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DILJA/198: Nachtrag zu Alexandra R. - Berliner Kammergericht hält U-Haft aufrecht (SB)


Berliner Kammergericht hält Untersuchungshaft gegen linke Aktivistin aufrecht

Alexandra R. scheint eine hohe Haftstrafe zu drohen, um angesichts unaufgeklärter Brandstiftungen eine abschreckende Wirkung zu erzielen


Wie vor wenigen Tagen im Schattenblick berichtet [1], befindet sich die 21jährige Berlinerin Alexandra R. wegen des Vorwurfs, am 18. Mai in Friedrichshain eine versuchte Brandstiftung an einem "Mazda Tribute" begangen zu haben, seit dem 20. Mai in Untersuchungshaft in dem Frauengefängnis Pankow. Nachdem die Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Tiergarten vom 31. Juli, die U-Haft gegen Kaution und Meldeauflagen auszusetzen, Beschwerde eingelegt und das Landgericht dieser stattgegeben hatte, entschied am Mittwoch auch das Berliner Kammergericht, die Inhaftierung der jungen Frau fortzusetzen. Die von Alexandra R.s Anwältin Martina Arndt gegen die Haftfortdauer eingelegte Beschwerde wurde abgewiesen mit der Begründung, daß Fluchtgefahr bestünde. Diese wiederum suchte das Kammergericht damit zu begründen, daß Alexandra R. "fest in der linken Szene verankert" sei, was nach Ansicht des Gerichts offenkundig gleichgesetzt werden könne mit der R. unterstellten Absicht, sich im Falle ihrer Freilassung dem Verfahren durch Flucht zu entziehen.

Die vorgebrachten Argumente, die insbesondere auf das feste Ausbildungsverhältnis der Inhaftierten abzielen, blieben bei dieser Entscheidung ebenso unberücksichtigt wie die nach wie vor dürftige Beweislage, von der im engeren Wortsinn dem bislang bekanntgewordenen Kenntnisstand zufolge ohnehin kaum die Rede sein dürfte. Nach Angaben der Anwältin will ein Polizeibeamter Alexandra R. "für den Bruchteil einer Sekunde in der Nähe des Fahrzeugs gesehen haben" [2]. Wie in einer so kurzen Zeitspanne eine einwandfreie Identifizierung der von den beiden beteiligten Streifenbeamten später festgenommenen linken Aktivistin möglich gewesen sein kann, wäre eine der Fragen, die in dem bevorstehenden Prozeß seitens der Ermittlungsbehörden gestellt und beantwortet werden müßten, so diese an ihrer bislang deutlich gewordenen Verurteilungsabsicht festhalten sollten. Bei einer Untersuchung des Landeskriminalamtes konnten bei R. keinerlei Rückstände von Brandbeschleunigern festgestellt werden, was den gegen sie erhobenen Verdacht nicht eben untermauert.

Bezeichnenderweise hatte die Staatsanwaltschaft nach der ersten Festnahme der 21jährigen am 18. Mai keinen (für einen Haftbefehl bzw. die Untersuchungshaft gesetzlich erforderlichen) "dringenden Tatverdacht" festgestellt, was zwei Tage später, nachdem der Fall einer anderen Staatsanwältin übertragen worden war, jedoch ganz anders ausgesehen hat. Bei dem bei einer Hausdurchsuchung von der Polizei sichergestellten angeblichen Beweisstück, das gegenüber der Öffentlichkeit plausibel machen sollte, warum bei gleichgebliebenem Tatvorwurf und unveränderter Faktenlage am 20. Mai nun doch wegen "dringendem Tatverdacht" Haftbefehl erlassen wurde, handelte es sich Arndt zufolge um einen Sprühkopf. Wie ein solches Fundstück "beweisen" könne, daß Alexandra R. am 18. Mai versucht haben soll, ein Fahrzeug anzuzünden, wird ebenfalls in der bevorstehenden Verhandlung, die Ende September beginnen soll, geklärt werden müssen.

Der naheliegende Verdacht, daß Alexandra R., die von der Hauptstadtpresse als "Haßbrennerin" oder auch "Kiez-Taliban" verunglimpft wurde, aus politischen Gründen ungeachtet der Frage, ob der gegen sie erhobene Vorwurf juristisch überhaupt nachgewiesen werden kann, zu einer hohen Haftstrafe verurteilt werden soll, ist durch die jetzige Entscheidung des Berliner Kammergerichts noch erhärtet worden. Wenn die Zugehörigkeit zu einer "linken Szene" bemüht werden muß, um in Ermangelung anderer Gründe eine Fluchtgefahr zu behaupten, der nicht einmal, wie noch vom Amtsgericht Tiergarten entschieden worden war, durch Meldeauflagen und/oder eine Kaution begegnet werden könne, spricht dies Bände für die in juristischer Hinsicht eigentlich schwache Position der Ankläger.

Dies darf allerdings nicht dazu verleiten anzunehmen, daß Alexandra R. mit einem Freispruch rechnen könne, wie dies wohl der Fall wäre oder nach rechtsstaatlichen Maßstäben sein müßte, hätte die ihr zur Last gelegte versuchte Brandstiftung nicht eine "politische" Dimension. "Ich befürchte, daß die Justiz ein Exempel an meiner Mandantin statuieren will", erklärte denn auch die Anwältin der nun bereits seit drei Monaten inhaftierten Aktivistin. Arndt schloß gegenüber der jungen Welt [2] aus der jetzigen Entscheidung des Kammergerichts, daß dieses davon ausgeht, daß Alexandra R. zu einer Haftstrafe verurteilt werden soll, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne, also nicht unter zwei Jahren liegen würde.

Diese Einschätzung ist nur zu begründet, und so steht zu befürchten, daß sich die Berliner Strafjustiz zulasten einer 21jährigen einmal mehr als ein politisches Repressionsinstrument erweisen wird, das die ihm eigentlich auferlegten gesetzlichen Bindungen und Einschränkungen in dem Maße ignoriert und mißachtet, in dem gegen einen von Polizei und Justiz wie auch von Medien und Politik gleichermaßen ausgemachten "politischen Feind" - und zwar stellvertretend gegen einzelne, ihm zugeordnete Beschuldigte - vorgegangen werden soll.

Anmerkungen

[1] Siehe: Schattenblick -> INFOPOOL -> RECHT -> MEINUNGEN:
DILJA/197: Wenn die U-Haft zur politischen Waffe wird... Der "Fall" Alexandra R. (SB)
http://schattenblick.de/infopool/recht/meinung/remei197.html

[2] Siehe: Exemplarische Verurteilung befürchtet. Berlin: Kammergericht bestätigt Untersuchungshaft für Antifaschistin, von Florian Möllendorf, junge Welt, 21.08.2009, S. 4

21. August 2009



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