Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → MEINUNGEN

DILJA/243: Legalismus im Land der großen Freiheit - Obama hebelt US-Verfassung aus (SB)


Militärinternierung - Kriegsvorbereitungen auch im Innern der USA abgeschlossen


Der große Knall blieb in der Sylvesternacht aus. Präsident Barack Obama setzte seine Unterschrift unter ein Gesetzeswerk, das zuvor von Senat und Repräsentantenhaus angenommen worden war. Es ist das juristische Herzstück der US-amerikanischen Kriegführung, der "National Defense Authorization Act 2012" (NDAA), was sich mit "Nationales Verteidigungsbevollmächtigungsgesetz" übersetzen ließe. Jahr für Jahr muß der Haushalt des Pentagon auf diese Weise gesetzlich abgesichert werden, Jahr für Jahr erfüllen die Parlamentarier und Senatoren beider Kammern diese Pflicht. Jahr für Jahr wächst nicht nur der Militärhaushalt, der in diesem Jahr ungeachtet dessen, daß gewisse finanzielle Einschränkungen vorgenommen werden mußten, einen Umfang von 470 Milliarden Doller erreichte - zum Vergleich: Der Verteidigungsetat der Volksrepublik China beläuft sich auf 85 Milliarden Dollar, das Budget des Bundesverteidigungsministeriums auf ca. 42 Milliarden Dollar.

Würde eine der an diesem Gesetzgebungsprozeß beteiligten Institutionen - Senat, Repräsentantenhaus, Präsident - ihre Mitwirkung an speziell diesem Gesetz verweigern oder auch nur weiteren Diskussionsbedarf oder Änderungswünsche anmelden, käme das im Selbstverständnis der US-Eliten einem Schritt gleich, der das Land von einem Tag auf den nächsten in eine Lage brächte, in der seine Bürger schutzlos den Angriffen ihrer Feinde ausgeliefert wären. Ein solches Szenario mag diesseits des Atlantiks als weit übertrieben empfunden werden und ist doch geeignet, die Stimmungslage zu skizzieren, mit der in den USA in den zurückliegenden Wochen ohne viel Federlesens die Kernelemente der eigenen Verfassungsgrundsätze ad acta gelegt wurden. Das über 680 Seiten starke Gesetz zur Verabschiedung des Militäretats wurde nämlich mit gesetzlichen Zusätzen versehen, die faktisch die Aufhebung des Prinzips des "Habeas Corpus", also die unumstößliche Verpflichtung der staatlichen Exekutive, jede Inhaftierung eines Menschen gerichtlich überprüfen zu lassen, in das Ermessen dieser Exekutive stellt.

Der Legalismus, der insbesondere in den USA, die sich als Weltstreitmacht in Sachen Freiheit und Freiheitsrechte verstanden wissen wollen, Blüten treibt, ist damit auf die ihm zugrundeliegenden Füße gestellt worden. Gern und mit gutem Grund wird von den Protagonisten legalistischer Positionen die einfache Tatsache, daß Recht auf Gewalt bzw. dem Potential der Gewaltausübung und -androhung beruht, außer acht gelassen, wiewohl sich eine Spur dessen in der Formulierung, das Recht sei stets das Recht des Stärkeren, noch aufspüren ließe. Durch das nun durch Obamas Unterschrift in Kraft getretene Gesetz zur Regelung des Militärhaushalts wurde, sozusagen im nebenherein, ein Gesetz geschaffen, durch das das US-amerikanische Militär jeden Menschen, den es unter einen bestimmten Verdacht stellt, auf dem Territorium der USA ohne jeglichen rechtlichen Schutz internieren kann.

Dies betrifft Ausländer sowie auch US-Bürger, auch wenn die Obama-Administration noch Versuche unternommen hat, über letzteren Punkt Unklarheit zu erzeugen. Damit liegt der Teufel im Detail, denn selbstverständlich hat der US-Präsident, der selbst als früherer Professor für Verfassungsrecht vom (juristischen) Fach ist, nicht ins Gesetz geschrieben, daß die Schutzrechte des Landes von nun an nicht mehr gelten würden, was nebenbei gesagt wohl auch zu massivsten Protesten geführt hätte. Als der US-Kongreß zur Zeit der McCarthy-Ära ein ähnliches Gesetz, durch das die Möglichkeit einer lebenslangen Haft ohne gerichtliche Überprüfung hätte geschaffen werden sollen, durchbringen wollte, war es der damalige Präsident (Truman), der das Vorhaben durch sein Veto zu Fall brachte.

Mit anderen Worten: Barack Obama hätte durch ein schlichtes "No" oder die an Senat und Repräsentantenhaus gerichtete Aufforderung, an den prekären Stellen des Gesetzeswerks entsprechende Änderungen vorzunehmen, den juristischen Schritt in den faktischen Polizei- und Militärstaat verhindern können. Wenn er es denn gewollt hätte, wie hinzugefügt werden muß, denn tatsächlich ist es so, daß Obama unterschrieben hat, obwohl er, wie er behauptete, mit einigen Aspekten nicht einverstanden ist. Der gegenwärtige Präsident und Absolvent der Harvard Universität hatte im Wahlkampf mit dem Versprechen punkten können, einen radikalen Bruch mit der Willkürherrschaft seines Kontrahenten George W. Bush, der das weltweite Positivimage der Nation durch die Folterkerker der CIA im Ausland und die Folterflüge auch durch die europäischen Partnerländer arg strapaziert hatte, vollziehen zu wollen.

Er würde, so das Versprechen des ersten schwarzen US-Präsidenten, bei seinem Einzug ins Weiße Haus der US-Verfassung wieder zur Geltung verhelfen und die präsidiale Allmacht auch in Zeiten des Antiterrorkrieges beenden. Nun sind Versprechen dazu da, gebrochen zu werden, und so ist es nach der bisherigen Amtszeit Obamas alles andere als schwierig, ihm eben dies nachzuweisen. Am 31. Dezember 2011 hielt Obama anläßlich der Unterzeichnung des NDAA eine Rede, in der er - was im In- und Ausland für ein gewisses Erstaunen gesorgt haben dürfte - zu verstehen gab, daß er eigentlich auch zu den Kritikern dieses Gesetzes gehört. So erklärte er, daß die Tatsache, daß er unterschrieben hätte, nicht bedeute, daß er mit allem einverstanden sei. Konkret nannte er seine Vorbehalte gegen gesetzliche Regelungen, die die Internierung, Befragung und Verfolgung des Terrorismus Verdächtigter beträfen.

In bezug auf mehrere, in dem von ihm in Kraft gesetzten Gesetz getroffene exekutive Ermächtigungen merkte er an, daß sie geeignet wären, die wichtigsten Traditionen und Werte der amerikanischen Nation zu verletzen. Der Trick der Obama-Administration besteht nun darin, den Kritikern dieser Polizeistaatsermächtigung das Versprechen zu geben, von den ihr übertragenen Befugnissen keinen Gebrauch zu machen - jedenfalls nicht gegenüber den Falschen. Durch die Rede Obamas zieht sich einem Mantra gleich die Beschwörung der immerselben "Sicherheitsargumentation", indem er erklärt, daß die Sicherheitsorgane in ihrem Bemühen, die Sicherheit der Bürger der USA zu gewährleisten, keinerlei Einschränkungen unterliegen dürften. Die völlige Aushebelung des Rechtstaatsprinzips, genauer gesagt der Verpflichtung, einem Verhafteten rechtliches Gehör zu gewähren, gegen ihn einen rechtsstaatlichen Prozeß zu führen, seine Inhaftierung gerichtlich überprüfen zu lassen etc., tritt Obama zufolge bestenfalls dann ein, wenn es nun einmal nicht mehr anders ging.

So gelobt er, daß seine Administration, wenn es um die Anwendung der Befugnisse gehe, durch die das angeblich eherne Prinzip der Gewaltenteilung verletzt werde, die Regelungen so interpretieren würde, daß ein solcher Verfassungskonflikt vermieden werde. Mit anderen Worten: Obama stellt die verfassungsbrechenden Qualitäten des neuen Militärgesetzes gar nicht in Abrede, sondern wirbt um das Verständnis der Bürger, indem er sie auffordert, ihm zu vertrauen. Ein solches Vorgehen wird seine Wirkung, wie zu befürchten steht, kaum verfehlen, und so trifft der historische Vergleich, den Michel Chossudovsky zog, der das neue US-Ermächtigungsgesetz mit der Reichstagsbrandverordnung des damaligen deutschen Präsidenten Paul von Hindenburg nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 und dem Ermächtigungsgesetz vom März 1933, durch das der Naziherrschaft der Weg geebnet wurde, in Beziehung setzte, nur bedingt ins Schwarze.

Die heutige US-Administration holt nicht nur die brutale Keule hervor, indem sie ihre Kriegführung im Ausland ebenso forciert wie ihre Repressionstechniken im Innern. Sie macht sich die Erfahrungen und Kenntnisse der sogenannten psychologischen Kriegführung zu nutze und bemüht das Gutmenschen-Image des gegenwärtigen Präsidenten, um zu verschleiern, daß die Möglichkeit militärischer Internierung ohne den geringsten Rechtsschutz jeden Menschen in den USA treffen kann. Die Freiheit ist nicht teilbar, wird auch nur eine einzige Ausnahmeregelung geschaffen, bedroht dieses vermeintliche Nadelöhr tatsächlich alle, weil jeder zu dem vermeintlichen Einzelfall werden könnte, der - zum Wohle der Nation, versteht sich, und zugunsten der Sicherheit aller - von einem Tag auf den nächsten weggesperrt werden kann, ohne auch nur über die Gründe informiert zu werden. Es müssen nicht einmal mehr Angehörige in Kenntnis über die Internierung gesetzt werden.

Barack Obama hat nicht nur die Versprechen gebrochen, mit denen er die seines Vorgängers überdrüssig gewordene Bevölkerung mehrheitlich für sich gewinnen konnte. Längst hat er sich als das bessere As im Ärmel erwiesen, weil in seiner Ägide die bisherigen Befugnisse sogar noch weiter ausgedehnt werden konnten. Bei seiner Rede am 31. Dezember stellte er auch klar, daß er sich im Einklang mit den höchsten Bundesgerichten, die in aufsehenerregenden Fällen ebenfalls gegen die Verfassungsgrundsätze entschieden haben, weiß. Damit bewahrheitet sich, daß auch die Gewaltenteilung, deren Verletzung von Obama immerhin eingeräumt wird, Bestandteil eines Legalismus ist, der der durch ihn vollzogenen Herrschaft mit der Behauptung, die einzelnen Glieder des Repressionsapparates würden sich im Interesse der Bürger gegenseitig kontrollieren und im Zaum halten, zur Akzeptanz verhelfen will.


6. Januar 2012