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DILJA/164: Justiz heißt Herrschaft - der Fall Mumia Abu-Jamal (4) (SB)


Mumia Abu-Jamal - seine Gegner wollen ihn tot sehen

Die US-Justiz zeigt im Fall des streitbaren Afroamerikaners ihr wahres Gesicht

Teil 4: Die offizielle Tatversion und ihre Widersprüche


Ein Justizmord, verstanden im engsten Wortsinn als ein Mord, der durch die Justiz oder mit den Mitteln der Justiz begangen wird, setzt wie jeder andere Mord eine Tötungsabsicht voraus, die auf besonders verwerfliche Weise, also heimtückisch sowie aus niederen Motiven heraus, begangen wird. Als ein mögliches "niederes Motiv" könnte die Absicht gelten, durch den Mord die Begehung weiterer Straftaten zu decken oder zu ermöglichen, was im Falle Mumia Abu-Jamals, des profiliertesten externen Kritikers der Machenschaften des Polizei- und Justizapparates von Philadelphia, zweifellos zu bejahen wäre. Das Tatbestandsmerkmal "Grausamkeit" dürfte in seinem Fall wie auch in jedem anderen eines zum Tode verurteilten Menschen ohnehin vorliegen. Keine Tötungsart kann so grausam sein wie eine Ermordung "mit Ansage", bei der dem Opfer zuvor mitgeteilt wird, wann es denn soweit sein wird, ohne daß dieses irgendeine Handhabe hätte, seiner eigenen Tötung zu entgehen.

Zugunsten der Polizei und Justiz von Philadelphia sollte gleichwohl der Frage nachgegangen werden, ob die Mumia Abu-Jamal noch immer drohende Hinrichtung auf einem Fehlurteil, das ohne eine Mordabsicht der Verantwortlichen zustande gekommen ist, beruhen könnte. Einfacher ausgedrückt: Könnte es sich bei diesem Todesurteil um ein "Versehen" gehandelt haben? Wäre es nicht zumindest denkbar, daß die ermittelnden Polizisten und zuständigen Richter tatsächlich glaubten, Mumia Abu-Jamal habe den Polizisten Daniel Faulkner am 9. Dezember 1981 erschossen und damit einen Mord begangen, der nach den Gesetzen des Staates Pennsylvania mit dem Tode bestraft werden kann? Um dieser Frage nachgehen zu können, muß zunächst einmal die offizielle Tathergangsversion vorgestellt werden. Rachel Wolkenstein, eine Anwältin, die in dem Verteidigungsteam um den renommierten Menschenrechtsanwalt Leonard Weinglass von 1991 bis zu ihrem vorzeitigen Ausscheiden im Juni 1999 für Mumia Abu-Jamal tätig gewesen war, faßte die von der Staatsanwaltschaft entwickelte und von bislang allen Gerichten übernommene Version wie folgt zusammen:

Laut dem Szenario der Staatsanwaltschaft, das bei den Verhandlungen um die Wiederaufnahme vom zuständigen Gericht und danach vom Obersten Gerichtshof Pennsylvanias übernommen wurde, soll Jamal vom Parkplatz aus über die Straße gerannt sein, Faulkner aus nächster Nähe in den Rücken geschossen und dann direkt über Faulkner, der auf den Rücken gefallen war, gestanden haben. Angeblich hat Jamal dann drei oder vier Mal auf Faulkner geschossen und Faulkner mit einer Kugel unterhalb des einen Auges in den Kopf getroffen. Der Staatsanwaltschaft zufolge wurde Jamal von Faulkner angeschossen, während dieser zu Boden fiel.

(aus: "free mumia - dokumente, analysen, hintergrundberichte", Atlantik Verlag, Bremen, 1. Auflage, März 2002, S. 106f)

Schon der kriminalistische Laie wird bei dem Versuch, diesen Ablauf nachzuvollziehen, auf Schwierigkeiten stoßen. Einmal angenommen, Abu-Jamal habe Faulkner tatsächlich töten wollen und ihm deshalb aus nächster Nähe in den Rücken geschossen - warum hat er sich dann in einer Position gebracht, in der Faulkner auf ihn schießen konnte? Abu-Jamal müßte irgendwo hinter Faulkner gewesen sein und dann, noch während dieser in Folge des ersten Schusses auf den Rücken fiel, um diesen herumgesprungen sein. Abu-Jamal müßte sich selbst in Lebensgefahr begeben haben, indem er sich in Faulkners Schußfeld brachte, nur um dann über diesem stehend einen zweiten Schuß in dessen Kopf abfeuern zu können - und zwar mit einem Lungendurchschuß, da Faulkner seinerseits noch im Fallen Abu-Jamal in die Brust getroffen haben soll.

Die Frage, ob die wechselseitigen Schüsse zwischen Faulkner und Abu-Jamal so oder anders plausibel gemacht werden könnten, ist allerdings unerheblich, da die Schießerei ohnehin nicht so abgelaufen sein kann, wie Staatsanwaltschaft und Gerichte es glauben machen wollen. Nachvollziehbar, wenn auch keineswegs glaubwürdig wird deren Version nur dann, wenn man annimmt, daß die Schußverletzungen Faulkners und Abu-Jamals auf eine Weise miteinander in Beziehung gebracht werden sollten, die die von der Polizei schon vor Abschluß der Untersuchungen behauptete Täterschaft Abu-Jamals "beweisen" kann. Unstrittig sind die Fakten, daß Daniel Faulkner zuerst in den Rücken und dann aus größter Nähe ins Gesicht geschossen wurde, während Mumia Abu-Jamal von vorne in die Brust getroffen wurde. Hätten die Verfasser der staatsanwaltschaftlichen Theorie sich die Mühe gemacht, ein ballistisches Gutachten erstellen zu lassen, um dessen Resultate mit ihrer Theorie abzugleichen, hätten sie wissen können, daß der von ihnen postulierte Tathergang ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Ein solches Gutachten wurde allerdings erst von Rachel Wolkenstein und ihrem Anwaltskollegen Jonathan Piper in Auftrag gegeben. Abu-Jamals erstes Verteidigungsteam hatte mit dem 1995 eingereichten PCRA-Antrag, mit dem in Pennsylvania jeder Verurteilte die Rechtmäßigkeit des gegen ihn ergangenen Urteils überprüfen lassen kann, um eine Wiederaufnahme des Verfahrens (und damit möglicherweise einen Freispruch) zu erreichen, ballistische Ergebnisse präsentiert, die die offizielle Version zum Einsturz bringen. In einer eidesstattlichen Erklärung war der medizinische Sachverständige Joseph Hayers zu dem Ergebnis gekommen,

daß der Schütze aufrecht gestanden und auf Mr. Jamal horizontal gefeuert haben muß, wobei Mr. Jamal in der Hüfte leicht vorgebeugt war. Eine andere Möglichkeit wäre auch, daß der Schütze aufrecht gestanden und nach unten auf Mr. Jamal geschossen hat, der kniete oder hockte. Das Erscheinungsbild von Wunde und Schußkanal schließen aus, daß der Schütze im Fallen nach oben auf den aufrecht stehenden Mr. Jamal geschossen haben könnte.

(aus: "free mumia - dokumente, analysen, hintergrundberichte", Atlantik Verlag, Bremen, 1. Auflage, März 2002, S. 107)

Dies sind beileibe nicht die einzigen oder ersten "harten" Fakten, die der offiziellen Tattheorie entgegenstehen. Diese besagte, der Mordschütze, angeblich Mumia Abu-Jamal, habe über dem bereits am Boden liegenden Faulkner stehend auf diesen mehrere Schüsse abgegeben, von denen nur einer traf. Es wurden jedoch in unmittelbarer Nähe des Leichnams keinerlei Beschädigungen des Bürgersteiges oder irgendwelche sonstigen Spuren der angeblich abgefeuerten übrigen Kugeln gefunden, woraus sich ableiten läßt, daß die beiden in dem Mordprozeß gegen Abu-Jamal von 1982 aufgetretenen Hauptbelastungszeugen, Cynthia White und Robert Chobert, mindestens in diesem Punkt nicht die Wahrheit gesagt haben.

Kugeln und Kugelfragmente wurde an anderer Stelle - nicht dort, wo Faulkner erschossen wurde - gefunden. Mumia Abu-Jamals Pflichtverteidiger Anthony Jackson, der 1982 mit diesem Verfahren vollkommen überfordert war, hatte, wie den Prozeßprotokollen zu entnehmen ist, einige Anstrengungen unternommen, die Herkunft dieser Spuren zu klären. Allem Anschein nach wurde Jackson erfolgreich eingeschüchtert. Am dritten Prozeßtag hatte er den Polizeibeamten Roy Land noch ausführlich zu den Kugelfragmenten befragt, doch dann griff er dieses Thema nie wieder auf. Bei der Anhörung einer Zeugin wurde deutlich, mit welchen Mitteln der damalige Richter Albert F. Sabo die Geschworenen zu Schuldspruch und Todesurteil bewegen wollte - und offenkundig auch bewegt hat.

Die Zeugin Veronica Jones, die wie auch die Hauptbelastungszeugin Cynthia White als Prostituierte tätig gewesen war, hatte 1982 in dem Mordprozeß gegen Abu-Jamal plötzlich erklärt, sie sei wie auch ihre Kollegin Cynthia White mit der Drohung, sonst in dem Viertel nicht weiter arbeiten zu können, von Polizisten dazu erpreßt worden, Mumia Abu-Jamal als Täter zu benennen. Die Versuche des Pflichtverteidigers Jackson, dies weiter zu erhellen, wurden unterbunden. Staatsanwalt McGill erhob Einspruch gegen Jacksons Befragung der Zeugin. Richter Sabo unterbrach deren für die Polizei höchst belastende und für die Ermittlungsbehörden absolut unerwünschte Aussage, bestellte Jackson und McGill in sein Konferenzzimmer, um dem Anwalt klarzumachen, daß er mit diesen Fragen vom Thema abweichen würde ...

Der schriftlichen Erklärung zufolge, die der ehemalige FBI-Undercoveragent Donald Hersing unter Eid gegenüber der Notarin und Abu-Jamal-Verteidigerin Rachel Wolkenstein am 2. Mai 1999 abgegeben hat, war es in der fraglichen Zeit - Hersing hatte gegen die Polizei von Philadelphia von Mai 1981 bis November 1982 wegen Korruption ermittelt - üblich gewesen, daß Beamte der Zentrumspolizei im gesamten Innenstadtbereich Straßenprostituierte unter Druck setzten und von ihnen für ihren "Schutz" Gegenleistungen aller Art verlangten. Cynthia White war dem verdeckt arbeitenden Ermittler persönlich bekannt gewesen. Später sollte sich herausstellen, daß keiner der übrigen am Tatort anwesenden Zeugen Cynthia White dort gesehen hatte, wo sie behauptet hatte, gewesen zu sein.

Unmittelbar am 9. Dezember 1981 hatte White bei einer ersten Vernehmung durch die Polizei noch auf die Frage, ob sie gesehen habe, wie Faulkner seine Waffe gezogen habe, mit "nein" geantwortet. Zwei Verhaftungen (am 12. und 17. Dezember wegen Prostitution, in Philadelphia ein Straftatbestand) später zeigte sie sich schon gefügiger und erklärte, es habe so ausgesehen, als habe Faulkner nach etwas an seiner Seite gegriffen. Doch sowohl in der ersten Vernehmung wie auch als Zeugin vor Gericht behauptete sie, der Angeklagte (Abu-Jamal) habe vier- bis fünfmal auf den Polizisten (Faulkner) geschossen. Dies sei, so bekräftigte sie auf Nachfragen Jacksons, "gewissermaßen" die Wahrheit.

Was es mit dieser "Gewissermaßen"-Wahrheit tatsächlich auf sich hat, ließe sich durch die Vernehmung einer weiteren Zeugin aufklären. Unter Eid und in Kenntnis der für einen Meineid drohenden Strafen hatte Yvette Williams am 28. Januar 2002 erklärt, daß Cynthia White, mit der sie nach der Schießerei im Dezember 1081 zusammen im Gefängnis gesessen hatte, damals ihr gegenüber erklärt habe, sie sei von der Polizei gezwungen worden zu behaupten, daß Mumia Abu-Jamal, den sie als Taxifahrer vom Sehen her kannte, den Polizisten Faulkner erschossen hat. Tatsächlich habe sie überhaupt nicht gesehen, wer die Schüsse abgefeuert hat. Auf der Straße sei Cynthia White Williams zufolge als Polizeispitzel bekannt gewesen. Auf Williams Frage, warum sie "über diesen Mann" (Abu-Jamal) so lügen würde, obwohl sie gar nichts gewußt habe, habe Cynthia White geantwortet, daß sie Angst davor gehabt habe, andernfalls von der Polizei getötet zu werden. Sie habe auch noch große Angst gehabt, als sie ihr all dies - zitternd und weinend - erzählt habe. Yvette Williams schilderte in ihrer Erklärung auch ihre eigene Angst:

Ich fühlte mich am Rande eines Nervenzusammenbruchs, weil ich über all das die ganzen Jahre geschwiegen habe. Ich habe nichts gesagt, weil ich Angst hatte. Ich hatte Angst vor der Polizei. Die sind gefährlich. Sie können dir was antun und kommen ungeschoren davon. Ich weiß, daß ich Ärger mit dem Gesetz hatte und daß sie mich kennen. Ich habe immer noch Angst davor, was sie tun könnten, aber als Mr. Jamals Fall Mitte Dezember im Fernsehen und in der Daily News war, konnte ich es nicht mehr aus meinem Kopf rauskriegen, immerzu mußte ich denken, daß dieser Mann sterben könnte wegen all der Lügen, die Lucky damals im Zeugenstand erzählt hatte, und Mrs. Faulkner niemals die Wahrheit erfahren würde.

(aus: "free mumia - dokumente, analysen, hintergrundberichte", Atlantik Verlag, Bremen, 1. Auflage, März 2002, S. 154)

Noch eine weitere Prostituierte sollte zu einer solchen Falschbezichtigung gezwungen werden. Pamela Jenkins sagte bei den Anhörungen zu der von der Verteidigung beantragten Wiederaufnahme des Verfahrens 1997 als Zeugin aus, daß sie von der Polizei genötigt worden sei, Mumia Abu-Jamal als Mörder Faulkners zu identifizieren - dabei sei sie nicht einmal in der Nähe des Tatorts gewesen. Der zweite Hauptbelastungszeuge, der ohne Lizenz arbeitende und deshalb von der Polizei ebenso leicht unter Druck zu setzende Taxifahrer Robert Chobert, hat seine im ursprünglichen Prozeß gemachten Angaben später selbst widerrufen. Er war gar nicht dort gewesen, wo er 1982 behauptet hatte gesehen zu haben, wie Abu-Jamal über Faulkner stehend auf diesen schoß. Gegenüber dem von der Verteidigung beauftragten privaten Ermittler Georg-Michael Newman gab Chobert im Jahre 1995 zu, von Faulkners Erschießung gar nichts und im übrigen lediglich gesehen zu haben, wie Mumia Abu-Jamal auf der Straße zusammenbrach.

Ein weiterer Zeuge, William Singletary, machte Angaben, die Polizei und Staatsanwaltschaft zu unterdrücken suchten. In den Anhörungen des Wiederaufnahmeverfahrens sagte er 1995 aus, daß schon vor dem Eintreffen der Streifenwagen Polizisten am Tatort gewesen seien, die nach dem Eintreffen der Streifenwagen wieder verschwanden. Bei Singletary könnte es sich, wie die zuständigen US-Gerichte, um den Vorwurf zu entkräften, an Mumia Abu-Jamal einen Justizmord begehen zu wollen, klären müßten, um einen echten Augenzeugen handeln. In der Anhörung von 1995 hatte Singletary erklärt, daß auf der Beifahrerseite des von Abu-Jamals Bruder William Cook gefahrenen VW ein weiterer Mitfahrer gewesen sei, der aus dem Wagen gekommen und eine Waffe gezogen habe. Daraufhin habe Singletary sich geduckt und ein Knallen gehört. Als er wieder hinsah, will er denselben Mann gesehen haben, wie er seine Waffe auf den Polizisten richtete und diesem ins Gesicht schoß. Singletary bekundete 1995 ebenfalls, daß die Polizei ihn lange Jahre durch die Androhung von Gewalt von dieser Aussage abgehalten habe.

Doch nicht alle zu Falschaussagen und Meineiden genötigten Belastungszeugen sehen sich imstande, ihre keineswegs unbegründeten Ängste zu überwinden. Priscilla Durham ist die letzte Zeugin der Anklage, deren im Prozeß von 1982 gemachten Angaben noch nicht widerrufen oder anderweitig entkräftet wurden. Sie war als Sicherheitsangestellte im Jefferson-Krankenhaus tätig gewesen, in das der schwerverletzte Mumia Abu-Jamal am 9. Dezember 1981 eingeliefert worden war. Der behandelnde Arzt, Joseph Coletta, hatte angegeben, daß Abu-Jamal durch einen Lungendurchschuß lebensgefährlich verletzt und kaum noch in der Lage gewesen sei zu flüstern. Der zu seiner Bewachung im Krankenhaus abgestellte Polizeibeamte, Gary Waskhul, hatte am Morgen des 9. Dezember zu Protokoll gegeben: "Der Neger machte keine Aussagen."

Ganz anders die Aussage Priscilla Durhams vor Gericht. "Ich habe das Arschloch (Faulkner) erschossen, und ich hoffe, er stirbt!" soll der lebensgefährlich verletzte Mumia Abu-Jamal demnach über den Krankenhausflur gebrüllt haben. Durhams Stiefbruder Kenneth Pate allerdings gab später in einer eidesstattlichen Erklärung zu Protokoll, was seine Schwester ihm später erzählt habe:

Priscilla erzählte mir, die Polizei habe ihr gesagt, sie gehöre wegen ihrer Arbeit im Sicherheitsdienst zur 'Bruderschaft' der Polizei und müsse deshalb zu ihnen halten und aussagen, sie habe gehört, wie Mumia sagte, er habe den Polizisten getötet, als er auf der Bahre hereingetragen wurde.

(aus: "Neuer Entlastungszeuge. Trotz weiterer Entlastung Mumia Abu-Jamals stellt sich US-Justiz taub", von Jürgen Heiser, junge Welt, 23. Mai 2003)

Tatsächlich habe seine Schwester, so Kenneth Pate, von Mumia Abu-Jamal nur die Worte vernommen: "Laßt mich los, laßt mich los, die wollen mich umbringen." Polizisten hätten die Ärzte sogar an den medizinischen Nothilfemaßnahmen zu hindern gesucht und von diesen verlangt: "Laßt ihn sterben!" Der Zeuge glaubte zum Zeitpunkt seiner Erklärung, daß seine Schwester noch immer große Angst habe auszusagen, erklärte jedoch auch, daß sie dennoch dazu bereit sei und sich gegebenenfalls auch einem Lügendetektortest unterziehen würde. Priscilla Durhams Abu-Jamal schwer belastende Aussage war in dem Aburteilungsverfahren von 1982 durch Richter Sabo sogar als ein Geständnis (!) des Angeklagten bewertet worden. Der Polizeibeamte Waskhul, der hätte bekunden können, daß Mumia Abu-Jamal nach seiner Ankunft im Krankenhaus überhaupt keine Aussage gemacht hatte, wurde mit der unzutreffenden Begründung Richter Sabos, dieser sei gerade im Urlaub und deshalb nicht verfügbar, gar nicht erst vor Gericht gehört.

Die damalige Hauptbelastungszeugin Cynthia White könnte allerdings selbst dann, wenn das 3. Bundesberufungsgericht von Philadelphia, das am 16. Mai eine Anhörung zu den von Staatsanwaltschaft und Verteidigung gestellten Anträgen durchgeführt hat, ein neues Verfahren anordnen würde, wohl nicht als Zeugin aussagen. Sie gilt seit 1992 offiziell als tot. Pamela Jenkins glaubt allerdings und würde auch vor Gericht aussagen, daß sie ihre frühere Freundin Cynthia White am 5. März 1997, also fünf Jahre nach ihrem vermeintlichen Tod, zufällig auf der Straße getroffen habe. Erschwerend kommt zu ihrer Aussage hinzu, daß 1997 ein Beamter der Staatsanwaltschaft bei einer Anhörung im Kreuzverhör zugegeben hat, daß die Fingerabdrücke der Toten, deren offizielle Sterbeurkunde den Tod Cynthia Whites belegen sollte, nicht identisch sind mit denen Cynthia Whites. Mit anderen Worten: Der Leichnam, der als die tote Cynthia White ausgegeben wurde, ist nicht ihrer. Die Frage danach, warum einer zehn Jahre zuvor als Zeugin der Anklage aufgestellten Frau von der Polizei eine neue Identität verschafft worden sein mag, beantwortet sich im Fall Mumia Abu-Jamals allerdings nahezu von selbst.

2. Juni 2007



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