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DILJA/236: Rebellische Juristen? US-Tötungspolitik ruft legalistische Proteste hervor (SB)


Strafanzeige eines Hamburger Richters gegen Bundeskanzlerin Merkel

Nicht die US-Liquidierungspolitik, sondern deren mangelnde Legalität ist der Stein des Anstoßes


Illegale Liquidierungen sind seit vielen Jahren integraler Bestandteil keineswegs ausschließlich der US-amerikanischen Kriegführung. Auch andere Staaten - zu nennen wären hier neben den USA auch Israel und die Russische Föderation in Anlehnung an einen Bericht der Vereinten Nationen, in dem die gezielten Tötungen scharf kritisiert werden [1] - nehmen faktisch für sich das Recht in Anspruch, Menschen auf dem Gebiet anderer Staaten, mit denen sie sich nicht im Krieg befinden, zu töten. Diese Art der Kriegführung könnte als "asymmetrisch" bezeichnet werden, da die Zielpersonen ganz unabhängig von den Taten, die ihnen zur Last gelegt werden oder den Gefährdungen, die aus Sicht ihrer Gegner von ihnen ausgehen, Menschen sind, die im Vergleich zu dem angreifenden Militär- und Geheimdienstapparat über äußerst geringfügig zu nennende, wenn überhaupt vorhandene militärische Mittel verfügen.

Diese Art der Liquidierungspolitik, die selbstverständlich nicht nur zum Tod der Zielpersonen, sondern auch einer keineswegs geringen Anzahl Unbeteiligter führt, wird in aller Regel durch von Drohnen abgeschossene Raketen vollzogen mit der Folge, daß die angreifenden Militärs bzw. Geheimdienstangehörigen nicht das geringste Risiko einer Eigengefährdung eingehen müssen. Bei der faktischen Hinrichtung des mutmaßlichen Al-Kaida-Anführers Osama bin Laden, der von einem Spezialkommando der Navy Seals am 2. Mai in seiner Wohnstätte aufgespürt und getötet worden sein soll, war dies ein wenig anders. Die US-Soldaten konnten diese Operation, die für weltweites Aufsehen sorgte, gleichwohl ohne eigene Verluste durchführen. Während die US-Drohnenangriffe auf Ziele in Pakistan und damit einen Staat, der nach offizieller Lesart (noch?) zu den US-Verbündeten gehört, ungeachtet der Todesopfer unter der Zivilbevölkerung, die dabei immer und immer wieder in Kauf genommen werden, kein nennenswertes Echo in den internationalen Medien hervorrufen, sorgte die Erschießung des obersten US-Feindes im weltweit geführten sogenannten Antiterror-Krieg tagelang für Schlagzeilen.

Tatsächlich wird mit gezielten Tötungen, sprich einer militärisch bzw. geheimdienstlich durchgeführten Liquidierungspolitik in zum Teil fern des eigenen Staatsterritoriums liegenden Ländern weit mehr vollzogen als die Tötung der Zielpersonen und möglicher Begleiter. Diese Angriffe stellen immer auch einen Angriff auf den Staat bzw. die politische Führung des Gebiets dar, in dem sie stattfinden, stellt doch die angreifende Militärmacht damit unmißverständlich klar, daß sie sich in einer Position (militärischer) Stärke befindet, die ihr das Mandat zu solchen Operationen gibt. Schon der Versuch, ein und sei es noch so absurdes Gegenbeispiel zu konstruieren, schlägt fehl, weil die militärischen und hegemonialpolitischen Voraussetzungen nicht vergleichbar bzw. nicht austauschbar sind.

Die Frage, wie sicher die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen vor einem solchen Drohnenangriff des US-Militärs eigentlich sind, ist denn auch keineswegs so abwegig, wie sie im ersten Moment erscheinen mag. Da die Bundesregierung sich im Großen und Ganzen als verläßlicher Bündnisgenosse Washingtons erwiesen und bewährt hat, ist eine solche Option alles andere als plausibel und wahrscheinlich, doch gibt es, um die Frage noch einmal zuzuspitzen, eine absolute Gewähr, daß niemals und unter keinen, wie auch immer gearteten Bedingungen ein solcher US-Angriff auf das Territorium der Bundesrepublik durchgeführt werden könnte? Gibt es hierzulande einen absoluten rechtlichen Schutz vor den tödlichen Raketen US-amerikanischer Drohnen?

Um sich der Beantwortung dieser Frage bzw. der Einschätzung dieser Sachverhalte anzunähern, muß der rechtliche Schutz zunächst einmal analysiert werden; schließlich gibt es heute und nicht erst seit heute recht umfangreiche internationale wie nationale rechtliche Regelungen, die beanspruchen, das friedliche Zusammenleben der Völker sicher- bzw. herzustellen, um von den nicht minder umfangreichen und wortreichen Verträgen und Verpflichtungen, die dem Schutz der Menschenrechte und damit dem Leben wie dem Wohl und Wehe aller Erdenbewohner gewidmet sind, noch gar nicht zu sprechen. Dieser internationale rechtliche Rahmen stellt so etwas wie ein Korsett dar, das den Anforderungen moderner Kriegführung, wie sie von den USA und anderen (militärisch) führenden Staaten praktiziert wird, längst nicht mehr gerecht wird. Zwischen faktischer Kriegführung und internationalem Recht ist ein Spannungsverhältnis entstanden bzw. systematisch aufgebaut worden, das nach Entspannung, sprich einer Neuregelung bisheriger rechtlicher Bestimmungen zu schreien scheint.

Da das Recht stets und immer der Gewalt nachfolgt bzw. auf dieser beruht, wird sich eine solche Angleichung stets nur in eine Richtung vollziehen lassen. Wäre es umgekehrt, hätten also rechtliche Bestimmungen tatsächlich eine Schutzwirkung und würden den kriegführenden Nationen echte und unüberwindliche Grenzen stecken, wären die vielfachen Gesetzes-, Verfassungs- und internationalen Rechtsbrüche nicht zu erklären. Aus diesem Grunde ist die in diesen Tagen vielfach von juristischer Seite formulierte Kritik an der jüngsten Tötungsoperation des US-Militärs eine ambivalente Angelegenheit, weil sie zwar eine Kriegführung kritisiert, die über alle Maßen kritikwürdig ist, doch zugleich einen Legalismus transportiert und zum Ausdruck bringt, der die Kritik in ihr Gegenteil umschlagen lassen könnte.

So brachte der auf internationales Strafrecht spezialisierte Juraprofessor Kai Ambos in einer Stellungnahme zur Bin-Laden-Tötung eine scharfe Kritik an den von westlichen Militärs durchgeführten außergerichtlichen Hinrichtungen zum Ausdruck [2]. Ambos argumentierte, daß dies das Merkmal eines Unrechtsstaates sei und daß auf diese Weise fundamentale Menschenrechte gebrochen werden. Juristisch ist seine Argumentation absolut schlüssig, denn selbstverständlich wurden die Menschenrechte als allgemeingültige Regelung konzipiert und können nicht für einzelne aufgehoben werden. Kai Ambos, Rechtsprofessor an der Universität Göttingen, erklärte deshalb in einer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 5. Mai veröffentlichten Stellungnahme, daß es für die gezielte Tötung Osama bin Ladens keine Rechtfertigung gäbe und daß auch "Terroristen" ein Recht auf ein reguläres Gerichtsverfahren hätten, das in den USA möglicherweise, so ihre Schuld festgestellt werden würde, sogar "zur Todesstrafe" führen könne. "Eine Tötung ohne Gerichtsverfahren" aber, so Ambos, sei eine "extralegale Hinrichtung", wofür "Unrechtsstaaten vor Menschenrechtsgremien" angeklagt werden würden.

So weit, so (rechtlich) schlüssig die Argumentation. Für den Rechtsgelehrten sei es völlig indiskutabel, daß der Westen seinen "terroristischen Feinden" jegliches Menschenrecht versagen und sie zum "militärischen Freiwild" erklären will. Ambos' Kritik betrifft nicht nur Washington, sondern auch die deutsche Bundesregierung, da diese spätestens seit dem vergangenen Jahr die Rechtsposition eingenommen hat, daß gezielte Tötungen von Aufständischen auch außerhalb konkreter Kampfsituationen unter bestimmten Umständen erlaubt sein könnten. Aus dem Bundesverteidigungsministerium war dazu zu vernehmen, man habe sich "in vielen Bereichen weiterentwickelt" [2]. Diese "Weiterentwicklung" hat bereits dazu geführt, daß die Bundesregierung selbst dann völlig untätig blieb, als den US-amerikanischen Drohenangriffen eigene Landsleute zum Opfer fielen; so geschehen mit dem 20jährigen Bünyamin E., der in Pakistan am 4. Oktober 2010 durch eine von einer US-Drohne abgeschossene Rakete getötet wurde.

Allem Anschein nach ist der Rechtsangleichungsprozeß längst in Vorbereitung bzw. im Gange. Die Strafanzeige, die Heinz Uthmann, ein Hamburger Arbeitsrichter, am vergangenen Donnerstag gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen ihrer angesichts der Tötung bin Ladens zum Ausdruck gebrachten "Freude" gestellt hat [4], ist angesichts dessen nicht mehr als ein Windhauch in einem Orkan, der nicht nur das internationale Rechtsgefüge zur Erosion bringt, sondern eine Kriegführung zu begleiten im Begriff steht, dergegenüber sich die "klassische", auf zwischenstaatliche Konflikte beschränkbare Gewaltanwendung und das auf sie zugeschnittene Kriegsvölkerrecht als ein Bremsklotz erwiesen hat. Wenn einzelne Menschen unabhängig des Schutzes, den "ihr" Staat ihnen zu verleihen verspricht, von den militärisch mächtigsten Staaten der Welt problemlos getötet werden können, kann vom dem internationalen Konstrukt universell geltender Menschenrechte nicht mehr die Rede sein; dann ist einem "Weltkrieg" bislang unerreichten Ausmaßes der Boden bereitet.


Anmerkungen

[1] Osama bin Laden - werden völkerrechtswidrige Tötungen hoffähig? Von Michael Haid, IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V., IMI-Analyse 2011/019 vom 5.5.11,
http://www.imi-online.de/2011.php?id=2299
im Schattenblick siehe INFOPOOL -> MEDIEN -> ALTERNATIVPRESSE:
IMI/364: Osama bin Laden - werden völkerrechtswidrige Tötungen hoffähig?

[2] Unrechtsstaaten. german-foreign-policy, 06.05.2011

[3] Auch Terroristen haben Rechte. Von Kai Ambos, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 05.05.2011

[4] Wegen Freude über bin Ladens Tod. Hamburger Richter zeigt Kanzlerin Merkel an! Von Thomas Hirschbiegel, Hamburger Morgenpost, 6.5.2011
http://www.mopo.de/hamburg/politikwirtschaft/hamburger-richter-zeigt-kanzlerin-merkel-an-/-/5067150/8413664/-/index.html

10. Mai 2011