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DILJA/176: Montag, 27.10.2008 - Voraussichtlicher Todestag von Troy Davis (SB)


Der US-Amerikaner Troy Davis hat nur noch vier Tage zu leben

Trotz gravierender und begründeter Zweifel an seiner Schuld soll das Todesurteil am 27. Oktober 2008 um 19 Uhr vollstreckt werden


Einem anderen Menschen das Leben zu nehmen, gilt in allen Ländern der Welt als eines der schwersten Verbrechen, das mit den härtesten Sanktionen bestraft wird, die die jeweiligen Strafrechtssysteme vorsehen. In westlichen Demokratien, so auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, ist das Recht auf Leben an vorderster Stelle verankert und mit einem bedingungslosen Gültigkeitsanspruch versehen worden, der selbstverständlich auch alle staatlichen Organe bindet. Zur weiteren Absicherung gegen etwaige Unsäglichkeiten wurde die Abschaffung der Todesstrafe in die bundesdeutsche Verfassung explizit aufgenommen, obwohl sie sich schon aus dem in Art. 2 Abs. 2 postulierten Recht auf Leben so alternativlos wie zwingend ableiten läßt. Im europäischen Rahmen ist es um die Ächtung der Todesstrafe, die in politischer, moralischer und auch juristischer Hinsicht mit dem Selbstverständnis und Herrschaftsanspruch der sogenannten internationalen Staatengemeinschaft unvereinbar ist, nicht anders bestellt.

Spätestens an dieser Stelle ist Widerspruch nicht nur zu erwarten, sondern gewollt und beabsichtigt. Der engste und traditionell stärkste Partner der westeuropäischen Staaten, die USA, praktizieren bekanntlich in nicht unerheblichem Ausmaß die Todesstrafe, und so drängt sich der Verdacht auf, daß die europäische Achse der westlichen Führungsstaaten nicht zuletzt deshalb so vehement als Todesstrafengegner in Erscheinung tritt, weil sie de facto mit den USA in einem jahrzehntealten transatlantischen Bündnis steht und mit ihnen eine imperiale Interessenallianz bildet, in der "kleinliche" Proteste wegen Menschenrechtsfragen keinen Platz haben. Daß sich die EU-Staaten - wenn auch nur verbal - gegen die Todesstrafe stark zu machen scheinen, könnte einzig und allein dem Zweck dienen, eine Option zu eröffnen, die es ihnen ermöglicht, in dieser brisanten Frage vor den eigenen Bevölkerungen das Gesicht zu wahren.

Vor diesem Hintergrund nimmt es sich als blanker Hohn aus, daß die EU-Justizminister, wie im Dezember vergangenen Jahres geschehen, einen "Tag gegen die Todesstrafe" einführten. Ein einziger Tag "gegen" die Todesstrafe - die Wahl fiel auf den 10. Oktober - scheint wohl zu bedeuten, daß die übrigen 364 Tage des Jahres "für" die Todesstrafe stehen!? Das würde selbstverständlich kein EU-Politiker oder -Justizminister so verstanden wissen wollen. Der 10. Oktober 2008 ist allerdings verstrichen, ohne daß in den internationalen Medien und/oder dem diplomatisch-politischen Parkett ein Sturm oder auch nur ein Lüftchen offizieller Proteste und Forderungen nach Aussetzung und Abschaffung der Todesstrafe insbesondere im westlichen Partnerland Nr. 1, den USA, zu vernehmen gewesen wäre. Nicht anders verhielt es sich im April, als der Oberste Gerichtshof in den USA, der US Supreme Court, die Entscheidung traf, daß Hinrichtungen mit der Giftspritze nicht gegen das in der US-Verfassung verankerte Verbot grausamer Bestrafungen verstoßen würde.

Zuvor waren in den Vereinigten Staaten ein halbes Jahr lang alle Exekutionen ausgesetzt worden, um die Klärung dieser zynischen wie makabren Frage durch das höchste Gericht abzuwarten. Welch ein Verständnis des Wortes "grausam" müssen die beteiligten Richter wie auch alle übrigen, mit dem staatlich legitimierten Töten befaßten US-Juristen aufbringen, um die Tötung eines Menschen - ganz gleich mit welchen Mitteln - nicht als grausam zu empfinden und zu bewerten? Solch eine Frage kann wohl nur im Kontext der im alten Europa vorgehaltenen Werteordnung gestellt werden. In den USA ist die Todesstrafe, wie die zahlreichen, auf ihre Abschaffung hinarbeitenden Organisationen belegen, keineswegs unumstritten; gleichwohl scheint das angemaßte Recht, einen Menschen, der eines mit der Todesstrafe belegten Verbrechens für schuldig erklärt wurde, zu töten, nach Ansicht vorherrschender Kräfte zum Kernbestand des US-amerikanischen Staatsverständnisses zu gehören.

Und so drängt sich fast der Verdacht auf, daß in den US-amerikanischen Bundesstaaten, so als wolle die selbstmandatierte Weltordnungsmacht unter Beweis stellen, sich von den Europäern in dieser wie auch in allen anderen Fragen nicht reinreden zu lassen, nur umso entschlossener die Todesstrafe nicht nur verhängt, sondern auch vollstreckt wird. In den Bundesstaaten Texas und Ohio wurden am 16. Oktober zwei Menschen hingerichtet. Einer von ihnen, er war wegen zweifacher Vergewaltigung und Mord zum Tode verurteilt worden, hatte sich bis zuletzt gegen die Hinrichtung gewehrt; der andere, dem die Ermordung eines 22 Monate alten Kindes zur Last gelegt worden war, hatte bis zuletzt seine Unschuld beteuert. Zwei Tage später wurde in Texas der nächste Mensch hingerichtet, ein wegen dreifachen Mordes verurteilter 27jähriger. Zehn weitere Exekutionen sollen allein in diesem Bundesstaat noch in diesem Jahr folgen.

Nach Angaben der US-amerikanischen Anwaltsvereinigung NAACP gibt es in den USA über 3300 Menschen, die in Todeszellen einsitzen und damit rechnen müssen, durch staatlich legitimierte Hände an einem ihnen bereits bekannten oder noch ungewissen Tag X getötet zu werden. Daß allein eine solche Situation, die von tausenden Menschen Tag für Tag durchlebt und durchlitten werden muß, eine besondere Grausamkeit darstellt, versteht sich eigentlich von selbst. Einwände und Argumente dieser Art werden von den Todesstrafenbefürwortern stereotyp abgetan mit dem Argument, daß die Verurteilten aufgrund ihrer Taten und somit der auf ihnen lastenden Schuld ihr Leben nun einmal verwirkt hätten. Todesstrafengegner halten dem entgegen, daß viele Menschen fälschlicherweise zum Tode verurteilt und sogar auch hingerichtet werden. Nach Angaben des "Death Penalty Information Center" wurden in den USA seit 1973 130 zum Tode verurteilte Menschen rehabilitiert, weil sich in strafrechtlicher Hinsicht ihre Unschuld herausgestellt hatte.

Einer der über 3300 Menschen, die in den USA in einer Todeszelle leben, ist der inzwischen 40jährige Troy Anthony Davis. Er hat, vom Erscheinungstage dieses Textes, dem 23. Oktober 2008, an gerechnet voraussichtlich nur noch vier Tage zu leben. Am 14. Oktober hatte das Oberste Gericht der USA, der Supreme Court, es abgelehnt, Davis eine weitere Anhörung, in der er seine Unschuld hätte beweisen können, zu gewähren. Durch diese Entscheidung, die mit einem einzigen Satz gefällt und nicht näher begründet wurde, wurde der Hinrichtungsaufschub aufgehoben, den das Gericht am 23. September, nur zwei Stunden vor der schon damals geplanten Hinrichtung von Troy Davis, gewährt hatte, damit über den Revisionsantrag noch entschieden werden könne. Nur einen Tag nach der Entscheidung des Supreme Court, diesen abzulehnen, setzte die Gefängnisverwaltung einen neuen Hinrichtungstermin fest: Es ist der kommende Montag, der 27. Oktober 2008. Nach derzeitigem Stand der Dinge wird Troy Davis festgeschnallt und gegen 19 Uhr durch eine Giftinjektion, die ihn lähmen und schließlich ersticken wird, getötet werden.

Als im Juli 2007 der erste Hinrichtungstermin gegen Troy Davis festgesetzt worden war, hatte der Begnadigungsausschuß des Bundesstaates Georgia die Vollstreckung kurz vorher ausgesetzt und eine Frist von 90 Tagen gewährt, um dem Obersten Gerichtshof Georgias Gelegenheit zu geben, den Fall noch einmal zu prüfen. Die Anwälte des zum Tode verurteilten Afroamerikaners hatten geltend gemacht, warum ihrer Auffassung nach die Unschuld ihres Mandanten nachgewiesen werden könnte. Tatsächlich sind die Zweifel an dessen Schuld so gravierend und begründet, daß eine Bestätigung des Schuldspruchs und des Todesurteils von vielen Menschen als bloße Willkür und brutale Staatsgewalt aufgefaßt worden wäre. Troy Davis war im August 1991, obwohl es damals wie heute keine echten Beweise, etwa eine Tatwaffe, Fingerabdrücke oder DNA-Spuren gab, die ihn als Täter identifiziert hätten, allein aufgrund von neun Zeugenaussagen für schuldig erklärt worden, 1989 in Savannah den (weißen) Polizisten Mark Allen McPhail erschossen zu haben.

Inzwischen haben jedoch sieben dieser Zeugen ihre damaligen, Troy Davis belastenden Aussagen widerrufen und erklärt, damals von der Polizei sowie der Staatsanwaltschaft zu diesen Angaben gezwungen worden zu sein. Nach Auffassung der Verteidiger steht einer der verbleibenden zwei Belastungszeugen selbst in dem dringenden Verdacht, bei der nächtlichen Schlägerei auf einem schlecht beleuchteten Parkplatz den Polizisten MacPhail getötet zu haben. Desweiteren hatten die Anwälte von Troy Davis geplant, in einem neuen Verfahren neue Entlastungszeugen zu präsentieren. Doch dazu wird es nicht kommen können. Das Oberste Gericht Georgias lehnte nämlich in einer 4:3-Entscheidung im März dieses Jahres ein neues Verfahren im Fall Davis ab. Dies empörte sogar die Vorsitzende Richterin, die ihre "Abweichende Meinung" öffentlich kundtat:

Wenn Widerrufe von Zeugenaussagen entweder für sich genommen oder zusammen mit anderen Beweisen überzeugend zeigen, daß im Strafprozeß falsche Aussagen gemacht wurden, widerspricht es jeder Logik und Moral, diese Widerrufe kategorisch zu ignorieren. [1]

In Georgia wurde weiterhin alles getan, um die Hinrichtung durchführen zu können. Der Gnadenausschuß bestätigte am 22. September die Ablehnung des von dem zum Tode Verurteilten gestellten Gnadengesuchs. Troy Davis wäre am Tag darauf um 19 Uhr Ortszeit bereits getötet worden, hätte nicht zwei Stunden zuvor der US Supreme Court den nun inzwischen wieder aufgehobenen Hinrichtungsaufschub verfügt. Die nationalen wie auch internationalen Proteste, die schon im Juli 2007 der Aussetzung der Hinrichtung vorausgegangen waren, hatten am 23. September dazu geführt, daß der Begnadigungsausschuß sowie die Regierung Georgias so viele E-Mails und Faxe erhielten, daß ihre Kommunikationsanlagen zusammenbrachen. Inzwischen wird nicht nur in Georgia, sondern landesweit in den USA über diesen "Fall" berichtet.

An prominenten Fürsprechern mangelt es ebenfalls nicht. Schon im Vorfeld der ursprünglich für den 29. September anvisierten Entscheidung des US-Supreme Courts, ob Troy Davis ein neues Verfahren bekommen oder hingerichtet werden würde, hatte der Generalsekretär des Europarates, Terry Davis, um Gnade für ihn gebeten und vor einem Justizirrtum gewarnt. Auch der frühere US-Präsident James Carter, der südafrikanische Bischof Desmond Tutu sowie Papst Benedikt XVI. sprachen sich im Fall Troy Davis öffentlich gegen dessen Hinrichtung aus. Nach der am 14. Oktober in Washington bekanntgegebenen Entscheidung des US-Supreme Court besteht keinerlei Hoffnung mehr auf ein neues Verfahren. Da das höchste US-amerikanische Gericht insofern grünes Licht für dessen Hinrichtung signalisiert hat und der Begnadigungsausschuß von Georgia eine Begnadigung bereits zuvor abgelehnt hat, können wohl nur noch massive nationale wie auch internationale Proteste verhindern, daß in vier Tagen ein weiterer Mensch in den USA durch einen staatlichen Exekutionsbefehl getötet wird.

[1] zitiert nach: "Auf Messers Schneide", von Michael Schiffmann, junge Welt vom 29.09.2008, S. 3

23. Oktober 2008



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