurück blicken; es leuchtet uns auch im neuen Jahr.

Es ist so Vieles, was im zurück liegenden Jahr im Licht Jesu als sein Geschenk aufleuchtet. Wir haben allen Grund, dankbar zu sein: dankbar dafür, dass wir in Mitteleuropa seit nahezu siebzig Jahren in Frieden leben dürfen und uns dieser Friede im alten Jahr erhalten blieb. Wir dürfen dankbar sein, dass Europa trotz aller Kritik und Schwierigkeiten in der Finanzmarktkrise nicht auseinander gefallen ist; dass die Solidarität, in der wir in der Europäischen Union einander helfen, nicht zerbrochen ist, sondern sich weiter als tragend erweist. Wir haben allen Grund, dafür dankbar zu sein, dass wir in Freiheit und Sicherheit leben dürfen und uns in einer freiheitlichen Gesellschaft einbringen und entfalten können. Damit sind die Sorgen und Schwächen unserer Gesellschaft nicht klein geredet. Aber der Blick auf das Ganze und das Licht, das Gott uns schenkt, hilft uns, uns von der Last und dem Dunkel des Alltags nicht erdrücken zu lassen - im Gegenteil: Vom Licht, in dem das Gute aufscheint, dürfen wir uns führen lassen; von dem Licht, das den wahren Blick auf die Realität frei macht.

Ich persönlich bin dankbar, dass wir im Mai 2012 beim Katholikentag in Mannheim ein frohes Fest des Glaubens feiern durften. Unsere Erzdiözese und insbesondere die Stadt Mannheim haben sich für 80.000 Besucher als großartige, einladende Gastgeber erwiesen. Ein Teilnehmer schrieb mir zu Weihnachten: "Ich habe noch nie in meinem Leben so viele strahlende Gesichter gesehen wie auf dem Katholikentag in Mannheim." Der Katholikentag macht Mut und gibt Kraft nicht nur für den Weg ins neue Jahr, sondern für unseren Pilgerweg des Glaubens in eine Zukunft mit Gott.

Wir gehen diesen Weg, indem wir die Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils neu aufgreifen und uns bemühen, sie im Wissen um ihre grundlegende Wegweisung neu ins Heute zu übertragen. Dankbar erinnern wir uns an den Beginn dieser großen Kirchenversammlung vor fünfzig Jahren. Dieses Konzil hat uns reich beschenkt. Seine Schätze sind längst nicht gehoben. Je mehr wir uns auf seine Botschaft einlassen, desto klarer erkennen wir, welchen Weg wir zu gehen und welche Schritte wir zu unternehmen haben. Was dieses wegweisende Konzil über das Geheimnis der Kirche als Gemeinschaft im Heiligen Geist, über die Kirche als pilgerndes Volk Gottes und als Leib Christi aussagt, ist längst nicht in seiner Tiefe und Breite entfaltet. Was es uns als Auftrag der Kirche in der Welt von heute, über das gemeinsame Priestertum aller Getauften, über den Dienst der Laien und unseren gemeinsamen Auftrag, heute das Evangelium zu verkünden, sagt, das führt in die Zukunft und ruft nach Vertiefung. So hat Papst Benedikt XVI. aus gutem Grund fünfzig Jahre nach dem Konzilsbeginn ein "Jahr des Glaubens" ausgerufen. Er lädt uns damit ein, uns auf die Mitte, aus der wir leben, zu besinnen - es ist eine Einladung, das Geschenk des Glaubens dankbar zu feiern und unseren Glauben aktiv und engagiert in unserer Welt zu bezeugen.

Um das Bezeugen der christlichen Botschaft und ihre Verkündigung im Heute ging es auch bei der Weltbischofssynode im Oktober 2012. Neuevangelisierung war ihr Thema. Ich konnte als Delegierter der Deutschen Bischofskonferenz dabei sein und bin beeindruckt nach Freiburg zurückgekehrt. Uns Bischöfen wurde bei dieser Synode neu bewusst, welch großes Geschenk das Evangelium Jesu Christi für uns ist und wie wichtig es ist, das Evangelium heute neu zu verkünden: in der Sprache und in Bildern, die unsere Zeitgenossen verstehen; dass wir nahe genug bei den Menschen sind und in ihren Anliegen und Fragen die Ansätze für die Verkündigung der Botschaft des Evangeliums finden. Wir haben zugleich gespürt, wie wichtig es ist, Zeugen zu gewinnen, die für das Evangelium brennen; Familien zu haben und kleine Gemeinschaften, die helfen, in den Glauben hineinzuwachsen und ihn - gegenseitig bestärkend - zu leben. Dabei gilt es, uns nicht von der Welt zurückzuziehen in die "kleine Herde", sondern den Glauben in einer säkularen Welt zu leben und zu bezeugen. Und: In unserer Welt die Spuren Gottes zu entdecken.

Wir wissen, dass es nicht mehr selbstverständlich ist, dass alle Kinder getauft werden und Kinder wie von selbst in den christlichen Glauben hineinwachsen. Wir spüren Tag für Tag, dass es in unserer Gesellschaft nicht mehr selbstverständlich ist, Christ zu sein und im Evangelium das Fundament für ein gelingendes Leben zu finden. Wir Deutschen sind es gewohnt, unseren Glauben im innersten Herzenskämmerlein für uns zu bewahren und für uns zu behalten. Öffnen wir unser Herz! Sprechen wir mit den Anderen über unseren Glauben! Lassen wir Andere in unserem eigenen Glauben mitglauben! Lassen wir uns ermutigen und beschenken durch den Glauben Anderer! So kann eine neue Evangelisierung im Kleinen beginnen und Wellen für die Botschaft des Evangeliums auslösen.

Nicht nur auf der Bischofssynode in Rom, liebe Schwestern, liebe Brüder, habe ich unsere Kirche im vergangenen Jahr als pilgerndes Gottesvolk erlebt, sondern auch bei uns in Deutschland und in unserer Erzdiözese. Glaubend und pilgernd gehen wir unseren Weg in die Zukunft. Dabei dürfen wir uns darauf verlassen, dass das Licht von Weihnachten über unserem Weg leuchtet und uns auf ihm führt. Die ermutigenden Reaktionen auf meine Einladung zum Dialog, viele konstruktive Rückmeldungen auf die Erkundungsaufträge zeigen: Wir sind gemeinsam auf dem Weg. Wir bemühen uns, aufeinander und gemeinsam auf Gott zu hören und uns von ihm führen zu lassen. Besonders bestärkt und ermutigt haben mich viele Antwortbriefe auf meine Berufungsschreiben zur Diözesanversammlung. In ihnen zeigt sich eine erfreuliche Bereitschaft zum Engagement, zum Mitdenken und Mitberaten und zum gemeinsamen Hören auf Gottes Heiligen Geist. So werden wir auf unserer Diözesanversammlung vom 25. bis 28. April in Freiburg im Gebet, in der Feier der Gottesdienste und in gemeinsamer Beratung danach fragen, welche Hinweise uns Gott für unseren gemeinsamen Weg in die Zukunft gibt. Nicht zuletzt geht es dabei auch um Eckpunkte für die Fortschreibung unserer pastoralen Leitlinien.

Dabei wissen wir uns eingebunden in den deutschlandweiten Dialogprozess. Wir lassen uns von ihm anregen und wollen unsere Anliegen auch in ihn einbringen. Auf den ersten beiden Dialogforen, 2011 in Mannheim und 2012 in Hannover, haben wir uns gemeinsam vergewissert über unseren Weg in die Zukunft als pilgerndes Gottesvolk: Wir haben eine neue Kultur des aufeinander Hörens, des gemeinsamen Hörens auf Gott und einer geschwisterlichen Gesprächskultur eingeübt.

Wir alle wissen, dass es viel leichter ist, eigene Positionen zu erläutern, als zuzuhören und zunächst die Anliegen des Anderen aufzugreifen und nach ihrer Wahrheit zu befragen. So sind wir alle auf einem Pilgerweg zu einer Kultur des Hörens, des aufmerksamen Zuhörens. Wie mit den Neujahrswünschen, die wir einander zusprechen, ist es auch beim Dialogprozess und bei unserer Diözesanversammlung: Das Entscheidende liegt nicht in unserer Hand. Es kommt von einem Anderen. Daher kann es nicht zuerst darum gehen, eigene Ansichten und Positionen durchzusetzen. Zuallererst geht es darum, aus der Glaubensüberzeugung heraus, dass Gott uns führt, zu erahnen, zu ertasten, zu erkennen, was Gott uns sagen will und was er uns aufträgt. Damit ist unser Weg ein geistlicher Weg und unser Dialog ein geistlicher Prozess: Die Diözesanversammlung ist ein Zusammenkommen und Beraten im Blick auf die Führung und Begleitung durch Gottes Heiligen Geist.

Das ist es ja, was uns als Christen kennzeichnet und auszeichnet: Das Vertrauen auf Gottes Nähe und Begleitung. Um seine Spuren mitten in den Anforderungen des Alltags zu entdecken, braucht es unser Hören auf sein Wort, es braucht das Gebet und erst recht das anbetende Knien vor Gott, der Blick auf die Gegenwart Jesu Christi im Zeichen des eucharistischen Brotes. Wenn Köln mit seinen romanischen Kirchen im kommenden Jahr für fünf Tage Gastgeber des Eucharistischen Kongresses sein wird, dann geht es gerade darum, zu zeigen: Jesus Christus ist unter uns gegenwärtig. Die Ausrichtung auf die Monstranz macht deutlich: Meine Mitte finde ich nicht in mir selbst durch angestrengtes Suchen oder Nachdenken, sondern meine tiefste Mitte erfahre ich in meinem Gegenüber, in Gott. In der Ausrichtung auf ihn komme ich zu mir selbst. Anbetung gehört allein Gott. Gebet und Anbetung sind gerade in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft unübersehbare Zeugnisse des Glaubens. Wie Maria und Josef auf unserem Altarbild so wollen auch wir anbetend vor Gott zu knien. Dadurch schöpfen wir Kraft, um aufrecht im Leben zu stehen. Dabei erkennen wir, dass sich der Mensch nicht selbst zu Gott macht; wir begreifen, was in unserem Leben und Zusammenleben wichtig ist und wirklich zählt.

In diesem Vertrauen auf Gottes Führung werden wir auch die Anliegen, Fragen, Sorgen und Wünsche, die uns beschäftigen, auf der Diözesanversammlung beraten. Dabei ist es wichtig, dass wir uns der Realität stellen, und dabei klar sehen, was in unsere Kompetenz gehört und was Sache der Gesamtkirche ist, zu der wir als Ortskirche zählen und der wir uns verbunden wissen. So kommt es darauf an, nicht in anderen Welten und Zeiten herumzuirren, die nicht die unseren sind, und dabei die einzige vergessen, die uns gehört - so mahnt zu Recht Blaise Pascal.

Der Blick auf die guten Wünsche, die wir uns zum Neuen Jahr zusprechen, hat uns daran erinnert, dass deren Erfüllung letztlich nicht in unserer Hand, sondern in der Macht eines Anderen liegt. Darum ist entscheidend, dass wir unseren persönlichen wie auch gemeinsamen Weg im neuen Jahr 2013 sowie den Weg zur Diözesanversammlung im Vertrauen auf Gott gehen: ihn bitten wir um seine Führung, um seinen Heiligen Geist. So lade ich Sie alle ein, den Weg der Kirche von Freiburg im neuen Jahr und die Diözesanversammlung mit Ihrem Gebet zu begleiten. Wir wissen: An Gottes Segen ist alles gelegen. Amen.

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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 209 vom 31. Dezember 2012
Herausgeber: P. Dr. Hans Langendörfer SJ,
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Deutsche Bischofskonferenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Januar 2013