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DILJA/229: Troy Davis in Lebensgefahr - US-Todesstrafengegner machen Ausnahmen (SB)


Anti-Todesstrafen-Bewegung in den USA tief gespalten

Nicht nur die drohende Hinrichtung Mumia Abu-Jamals, sondern auch die des Afroamerikaners Troy Davis findet eine gewisse Akzeptanz


Im Falle des Afroamerikaners Troy Davis haben sich weltweit Millionen Menschen, unter ihnen auch Prominente wie der frühere südafrikanische Erzbischof Desmond Tutu oder auch der ehemalige US-Präsident James Carter, dafür eingesetzt, daß das Verfahren gegen den heute 41jährigen neu aufgerollt wird. Vor fast 20 Jahren - 1991 - war Davis wegen des Mordes an dem Polizisten Mark MacPhail, der 1989 in Savannah, Georgia, erschossen worden war, zum Tode verurteilt worden [1]. Die nationalen wie auch internationalen Todesstrafengegner und Davis-Unterstützer, deren langanhaltenden Protesten die bisher dreimalige Aussetzung der Hinrichtung maßgeblich zu verdanken ist, fordern eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht deshalb, weil sie Zweifel an dem 1989 verhängten Schuldspruch gegen Davis hegen, sondern weil sie auf der Basis stichhaltigster Argumente davon überzeugt sind, daß mit ihm ein Mensch hingerichtet werden würde, der die ihm zur Last gelegte Straftat gar nicht begangen hat.

Da ein rechtskräftiges Urteil gegen Troy Davis vorliegt und dessen Leben schon dreimal aufs Akuteste gefährdet war, wissen die Aktivisten und Unterstützer in Kenntnis des US-amerikanischen Rechtssystems nur zu genau, daß eine rechtswirksame Aufhebung des Todesurteils bzw. des Schuldspruchs nur durch die Justiz erfolgen kann. Die immensen Schwierigkeiten, eine solche Neuverhandlung zu erwirken und durchzusetzen scheint bei Troy Davis wie auch bei Mumia Abu-Jamal keineswegs damit zu begründen sein, daß die Argumente zu dürftig und die vorgebrachten neuen Beweise zu irrelevant seien, um im Falle einer neuen gerichtlichen Erörterung nicht zu einem gänzlich anderen Urteil zu führen. Das genaue Gegenteil scheint der Fall zu sein: In beiden Fällen "stinkt" die vermeintliche Beweislage so sehr zum Himmel, daß die Gerichte und zuständigen Staatsanwaltschaften allen Grund haben, im Falle einer Neuverhandlung das Eintreten einer Situation vor Gericht zu befürchten, in der eine abermalige Aburteilung einfach nicht mehr durchzusetzen ist.

Die Argumente im Fall Davis sind eigentlich sattsam bekannt und von dessen Verteidigern immer und immer wieder vorgebracht worden. Es gibt nicht den geringsten "harten" Beweis, der Davis als Mörder überführen oder auch nur dessen Schuld nahelegen würde - keine Tatwaffe, keine DNA-Spuren, keine sonstigen kriminalistisch nachprüfbaren Beweise. Verurteilt wurde der damals noch junge Mann einzig aufgrund von Zeugenaussagen, von denen inzwischen allerdings, was diesen Fall selbst in den Augen justizunkritischer US-Bürger zu einem Skandal macht, die meisten widerrufen wurden unter Bedingungen, die ein gelinde gesagt schlechtes Bild auf die Polizei werfen. So haben, wie auch amnesty international in einem Bericht darlegte, sieben der insgesamt neun Belastungszeugen ihren Widerruf damit begründet, ihre Troy Davis belastenden Angaben seinerzeit nur auf Druck der Polizei gemacht zu haben. Einer der beiden Zeugen, die nicht widerrufen haben, war seinerzeit selbst der zweite Hauptverdächtige...

Drei Hinrichtungstermine - einer im Juli 2007, zwei weitere im September bzw. Oktober 2008 - waren, begleitet von massiven Protesten, gerichtlich aufgehoben worden, wodurch jedesmal zwar das Leben des heute 41jährigen vorläufig gerettet, jedoch nichts an der wegen des gegen ihn verhängten Todesurteils nach wie vor lebensbedrohlichen Situation geändert werden konnte. Vor einem Jahr sah es nach einer Entscheidung des US Supreme Court, des Obersten Gerichtshofes in den USA, ganz danach aus, als könnte tatsächlich eine Neuverhandlung erreicht werden. Nachdem ein Bundesbezirksgericht die Forderung nach einer neuen Verhandlung abgelehnt hatte, hatten Troys Anwälte den Supreme Court angerufen, der eigens wegen dieses Falles während der Sommerpause zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentraf. Zur Begründung hatte einer der Richter am Obersten Gerichtshof, John Paul Stevens, eine Erklärung abgegeben, die geeignet war, Hoffnungen zu erwecken [2]:

Das erhebliche Risiko, einen unschuldigen Mann hinzurichten, bietet die hinreichende Rechtfertigung dafür, eine Anhörung zur Beweiserhebung durchzuführen.

Nicht nur Stevens, auch Richterin Ruth Bader Ginsburg und Richter Stephen Breyer vertraten diese Auffassung, und so wurde der Fall vom Supreme Court an den für den südlichen Bezirk Georgias zuständigen Bundesrichter zurückverwiesen. Zwei Richter, Antonin Scalia und Clarence Thomas, bezogen einen gegenläufigen Standpunkt, den Scalia damit begründete, daß die von Davis vorgebrachten Argumente "zum Scheitern verurteilt" seien und daß der Supreme Court noch nie geltend gemacht habe, "daß die Verfassung die Hinrichtung eines verurteilten Beschuldigten verbietet", der später die Gerichte von seiner Unschuld habe überzeugen können. Dieser Satz bedarf wohl der weiteren Klarstellung, weil sich hierzulande wohl kaum jemand vorstellen kann, daß nach Ansicht der obersten US-Richter die Hinrichtung eines unschuldig Verurteilten keinen Verstoß gegen die Verfassung darstellen könnte. Doch genau dies ist der Fall, wie Professor John Blume, Rechtsgelehrter an der Cornell University, anläßlich dieser Entscheidung des Supreme Court vom August 2009 bestätigte [2]:

Das könnte ein wichtiger erster Schritt zur Anerkenntnis des Gerichts sein, daß es die Verfassung verletzt, jemanden hinzurichten, der tatsächlich unschuldig ist. Es mag viele überraschen, aber das Gericht hat das noch nie gewürdigt.

Der Oberste Gerichtshof sprach Troy Davis das Recht auf eine neue Anhörung zu und schrieb in sein Urteil hinein, daß das zuständige Gericht des Bundesstaates Georgia Zeugen vernehmen und untersuchen müsse, ob neue Fakten die Unschuld Davis' beweisen könnten. Nach 18 Jahren, die Troy Davis bis dahin schon in einer Todeszelle verbracht hatte, konnte das süße und doch so bittere Gift der Hoffnung nach diesen Worten nicht ausbleiben. Amnesty international hatte diese Entscheidung ausdrücklich begrüßt. Inzwischen jedoch, rund ein Jahr später, folgte eine Ernüchterung, wie sie fundamentaler und gleichermaßen erhellender, was das tatsächliche Wirken und Zusammenwirken der verschiedenen Instanzen der US-Justiz betrifft, kaum hätte sein können. Am 12. August 2010 entschied der für den südlichen Bezirk des Bundesstaates Georgia zuständige Bundesrichter William T. Moore Jr., daß er es ablehne, im Fall Troy Davis eine erneute Überprüfung der Beweislage anzuordnen.

Wer angesichts der vorherigen Entscheidung des Supreme Court nun glaubt, sich verhört bzw. falsch gelesen zu haben, muß sich eines Besseren belehren lassen. Diese erste Entscheidung seit Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA von 1976 für eine neue Beweisaufnahme wurde vom nächst niedrigerenn Gericht faktisch für null und nichtig erklärt. Bundesrichter Moore hatte zwar am 23. und 24. Juni 2010 in Savannah eine Anhörung durchgeführt, bei der, wie zu erwarten gewesen war, sieben der neun Belastungszeugen ihre Aussagen widerrufen und erklärt hatten, diese nur aufgrund des Drucks der Polizei gemacht zu haben. Weitere Zeugen hatten bei dieser Anhörung sogar Angaben zu dem Mann gemacht, bei dem es sich um den tatsächlichen Täter gehandelt haben könnte. Die Staatsanwaltschaft hatte der Verteidigung zum Vorwurf gemacht, bestimmte Zeugen nicht aufgerufen zu haben, obwohl dies in US-Gerichten, wo Anklage und Verteidigung stets "ihre" Zeugen benennen, gang und gäbe ist.

Bundesrichter Moore hatte sich diese (absurde) Argumentation schlicht zu eigen gemacht und eine erneute Beweisüberprüfung mit der Begründung abgelehnt, die Anwälte hätten "versucht, durch eine lückenhafte und irreführende Beweisführung Sinn und Zweck des Gesetzes zu pervertieren" [3]. Gegen diesen Beschluß hat die Verteidigung wiederum Rechtsmittel angekündigt. Richter Moore hingegen arbeitet unterdessen auf die Hinrichtung Davis' hin. So schrieb er am 24. August in seiner "abschließenden Beurteilung" an den Obersten Gerichtshof, daß Troy Davis "nicht unschuldig" [4] sei. Wie er dies angesichts der in der von ihm selbst im Juni durchgeführten Anhörung vorgebrachten Argumente und Zeugenwiderrufe behaupten zu können vorgibt, mag allein sein finsteres Geheimnis sein.

Für Troy Davis bedeutet dies, daß sich die Aussicht, aufgrund der vor einem Jahr geradezu als bahnbrechend für die US-Justiz bewerteten Entscheidung des Supreme Court tatsächlich etwas zu bekommen, das nach landläufiger Auffassung eine "faire Chance" vor Gericht hätte sein oder werden können, zerschlagen hat. Sein Leben ist nach wie vor in Gefahr, nun wieder mehr denn noch vor einem Jahr, zumal die an den Obersten Gerichtshof der USA von Bundesrichter Moore gerichtete Behauptung von dessen "Schuld" als Aufforderung an die höchsten Richter verstanden werden kann, nicht abermals einer Hinrichtung Steine in den Weg zu legen.

Angesichts der Tatsache, daß Teile der US-amerikanischen Todesstrafengegner im vergangenen Winter eine bis dahin wohl nicht für möglich gehaltene Schwelle überschritten haben, indem sie sich im Fall von Mumia Abu-Jamal, aber auch Troy Davis darauf eingelassen haben, ihre Hinrichtung gegebenenfalls zu akzeptieren [5], steht zu befürchten, daß die damit vollzogene Spaltung und Schwächung der Bewegung der Todesstrafengegner nun dazu beiträgt, die von rechten Organisationen in den USA wie insbesondere der Polizistenorganisation FOP aktiv betriebene Hinrichtung der angeblichen "Polizistenmörder" Mumia Abu-Jamal und Troy Davis nicht nur juristisch, sondern auch politisch durchsetzungsfähig zu machen.

Anmerkungen

[1] Zur bisherigen SB-Berichterstattung über die Troy Davis drohende Hinrichtung siehe im Schattenblick -> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN:
DILJA/176: Montag, 27.10.2008 - Voraussichtlicher Todestag von Troy Davis (SB) (23.10.2008)
DILJA/177: Troy Davis lebt - Hinrichtungsaufschub um weitere 15 Tage (SB) (27.10.2008)
DILJA/199: Vorerst keine Hinrichtung - US Supreme Court gewährt Troy Davis Beweiserhebung (26.08.2009)

[2] Ein Schimmer der Hoffnung. USA: Oberster Gerichtshof verweist Fall Troy Davis an Bundesrichter zur Beweisprüfung, von Jürgen Heiser, junge Welt, 21.08.2009

[3] Troy Davis in Lebensgefahr. USA: Richter lehnt Überprüfung der Beweislage für den zum Tode Verurteilten ab, von Jürgen Heiser, junge Welt, 16.08.2010, S. 7

[4] Richter: Troy Davis "nicht unschuldig", von Jürgen Heiser, junge Welt, 26.08.2010, S. 6

[5] Pakt mit dem Teufel, von David Lindorff, junge Welt, 23.07.2010, siehe im Schattenblick in INFOPOOL -> BÜRGER & GESELLSCHAFT -> FAKTEN:
MUMIA/366: Pakt mit dem Teufel (jW).
Dort befindet sich auch eine in diesem Zusammenhang informative Dokumentation des Internationalen Verteidigungskomitees Bremen (IVK) vom 22. Juli 2010:
MUMIA/367: Geheimes Memorandum zur Ausgrenzung Mumia Abu-Jamals aus der Bewegung ... (IVK)

31. August 2010