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DILJA/177: Troy Davis lebt - Hinrichtungsaufschub um weitere 15 Tage (SB)


Die juristische Frage der Vollstreckung ist eine politische

Für 15 Tage ist das Leben des US-Amerikaners Troy Davis gerettet


Wie berichtet hätte der Afroamerikaner Troy Davis am heutigen Montag, dem 27. Oktober 2008, um 19 Uhr Ortszeit im US-amerikanischen Bundesstaat Georgia hingerichtet werden sollen. Nach zahlreichen nationalen wie auch internationalen Protesten wurde die Vollstreckung jedoch auch beim dritten Termin ausgesetzt. Am vergangenen Freitag entschied das 11. Bundesberufungsgericht der USA, der Verteidigung von Troy Davis eine Frist von 15 Tagen einzuräumen, in der sie ihre Argumente, mit denen sie die Unschuld ihres Mandanten beweisen will, vorbringen kann. Juristisch gesehen geht es somit um die Frage, ob die für eine neue Runde weiterer Anträge erforderlichen "zwingenden Anforderungen" gegeben sind oder nicht. Damit ist keinesfalls gewährleistet, daß Troy Davis tatsächlich in einem neuen Verfahren das gegen ihn verhängte Todesurteil juristisch überprüfen lassen kann, und ebensowenig ist die Vollstreckung des Urteils - über die nun gewährte Frist von 15 Tagen hinaus - vom Tisch.

Gleichwohl kann die Tatsache, daß das Leben des Troy Davis nun schon zum dritten Mal gerettet werden konnte, nicht a priori mit den juristischen, inzwischen sattsam bekannten Unzulänglichkeiten seines "Falles" erklärt werden. Bekanntlich gibt es keine "harten" Beweise für die ihm zugelastete Schuld am Tod des 1989 in Savannah erschossenen Polizisten Mark Allen McPhail. Zudem haben sieben der neun Belastungszeugen, auf deren Aussagen hin Troy Davis 1991 als Polizistenmörder zum Tode verurteilt wurde, ihre Angaben widerrufen.

Diese Widerrufe geben nicht nur ein denkbar schlechtes Bild in Hinsicht auf das Vorgehen von Polizei und Staatsanwaltschaft ab, sondern werfen die Frage auf, ob nicht sogar Ermittlungen gegen die damaligen Ermittler geboten wären. Einer der Zeugen, Darrel Collins, hatte bei seinem Widerruf erklärt, er habe den Beamten sofort gesagt, daß er nicht gesehen hätte, daß Troy Davis irgend etwas gemacht hätte. Daraufhin seien sie sehr wütend geworden und hätten ihm gedroht, er würde genauso drinhängen wie Troy, wenn er nicht das sagen würde, was sie von ihm hören wollten. Ein klarerer Fall von Aussageerpressung wäre, würden Anschuldigungen dieser Art in einem neu aufgerollten Verfahren verifiziert werden, wohl kaum vorstellbar.

Doch von der Klärung solcher Fragen sowie der juristischen Aufarbeitung des "Falles" Troy Davis, der seit 17 Jahren in einer Todeszelle des US-Bundesstaates Georgia sitzt und stets erklärt hat, den Polizisten McPhail nicht erschossen zu haben, ist das US-Justizsystem meilenweit entfernt. Aus Sicht des zum Tode Verurteilten, seiner Angehörigen und Freunde sowie der großen Zahl von Unterstützern, die weltweit gegen seine Exekution protestiert haben, stellt der neuerliche Hinrichtungsaufschub - wie könnte es auch anders sein? - schon einen Grund zur Freude dar. Dabei waren die juristischen Gründe, die prüfen zu wollen das 11. Bundesberufungsgericht sich nun allem Anschein nach bereit erklärt hat, schon bei den vorausgegangenen Bemühungen, in einem neu aufgerollten Verfahren die Unschuld von Troy Davis nachzuweisen und einen Freispruch für ihn zu erwirken, bekannt und von den zuständigen Instanzen - dem Obersten Gerichtshof sowie dem Begnadigungsausschuß des Bundesstaates Georgia und dem höchsten Gericht der USA, dem US Supreme Court - geflissentlich ignoriert worden.

Bekanntlich war der nun bereits zum 3. Mal für den 27. Oktober 2008 angesetzten Hinrichtung die am 14. Oktober bekanntgegebene Entscheidung des Supreme Court vorausgegangen, Troy Davis die von seinen Anwälten für ihn beantragte neue Anhörung zu verweigern. Wenige Stunden vor der auf den 23. September terminierten Exekution - es war nach dem ersten Hinrichtungstermin im Juli 2007 bereits der zweite Tötungstermin - hatte der Supreme Court eine Aussetzung verfügt, die er selbst zwei Wochen später durch die Ablehnung des Revisionsantrages gegenstandslos machte. Dieses Vorgehen legt die Vermutung nahe, daß es dem höchsten US-amerikanischen Gericht wie auch den beteiligten Gerichten in Georgia keineswegs um die Klärung der höchst zweifelhaften juristischen Fragen oder schlicht die tatsächliche Aufklärung der Umstände geht, die 1989 zum Tode des Polizisten McPhail geführt haben, sondern um die Bewahrung des Statuo quo.

Dieser sieht in den allermeisten US-Bundesstaaten und in Georgia, wo seit 1976 42 Menschen hingerichtet und fünf zum Tode Verurteilte wegen erwiesener Unschuld aus dem Todestrakt entlassen wurden, nicht minder nun einmal die Todesstrafenpraxis vor. Diese steht in Georgia und keineswegs nur in Georgia - in den gesamten USA wurden seit 1976 1119 Menschen exekutiert - auf dem Prüfstand. Die Bewegung gegen die Todesstrafe wies am Wochenende in einer ersten Stellungnahme zu der am Freitag verfügten Aussetzung darauf hin, daß das Leben von Troy Davis damit noch keineswegs gerettet ist. Gleichwohl werten die Aktivisten diese Entscheidung als einen spektakulären Erfolg, zu dem allem Anschein nach weltweit hunderttausende Menschen beigetragen haben. Die Gefangenenhilfsorganisation amnesty international bezifferte die Zahl derer, die sich in vielen Ländern der Welt für Troy Davis eingesetzt haben, auf 200.000.

Martina Correia, die Schwester des zum Tode verurteilten 40jährigen, zeigte sich tief bewegt und erklärte, die Bewegung werde wachsen, wachsen und wachsen und die Justiz von Georgia, so sie nicht das Richtige tue, ins Wanken bringen können. Mögen diese Worte auch aus dem Herzen eines Menschen stammen, der sich schon einmal, am Tage des zweiten Hinrichtungstermins, von einem nahen Angehörigen für immer verabschieden mußte und deshalb allen Grund hat, auf die weltweite Unterstützung für das Leben ihres Bruders euphorisch zu reagieren, ist damit doch auch ein aus Sicht der US-Justizbeörden und -Regierungen höchst sensibles Thema angesprochen worden. "Wir werden die Fundamente der Todesstrafe in Georgia erschüttern", hatte Correia schon nach dem zweiten Hinrichtungsaufschub, der am 23. September nur zwei Stunden vor der für 19 Uhr geplanten Exekution ergangen war, erklärt.

Die jetzige, vom 11. Bundesberufungsgericht verfügte Aussetzung könnte Gründe haben, die weniger juristisch, sondern vielmehr politisch zu verstehen sind. Mit einer solchen Entscheidung haben die wenigsten Experten und Todesstrafengegner gerechnet. Wie Stephen Bright vom "Southern Center for Human Rights" erklärte, ist dies eine sehr ungewöhnliche Entscheidung, die niemand von diesem Gericht, das er als sehr konservativ bezeichnete, erwartet hätte. Es wäre wohl ein vollendeter Trugschluß anzunehmen, dieses einschlägig vorbelastete Bundesberufungsgericht habe anläßlich dieses Falles, der inzwischen für weltweites Aufsehen sorgt, tatsächlich einlenken und zumindest die von allen beteiligten Instanzen bislang mit vereinten Kräften forcierte Hinrichtung von Troy Davis abwenden und dem als Polizeistenmörder Verurteilten die Chance eines neues Prozesses, der nach Lage der Dinge mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem Freispruch enden könnte, einräumen wollen.

Vielmehr könnte es so gewesen sein, daß in diesem Fall, an welcher Stelle auch immer, eine politische Entscheidung getroffen und durch besagtes Gericht ausgeführt wurde, um die gegenwärtige Mobilisierung der Unterstützerbewegung für Troy Davis erst einmal auslaufen zu lassen. Die maßgeblichen Eliten in den USA könnten zu der Auffassung gelangt sein, daß der politische Schaden, den die Hinrichtung von Troy Davis zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Georgia, für die gesamten USA sowie weltweit nach sich zöge, den potentiellen Nutzen, nämlich klarzustellen, daß die Weltordnungsmacht Nr. 1 vor der Tötung ihrer eigenen Bürger nicht zurückschreckt, weshalb sie und die von ihr erlassenen Gesetze gefürchtet und deshalb auch respektiert werden müßten, überwiegen könnte.

Der Fall Troy Davis ist nämlich geeignet, die Widerspruchslagen, die zwangsläufig zwischen strafrechtlich festgestellter Schuld und der Tötung eines Menschen bestehen müssen, in höchst augenfälliger und für jeden ersichtlichen Weise auf den Punkt zu bringen. Die 200.000 Menschen, die sich gegen die Hinrichtung von Troy Davis ausgesprochen haben, hätten seine Tötung angesichts der Umstände dieses Falles als Ermordung eines (möglicherweise) unschuldigen Menschen erlebt und bewertet. In der Folge einer solchen Empörung hätte jedoch, und nichts scheint die US-Administration mehr zu fürchten, die Schwelle zwischen Schuld und Unschuld übersprungen werden können. Solange die Todesstrafengegner darauf abstellen, die Tötung eines Unschuldigen verhindert sehen zu wollen - was die Akzeptanz der Todesstrafe im Falle einer strafrechtlich angeblich zweifelsfrei erwiesenen Schuld impliziert -, sind sie noch teil- und damit auch beherrschar.

Sollten jedoch die über 200.000 Gegner der Hinrichtung von Troy Davis, ausgehend von den spezifischen Umständen des keineswegs ungewöhnlichen Falles dieses Afroamerikaners, realisieren, daß eigentlich alle in den USA lebenden Menschen - mit Ausnahme vielleicht der herrschenden weißen Eliten - durch die Todesstrafe bedroht und gefährdet sind, weil auch ein straffrei geführtes Leben keineswegs einen ausreichenden Schutz davor bietet, nicht doch zum Tode verurteilt und hingerichtet zu werden, könnte die Bewegung gegen die Todesstrafe, die sich noch im Stadium einer Kampagnenpolitik befindet, eine Dimension erreichen, die für die herrschenden Kräfte in den USA als ein echtes Problem interpretiert werden könnte.

Sollte Troy Davis wider Erwarten doch noch ein neuer Prozeß gewährt werden, der dann voraussichtlich mit einem Freispruch enden würde, könnte sich dies als ein taktischer Schachzug erweisen, um die Todesstrafe in Georgia wie auch in den gesamten USA allen Widerständen zum Trotz am Leben zu erhalten. Daß Troy Davis ohne die massenhaften Proteste gegen seine wiederholt angesetzte Hinrichtung heute nicht mehr am Leben wäre, belegt nicht unbedingt die tatsächliche Stärke einer solchen Kampagnenbewegung, wohl aber die tiefsitzende und tiefbegründete Angst herrschender Kräfte vor der Stunde X, in der sich die ihren repressiven Systemem unterworfenen Menschen nicht länger damit abfinden wollen, in einem Staat zu leben, der das elementarste aller Rechte, das Recht auf Leben, so fundamental mißachtet.

27. Oktober 2008



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