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DILJA/206: Den Haager Jugoslawien-Tribunal torpediert Karadzics Selbstverteidigung (SB)


Dem ehemaligen Präsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, wird das Recht auf Selbstverteidigung entzogen

Das Den Haager Tribunal fürchtet einen zweiten "Milosevic"-Prozeß


Am 27. Juli 2005 soll ein niederländischer Armeeangehöriger, Hauptmann Shouten, gegenüber der niederländischen Zeitung "Het Parool" folgende Angaben zu der Zeit im Juli 1995 gemacht haben, in der er während der "Massaker von Srebrenica" in Bratunac, einem ganz in der Nähe Srebrenicas gelegenen Ort, als einziger UN-Offizier stationiert gewesen war [1]:

Jeder plappert jedem nach, aber keiner liefert harte Beweise. Ich stelle fest, dass die Leute in den Niederlanden um jeden Preis beweisen möchten, dass Völkermord begangen wurde. ... Wenn Hinrichtungen stattgefunden haben, dann haben die Serben das verdammt gut versteckt. So glaube ich nichts davon. Am Tag nach dem Zusammenbruch von Srebrenica, am 13. Juli, kam ich in Bratunac an und blieb dort acht Tage. Ich war in der Lage hinzugehen, wo ich wollte. Mir wurde alle mögliche Hilfe gewährt; nirgends wurde ich gestoppt.

Diese Äußerungen stehen in einem auffälligen Mißverhältnis zu der offiziellen Geschichtsschreibung über die damaligen Ereignisse in dem insgesamt dreijährigen Bürgerkrieg in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Bosnien-Herzegowina. Dieses Mißverhältnis fällt umso frappierender aus, weil die nicht nur unter den direkt Beteiligten, sondern auch unter Historikern höchst umstrittene Darstellung, derzufolge die serbische Seite die Alleinschuld an diesem Krieg trage und insbesondere auch das sogenannte Massaker von Srebrenica mit sieben- bis achttausend muslimischen Todesopfern zu verantworten habe, bis heute als nicht mehr zu hinterfragende Tatsache gehandelt wird. Zu dieser Entwicklung hat das eigens zur juristischen Abwicklung der auf dem Territorium der früheren Bundesrepublik Jugoslawien verübten Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen bereits Anfang der 1990er Jahre eingerichtete UN-Tribunal in Den Haag (ICTY) in erheblichem Maße beigetragen, obwohl gerade dieses Rechtskonstrukt nicht die geringste Gewähr für eine frei von Eigeninteressen und politischen Absichten durchgeführte juristische Aufklärungs- und Bewertungsarbeit bietet.

Es ist sattsam bekannt, daß das Den Haager Tribunal auf das besondere Betreiben zweier in diesen Konflikt und die sich anbahnenden Jugoslawienkriege zutiefst involvierter Staaten, nämlich der USA, aber auch der Bundesrepublik Deutschland, hin eingerichtet wurde, und so stand es von seiner Geburtsstunde an in dem Ruch, das juristische Standbein einer Kriegsmaschinerie zu sein, das zur einseitigen Beschuldigung und Diskreditierung des späteren Kriegsgegners der NATO, sprich Serbiens bzw. Jugoslawiens wie auch der bosnischen Serben, unverzichtbare Dienste zu leisten hatte. Dies galt für den Weg in diesen Krieg, aber auch, nicht minder, für dessen juristische Nachbereitung, damit der "Sündenfall" der NATO, nämlich auf europäischem Boden einen Angriffskrieg gegen einen Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen wie auch der Blockfreienbewegung zu führen, auch eine nachträgliche "Rechtfertigung" erhält.

Seit dem 26. Oktober dieses Jahres wird nun, wie an dieser Stelle bereits berichtet [2], in Den Haag gegen den früheren Präsidenten der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, verhandelt. Gegen Karadzic war inmitten des Krieges, im Juli 1995, Anklage erhoben worden, wodurch es gelang, ihn als Verhandlungspartner zu diskreditieren, weil es schließlich niemandem zuzumuten war, sich mit einem mutmaßlichen Kriegsverbrecher an einen Tisch zu setzen. Schon zu diesem Zeitpunkt erwies sich das juristische Prozedere als Bestandteil der Kriegführung der NATO, und dies vollkommen losgelöst von der Frage, wem in diesem Krieg juristisch relevante Vorwürfe gemacht werden könnten und wem nicht. Eine vollständige juristische Aufarbeitung stellt ohnhin ein höchst fragwürdiges und letztlich unrealisierbares Unterfangen dar, weil schon die Annahme, es könnte tatsächlich zwischen Kriegs-"Verbrechen" und legitimen Kriegshandlungen unterschieden werden, fehlgeleitet ist und auf bestimmten politischen Vorgaben beruht.

Davon losgelöst stellt ein Tribunal, dessen komplette Vorgehensweise, Entscheidungen und Urteilssprüche so vorhersagbar, weil einseitig sind wie die des ICTY, eine ebenso komplette Farce dar. Dies bewahrheitete sich in dem Verfahren gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic, der im Jahre 2006 unter bis heute nicht vollständig geklärten Umständen in Den Haag just zu der Zeit verstarb, in der er mit der Beweisaufnahme und Zeugenvernehmung der Verteidigung - er verteidigte sich selbst - hätte beginnen können. Mit Radovan Karadzic würde das Tribunal ebensowenig "leichtes Spiel" haben, hat doch der frühere Serben-Präsident bereits deutlich gemacht, in dem gegen ihn angestrengten Verfahren Zeugen hören zu wollen, die bislang Ungehörtes zu den Massakern von Srebrenica zu sagen haben. Ob er dabei auch an den eingangs zitierten Hauptmann Shouten gedacht hat, wird unter Umständen niemals in Erfahrung zu bringen sein, da das Den Haager Tribunal unter Mißachtung seiner eigenen Statuten ihn daran hindert, eine solche Verteidigung durchzuführen.

Am vierten Verhandlungstag gab das Gericht bekannt, Karadzic einen Pflicht- oder vielmehr Zwangsverteidiger vorzusetzen. Da dieser - noch nicht benannte - Jurist sich in den Fall erst einarbeiten muß, wurde der Prozeß bis zum 1. März kommenden Jahres vertagt. Der Hintergrund dieser Maßnahme ist die Weigerung Karadzics, an den ersten Verhandlungstagen persönlich vor dem Tribunal zu erscheinen. Zu diesem Schritt sah sich der frühere Politiker veranlaßt, nachdem seine wiederholt und bereits seit längerem gestellten Anträge, ihm eine längere Vorbereitungszeit zu gewähren angesichts eines knapp eine Million Seiten (!) umfassenden Aktenmaterials, abgelehnt worden waren. Schon dies stellte eine massive Behinderung, um nicht zu sagen vollständige Sabotierung einer effektiven Verteidigung durch das Gericht dar.

Angesichts dieser Umstände ist schon jetzt vorauszusehen, daß Radovan Karadzic wegen der gegen ihn erhobenen Vorwürfe "schuldig" gesprochen werden wird - dies schon allein deshalb, weil der Anschein eines juristischen Verfahrens zu keinem anderen Zweck erweckt wird. Die Anklage geht davon aus, die übrigen, in anderen vor dem Tribunal abgehaltenen Prozessen festgestellten historischen Tatsachen auch in dieses Verfahren einführen zu können, was konkret bedeutet, daß die Massakerlegende von Srebrenica mit sieben- bis achttausend Toten nicht mehr als beweisführungswürdig eingestuft wird. Die Widersprüchlichkeiten gerade dieser Ereignisse sind allerdings so umfangreich und tiefgreifend [3], daß die ausschließlich politisch zu begründende Intention dieses Tribunals gerade an dieser Stelle besonders deutlich wird. Das Tribunal nimmt sich desweiteren heraus, auszuwählen und zu entscheiden, für welche der Karadzic zur Last gelegten Taten überhaupt Beweise erbracht werden müssen.

Die letzte, nun gültige Version der Anklage, zu deren Fertigstellung die Ankläger seit 1995 überreichlich Zeit hatten, ging Karadzic erst eine Woche (!) vor Prozeßbeginn zu. Für die Ankläger ist der Fall Karadzic vollkommen klar. So erklärte ihr Vertreter Alan Tieger am zweiten Verhandlungstag, Karadzic sei der uneingeschränkte Führer der bosnischen Serben gewesen und trage somit die volle Verantwortung für alle Greueltaten, die dieser Volksgruppe in dem bosnischen Bürgerkrieg zuzulasten sind. Gegen die erhobenen Anklagepunkte, die von Völkermord und Kriegsverbrechen bis hin zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit reichen, wird es keine Verteidigung, die diesem Anspruch gerecht werden könnte, geben; ebensowenig, wie es vor diesem Tribunal jemals eine Anklage geben wird gegen all jene, die die Jugoslawien-Kriege vorbereitet und bis zum Zerfall des einstigen sozialistischen Vielvölkerstaates durchgeführt haben.

Anmerkungen

[1] zitiert aus: "Entlastung für Milosevic. Niederländischer Armeebericht zu Srebrenica", von Jürgen Elsässer, junge Welt vom 16. Juni 2005

[2] www.schattenblick.de -> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN
DILJA/204: Verfahrenseröffnung vor dem Haager NATO-Tribunal gegen Karadzic (SB)

[3] Siehe dazu www.schattenblick.de -> INFOPOOL -> GEISTESWISSENSCHAFTEN -> MEINUNGEN
DILJA/084: Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens - Teil 1 (SB) bis
DILJA/105: Srebrenica oder die Zerschlagung Jugoslawiens - Teil 22 (SB)

13. November 2009



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