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DILJA/231: Widerstand ist zwecklos... Kabinett beschließt höhere Strafen (SB)


Gesetzesverschärfung im Bereich der "Inneren Sicherheit" beschlossen

"Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" wird zum Königsdelikt


Einem demokratischen Rechtsstaat stehen Sondergesetze jeglicher Art schlecht zu Gesicht. Dem egalitären Anspruch einer demokratischen Verfassung, die jedem Menschen, der sich im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik befindet, unteilbare, unveränderbare und bedingungslos geltende Grundrechte gewährt, stehen Strafgesetze, die einen fundamentalen Unterschied zwischen Menschen postulieren, entgegen. Diesem Prinzip folgend wäre es naheliegend, jegliche gegen einen anderen Menschen gerichtete Tat, durch den dieser körperlich beeinträchtigt oder verletzt wird, als Körperverletzung zu bewerten und ggf. zu bestrafen. Dies würde für Angehörige der staatlichen, das Gewaltmonopol tragende und umsetzende Organe gleichermaßen gelten wie für alle anderen, nicht in einem wie auch immer gearteten Dienstverhältnis zum Staat stehenden Menschen, weshalb auf den ersten Blick nicht erkennbar ist, warum der Gesetzgeber es für erforderlich hielt, etwaigen "Widerstand gegen die Staatsgewalt" gesondert unter Strafe zu stellen.

Zwischen den Trägern der Organe der staatlichen Gewaltausübung und allen übrigen Staatsbürgern, die, von waffenrechtlichen Ausnahmen abgesehen, in keiner Weise autorisiert sind, sich bei etwaigen Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt körperlich zur Wehr zu setzen, herrscht insofern ein Ungleichgewicht, über dessen Verfassungsmäßigkeit sich unter Umständen vortrefflich streiten ließe. Die Legitimation, als Träger des staatlichen Gewaltmonopols Zwangsmittel einsetzen zu können, deren Gebrauch anderen Menschen sofort hohe Haftstrafen einbrächte, könnte in bestimmten Situationen kontraproduktiv wirken. Wer sich bei Demonstrationen und friedlichen Aktionsformen, wie unlängst bei den Bürgerprotesten gegen das umstrittene Bahnprojekt "Stuttgart 21", einer vermummten und geradezu martialisch ausgestatteten Kampftruppe gegenübersteht, die kraft ihres Erscheinungsbildes schon wie eine Gewaltandrohung wirkt, könnte versucht sein, im Falle seiner Festnahme Handlungen zu vollziehen, die ihm hinterher eine Anklage wegen "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" nach dem Paragraphen 113 oder 114 StGB einbringen.

Wer beispielsweise bei einer Sitzblockade von mehreren, vom Erscheinungsbild eher an Soldaten im Kampfeinsatz gemahnenden Polizisten umringt wird und "in Gewahrsam" genommen werden soll, wird kaum umhinkommen, sich angesichts dieser extremen Dipolarität angegriffen und bedroht zu fühlen. Wer sich dem polizeilichen Zugriff zu entwinden sucht - und dies darf wörtlich verstanden werden als das wenn auch meistens vergebliche Bemühen, sich irgendwie loszureißen, um der überaus bedrohlichen Situation im engsten Wortsinn entfliehen zu können - kommt nur allzu schnell in die Nähe der Strafbarkeit. Aus Sicht der Vollstreckungsbeamten stellt sich dies als "Widerstand" dar, weil das Objekt ihres Zugriffs ganz offensichtlich nicht willens ist, sich in sein ihm von den beteiligten Beamten zugedachtes Schicksal zu fügen.

Genaugenommen hat dies mit einem körperlichen Angriff auf Polizeibeamte nichts zu tun, der ja - wie gegen jeden Menschen - als Körperverletzung stets strafbar wäre. Die einschlägigen Paragraphen, die als "Widerstand gegen die Staatsgewalt" zusammengefaßt werden können und zu denen neben der öffentlichen Aufforderung zu strafbaren Handlungen, Gefangenenbefreiung und -meuterei eben auch der bereits erwähnte Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gehören, stehen somit in einem Kontext, der über die konkrete (Gewalt-) Tat hinaus- bzw. auch an ihr vorbeigeht und stattdessen oder darüberhinaus eine bestimmte Haltung oder Absicht unter Strafe zu stellen sucht. Die Staatsgewalt, ohnehin alleinige Trägerin des staatlichen Gewaltmonopols, wird durch die Mittel von Polizei und Strafjustiz zusätzlich geschützt vor etwaigen Angriffen oder auch nur vor der mangelnden Bereitschaft, sich ihr widerspruchslos zu unterwerfen. Dies trägt allerdings die Handschrift eines Obrigkeitsstaates und verträgt sich schlecht mit der hohen Selbstverpflichtung, die ein demokratischer Staat im sensiblen Bereich des polizeilichen Umgangs mit seinen Bürgern eingehen müßte, um diese vor sich zu schützen.

Dies mag aufrührerisch wirken, entspricht jedoch dem Grundgedanken der in der Verfassung durch die für ihren Kernbereich geltenden Ewigkeitsklausel gesondert geschützten Grundrechte, die ideengeschichtlich als Abwehrrechte der Bürger gegen die Staatsgewalt gedacht und konzipiert waren. In der Praxis werden von den Gerichten jedoch häufig Urteile gefällt, die den begründeten Verdacht, es handele sich bei den unter dem Sammelbegriff "Widerstand gegen die Staatsgewalt" subsumierbaren Straftaten um Instrumente einer politisch motivierten Repression, erhärten. Dies veranlaßte die innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linken im Bundestag, Ulla Jelpke, angesichts der jüngst beschlossenen Gesetzesverschärfung, durch die der Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte im Strafrahmen von zwei auf drei Jahre und in schweren Fällen, das heißt beim Mitführen einer Waffe oder eines gefährlichen Gegenstands, von drei auf fünf Jahre erhöht werden soll, zu folgender Stellungnahme [1]:

Mehr als Symbolpolitik und Populismus steckt nicht hinter der Verschärfung des Widerstandsparagraphen. Die Regierung erweckt zu Unrecht den Eindruck, jede Widerstandshandlung sei bereits eine Gewalttat. Dabei kann schon passive Resistenz etwa gegen Festnahmen als Widerstand verfolgt werden - man denke an Sitzblockaden gegen Naziaufmärsche oder den Castor-Transport. Hier von Gewalt zu sprechen, ist absoluter Unsinn.

Kurzum: Es gäbe gute Gründe, das Für und Wider dieser spezifischen Strafrechtsbestimmungen einer breiten öffentlichen Diskussion zuzuführen. Davon kann jedoch nicht im mindesten die Rede sein, da die gegenwärtige Bundesregierung die juristischen Stellschrauben noch weiter anzieht, obwohl keine begründbare Notwendigkeit dazu vorliegt. Zwar wird in vielen Medien kolportiert wie auch von an einer Befütterung des Bedrohungsbildes interessierten Politikern gern der Eindruck erweckt, daß Gewalttaten gegen Polizisten zugenommen hätten. Der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer legte im Mai einen Zwischenbericht vor, in dem er zu dem Ergebnis kam, daß in der bundesdeutschen Gesellschaft generell die Bereitschaft zur spontanen Gewaltanwendung zugenommen hätte. Die dementsprechenden Straftaten würden allerdings überwiegend von jungen und zumeist alkoholisierten Männern begangen, was wenig geeignet ist, das Feindbild politisch motivierter Gewalttäter vornehmlich linker Zugehörigkeit zu befüttern.

Mit einer Strafverschärfung beim Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ist diesem Phänomen sicherlich nicht beizukommen. Eine solche Kritik, vorgebracht nicht nur von der Linken, sondern auch von der bündnisgrünen Bundestagfraktion, greift allerdings zu kurz, weil sie unterstellt bzw. suggeriert, daß der Gesetzgeber hier irrtümlich, das heißt in Verkennung der Sachlage, gehandelt hätte. Die Strafverschärfungen gerade in diesem Bereich der inneren Sicherheit machen jedoch tatsächlich "Sinn" in repressionstechnischer Hinsicht, da sie - im Gegensatz zu den Delikten der Körperverletzung - einen suggestiven Anteil haben, also in einem politisch interpretierbaren Kontext stehen und den Trägern staatlicher Gewaltorgane mehr noch als bisher die Droh- und Strafmittel langjähriger Haftstrafen an die Hand geben, wann und wo immer sie ihre Vorstellungen von Sicherheit und öffentlicher Ordnung durch aus ihrer Sicht unbotmäßige Bürger gefährdet sehen. "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" ist das klassische und nun noch verschärfte Mittel, um all jenen, die sich der staatlichen Übermacht im buchstäblichen Wortsinn zu entwinden suchen, die eigentliche Botschaft, nämlich daß - wie die Borg in der Fernsehserie Startrek eindrucksvoll vertreten - Widerstand zwecklos sei, nahezubringen.

Anmerkung

[1] Presseerklärung - die Linke im Bundestag vom 13. Oktober 2010, Verschärfung des Widerstandsparagraphen ist reine Symbolpolitik, von Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke

15. September 2010