Schattenblick →INFOPOOL →RECHT → MEINUNGEN

DILJA/163: Justiz heißt Herrschaft - der Fall Mumia Abu-Jamal (3) (SB)


Mumia Abu-Jamal - seine Gegner wollen ihn tot sehen

Die US-Justiz zeigt im Fall des streitbaren Afroamerikaners ihr wahres Gesicht

Teil 3: Der Tag, an dem Mumia Abu-Jamal fast getötet wurde


Im Februar 1982 schrieb Mumia Abu-Jamal in einem ersten, im Haftkrankenhaus verfaßten Artikel über jene Nacht im Dezember 1981, in der er durch eine Polizeikugel fast getötet wurde, unter anderem Folgendes:

Es ist ein Alptraum, daß mein Bruder und ich jetzt in dieser widerwärtigen Lage sind, besonders, wo es sich bei meinen Hauptanklägern, nämlich die Polizei, um dieselben handelt, die mich angegriffen haben. Mein wirkliches Verbrechen scheint darin zu bestehen, daß ich ihre Angriffe überlebt habe, aber WIR waren in dieser Nacht die Opfer!

Und was das Ganze noch schlimmer macht: Ich habe erfahren, daß die Vertreter von 'Law & Order' meine Mutter bedroht und den Verkaufsstand meines Bruders angezündet haben, oder zumindest zugelassen haben, daß er in Brand gesteckt wurde. Laut Presse standen Polizisten um das Feuer herum und machten Späße. Danach gingen sie aufs Revier und feierten den Anlaß. Nirgendwo habe ich etwas darüber gelesen, wie ich getroffen wurde, wie eine Kugel sich ihren Weg knapp vorbei an meiner Wirbelsäule gebahnt hat, dabei eine Rippe zerschmetterte, eine Niere aufschlitzte und fast mein Zwerchfell zerstört hätte. Und dann wundern sich Leute darüber, daß ich kein Vertrauen in einen 'fairen Prozeß' habe! Nirgendwo stand etwas davon, daß die Kugel meine Lunge durchlöcherte und sie mit Blut füllte. Kein Wort davon, daß mich die Polizisten in einer Blutlache fanden, unfähig zu atmen, und dann anfingen, mich zu boxen, zu treten, auf mir herumzutrampeln. (...) Als ich nach der Operation aufwachte, war mein Bauch von oben bis unten aufgeschnitten. An Händen und Füßen bin ich in Ketten gelegt worden wie ein Sklave, weil ich gewagt hatte zu überleben. Allen, die es gewagt haben, die offizielle Version zu hinterfragen, ist damit gedroht worden, daß sie ihre Jobs verlieren. Einige sind sogar mit dem Tod bedroht worden.


(aus: "free mumia - dokumente, analysen, hintergrundberichte", Atlantik Verlag, Bremen, 1. Auflage, März 2002, S. 185f)

Diese Kolumne erschien in der Februarausgabe der "Philadelphia's Community", einer Zeitung, für die Abu-Jamal als freier Mitarbeiter tätig gewesen war. Im September 1980 beispielsweise hatte er berichtet, wie ein schwarzer Jugendlicher bei einer Verkehrskontrolle von der Polizei erschossen worden war. Die Wut in den schwarzen Communities, die nach der Zerschlagung der Black Panther Party über keine nennenswerten Organisationen des Widerstandes und der Selbstverteidigung mehr verfügten, war ungebrochen groß, und so folgten der Todesnacht des Jugendlichen eine Woche lang Nacht für Nacht Straßenschlachten mit der Polizei, die in den Ghettos wie in einem Kriegsgebiet in Erscheinung trat. Auf Druck der Polizeigewerkschaft "Fraternal Order of Police" wurden die zaghaften Ermittlungsversuche gegen die polizeilichen Todesschützen eingestellt, woraufhin Mumia Abu-Jamal schrieb: "Die Community wartet noch immer auf Gerechtigkeit."

Gut ein Jahr später, in den frühen Morgenstunden des 9. Dezember 1981, wäre Mumia Abu-Jamal selbst fast einer Polizeikugel erlegen. Was tatsächlich in dieser Nacht geschah, in der nicht nur Mumia Abu-Jamal beinah erschossen, sondern der Polizeibeamte Daniel Faulkner durch zwei Schüsse ermordet wurde, ist bis heute vollkommen ungeklärt. Dies liegt nicht etwa daran, daß nicht eine Vielzahl von Indizien, Beweisen, Zeugenaussagen und im Falle der Ermordung Faulkners inzwischen sogar ein Geständnis des mutmaßlichen Täters vorliegen würde. Dies liegt in erster Linie daran, daß Abu-Jamals Einschätzung, daß jeder, der die offizielle Tatversion in Zweifel zieht, unter Druck gesetzt wurde, auch nach so vielen Jahren noch immer zutreffend zu sein scheint. Allerdings gibt es Zeugen, die unter der Last ihres Gewissens inzwischen zugegeben haben, daß sie sich 1982 durch Androhungen der Polizei dazu zwingen ließen, Mumia Abu-Jamal belastende Falschaussagen vor Gericht zu machen.

In jener Nacht hatte der Polizist Daniel Faulkner bei dem Bruder Mumia Abu-Jamals, William Cook, und dessen Begleiter Kenneth Freeman, die zusammen in einem VW unterwegs gewesen waren, eine Personenkontrolle durchgeführt. Dabei sei es, der späteren Schilderung Cooks zufolge, zwischen ihm und dem ihm bis dahin unbekannten Polizisten - Faulkner - zu einem heftigen Wortwechsel gekommen; schließlich habe Faulkner ihm mit einem Knüppel dreimal auf den Kopf geschlagen. Und obwohl Cooks Kopfwunde heftig zu bluten begonnen hatte, ging Abu-Jamals Bruder zu dem VW zurück und suchte auf dem Rücksitz seine Papiere. Er hörte Schüsse und sah aus den Augenwinkeln Mündungsfeuer, sah jedoch nicht, wer auf wen geschossen hat. Erst danach sah er, wie sein Bruder Mumia Abu-Jamal auf ihn zugelaufen kam und sah, wie dieser von anderen Polizeibeamten - nicht dem, der ihn, Cook, kontrollieren wollte - niedergeschossen wurde.

Diese und weitere Angaben machte William Cook am 29. April 2001 in einer schriftlichen Erklärung. Von den im Fall Abu-Jamal zuständigen Gerichten wurde er dazu bis heute nicht vernommen. Dabei stehen seine Angaben in eklatantem Widerspruch zu der offiziellen Tatversion, derzufolge Abu-Jamal den Polizisten Daniel Faulkner in dieser Situation erschossen haben soll, während Faulkner seinerseits noch den Abu-Jamal lebensgefährlich verletzenden Schuß abgegeben haben soll. Diese Tathergangsversion war die Grundlage des am 3. Juli 1982 gegen Abu-Jamal verhängten und seit 1990 rechtskräftigen Todesurteils. Mumia Abu-Jamal wurde des Mordes ersten Grades an dem Polizisten Daniel Faulkner für schuldig erklärt, und bis heute wehrt sich die US-Justiz mit Händen und Füßen dagegen, den vielen Widersprüchen, Gegenbeweisen, Verfahrensmängeln und Verfassungsbrüchen in diesem Fall nachzugehen und in einem neuen Verfahren die Ereignisse jener Nacht unter Berücksichtigung aller heute verfüg- und ermittelbaren Beweise so genau wie möglich zu rekonstruieren.

Allem Anschein nach scheint in Justiz-, Polizei- und Regierungskreisen bis heute eine nahezu panisch anmutende Angst vorzuherrschen, daß all die Fakten, Indizien und Beweise, die der offiziellen Version entgegenstehen, in einem neuen und selbstverständlich öffentlichen Gerichtsprozeß ans Tageslicht gebracht werden könnten. Dies bekräftigt die von Mumia Abu-Jamal in seinem im Februar 1982 verfaßten und eingangs zitierten Artikel erwähnte Einschätzung, daß diejenigen, die ihn (und seinen Bruder) in jener Nacht angegriffen haben, dieselben sind, die hinterher als seine Hauptankläger in Erscheinung traten. Und so kann in den juristischen Auseinandersetzungen zwischen Mumia Abu-Jamal, seinen (wechselnden) Verteidigern auf der einen und der US-Justiz auf der anderen Seite von einer Waffengleichheit zwischen Anklage und Verteidigung, wie es die behauptete "Gerechtigkeit" der Justiz verlangen würde, nicht die Rede sein.

Der Polizei- und Justizapparat müßte gegen sich selbst ermitteln, um den sogar für viele Unterstützer und einige Anwälte Mumia Abu-Jamals ungeheuerlich anmutenden Verdacht aus der Welt zu schaffen, hier solle mit voller Absicht ein des Mordes Unschuldiger zum Tode verurteilt und hingerichtet werden, nachdem Mumia Abu-Jamal den am 9. Dezember 1981 auf ihn abgefeuerten Schuß überlebt hatte. Ein Aufklärungs- und Ermittlungsinteresse, das eine solche Option auch nur für denkbar hält, kann aus naheliegendsten Gründen weder bei der Polizei noch bei der Justiz angenommen werden. Wäre dem nicht so, hätte von seiten der Ermittlungsbehörden beispielsweise der Polizeifunk jener Nacht analysiert werden müssen.

Jonathan Piper, einer der Anwälte des Verteidigungsteams, das für Mumia Abu-Jamal von 1991 bis 2001 tätig gewesen war, hatte die Polizeifunkmitschnitte der Todesnacht zusammengestellt. Demnach hatten die Polizisten vor Ort erst nach 14 Minuten einen bewaffneten Verdächtigen (Abu-Jamal) gemeldet. Zur unmittelbaren Tatzeit (der Erschießung Faulkners) war über Polizeifunk noch durchgegeben worden, der oder die Verdächtigen seien mit der Waffe Faulkners vom Tatort geflohen - was sich mit der Schilderung des Tathergangs, wie sie der mutmaßliche Täter in seiner schriftlichen Erklärung vom 8. Juni 1999 abgegeben hat, in Übereinstimmung bringen ließe. Dieser hatte desweiteren geschildert, daß am Tatort zur Tatzeit viele Polizisten in zivil gewesen wären, durch die er sich jedoch nicht bedroht gefühlt hätte, weil er glaubte, daß sie nur zu seinem Schutz da gewesen wären. Direkt nach der Tat - der Geständige gibt an, Daniel Faulkner aus nächster Nähe ins Gesicht geschossen zu haben -, habe er auch ein "Weißhemd", also einen höheren Polizeibeamten, in unmittelbarer Nähe gesehen.

Die Ereignisse jener Nacht können nicht als aufgeklärt gelten, solange diesen und vielen weiteren Anhaltspunkten nicht abschließend nachgegangen worden ist. Da wäre, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, der Bericht eines Ermittlers des zuständigen Gerichtsmedizinischen Instituts, Stefan Makuch, der am Morgen des 9. Dezember 1981 um 9 Uhr, also nur wenige Stunden nach der Schießerei, verfaßt worden war. Darin steht, daß der zuständige Beamte der Mordkommission, Sergeant Westermann, ihm gegenüber angegeben habe, Mumia Abu-Jamal, der zu jenem Zeitpunkt bereits zum "Angreifer" erklärt worden war, sei später selbst von "eintreffenden Polizeikräften" angeschossen worden.

Erklärungsbedürftig wäre ohnehin, warum an einer Straßenkreuzung, an der ein Polizeibeamter (Faulkner) lediglich eine Routineüberprüfung vorgenommen hatte und die dann unvorhergesehenermaßen zum Tatort eines Mordfalles wurde, weitere Polizeibeamte überhaupt zugegen gewesen waren. So gilt als gesichert, daß am 9. Dezember 1981 unmittelbar nach der Schießerei, in deren Verlauf Faulkner starb, Polizeiinspektor Alphonse Giordano mit weiteren Beamten seiner Sonderermittlungsgruppe am Tatort erschienen war. Giordano war als Chef einer Räumungseinheit der Stadtpolizei von Philadelphia zwischen 1968 und 1970 bei Polizeiaktionen zur Zerschlagung der Black Panther Party eingesetzt worden. Er war somit lange zuvor mit der Verfolgung der BPP, zu der in jener Zeit der noch jugendliche Mumia Abu-Jamal gehört hatte, intensiv befaßt gewesen und tauchte dann Jahre später in einem Nachtclubviertel Philadelphias zu nächtlicher Zeit ausgerechnet bei der Beinah- Erschießung Abu-Jamals sowie der Erschießung Faulkners auf, von dem dessen mutmaßlicher Mörder sagt, er habe die Geschäfte zwischen Polizei und Halbwelt gestört? Welch ein Zufall ...

Der FBI-Undercoveragent Donald Hersing hatte zwischen Mai 1981 und November 1982 in Philadelphia gegen die Stadtpolizei wegen Korruption ermittelt, was zu Verurteilungen von rund 30 Beamten geführt hatte - unter ihnen eben auch Polizeiinspektor Giordano. Belastet als "nicht angeklagter Mitverschwörer", jedoch nicht verurteilt wurde der Leiter der Mordkommission, James Carlini, was die unter seiner Verantwortung durchgeführten Ermittlungen im Fall der Ermordung Faulkners nicht eben glaubwürdiger macht. Die Verurteilung Giordanos stellte für Polizei und Justiz einen Rückschlag dar in Hinsicht auf ihr Bemühen, Mumia Abu-Jamal als vermeintlichen "Cop-Killer" zum Tode verurteilen zu lassen. Giordano hatte nämlich bei seiner Vernehmung durch Staatsanwalt Joseph McGill in der Vorverfahrensanhörung behauptet, in der Tatnacht habe der schwerverletzte Abu-Jamal ihm auf die Frage, wo seine (Abu-Jamals) Waffe sei, geantwortet: "Ich habe sie neben das Auto geworfen, nachdem ich ihn (Faulkner) erschossen hatte."

Staatsanwalt McGill war klug genug, 1982 in dem buchstäblich kurzen Prozeß gegen Mumia Abu-Jamal von dieser Aussage keinen Gebrauch zu machen. Inspektor Alphonse Giordano wurde unter schwerem Korruptionsverdacht suspendiert und nach seinem Geständnis, Bestechungsgelder angenommen zu haben, aus dem Polizeidienst entlassen. Ohne die Korruptionsermittlungen des FBI, so muß gemutmaßt werden, wäre Giordano der Hauptbelastungszeuge gegen Mumia Abu-Jamal geworden, weil der Aussage eines Polizeibeamten vor Gericht im allgemeinen eine weitaus größere Glaubwürdigkeit zugeordnet wird als der eines "zivilen" Zeugen.

Eine Gruppe junger Staatsanwälte, die in den 70er Jahren dafür berüchtigt war, das brutale und rassistische Vorgehen der Polizei von Philadelphia zu decken, hatte Frank Rizzo, bis 1972 Polizeichef der Stadt und danach bis 1980 ihr Bürgermeister, um sich geschart. Die Angehörigen dieser hinter den Kulissen operierenden Truppe, die bald als "Killer-Elite" verschrien war, können als die besonderen Intimfeinde Mumia Abu-Jamals bezeichnet werden, und namentlich Frank Rizzo hatte sich 1978 auf einer Pressekonferenz, auf der Abu-Jamals Nachfragen ihn massiv gestört hatten, zu einer recht massiven Drohung hinreißen lassen:

Die Leute glauben, was Sie schreiben und was Sie sagen, und damit muß endlich Schluß sein. Eines Tages - und ich hoffe, das wird noch im Lauf meiner Karriere sein - wird man Sie für Ihr Treiben verantwortlich machen und zur Rechenschaft ziehen.

Frank Rizzo gehörte der einflußreichen Polizeigewerkschaft Fraternal Order of Police an, die immer dann in Aktion trat, wenn Teile des Justiz- oder Regierungsapparates Anstalten machten, bei besonders krassen Fällen zur Wahrung der Glaubwürdigkeit des Gesamtsystems zu intervenieren. Ed Rendell, der als demokratischer Karrierepolitiker 2002 zum Gouverneur von Pennsylvania gewählt wurde, hatte sich in diesem Zusammenhang seine Sporen verdient. Als Leitender Staatsanwalt sorgte er ab 1977 dafür, daß alle Ermittlungen gegen die Polizei von Philadelphia im Sande verliefen. Seine Partei befand im Jahre 2000, er sei ein "starker Führer" und bringe die "richtigen Erfahrungen" für das Gouverneursamt mit. Staatsanwalt McGill, der im Verfahren gegen Mumia Abu-Jamal alles tat, um ein Todesurteil zu erwirken, galt nicht von ungefähr als die "rechte Hand" Rendells.

In Philadelphia hatte sich in den 70er Jahren die radikalökologische Gruppe MOVE bei Bürgermeister Rizzo und der Polizei höchst unbeliebt gemacht, prangerte sie doch immer wieder die rassistische Polizeibrutalität an. Die "Antwort" ließ nicht lange auf sich warten. Am 8. August 1978 erstürmte die Polizei nach fast einjähriger Belagerung das Haupthaus der MOVE im Stadtteil Powelton Village äußerst gewaltsam. 300 Polizeibeamte rückten mit gepanzerten Fahrzeugen, Räumgerät und Wasserwerfern gegen das Haus vor. Auf die Bewohner, die zum Verlassen des Hauses gezwungen werden sollten, wurde alsbald das Feuer eröffnet. Die Bewohner gaben auf, nachdem sie in den Keller ihres Hauses geflohen waren und dieser durch Feuerwehrschläuche unter Wasser gesetzt worden war.

Im Zuge dieser Räumung kam ein Streifenpolizist durch eine von einem Kollegen (versehentlich?) abgefeuerte Kugel ums Leben. Der damalige Leitende Staatsanwalt - Ed Rendell - stellte die neun bei ihrer Festnahme schwer mißhandelten MOVE-Mitglieder unter Mordanklage. Sie alle wurde zu je 30 bis 100 Jahren Gefängnis verurteilt, obwohl in ihrem Haus nicht einmal eine Waffe gefunden wurde, mit der der Streifenpolizist Ramp hätte erschossen werden können. Die inhaftierten MOVE-Mitglieder stellten 1993 einen Antrag auf Wiederaufnahme ihres Verfahrens. Sieben Jahre später lehnte das zuständige Gericht dies ab mit der schon im ersten Prozeß angeführten Begründung, daß in ihren Fällen ein Einzeltäternachweis nicht erforderlich sei. Schon im Mai 1980 hatte Richter Edwin Malmed die Kollektivschuld folgendermaßen begründet: "Da die Angeklagten sich als Familie bezeichnen, werden sie auch als Familie verurteilt. Ein individueller Tatnachweis ist nicht möglich. Ich weiß nicht, wer geschossen hat."

Ein Jahr später hatten die drei Richter der nächsthöheren Instanz mit derselben Begründung die gegen die Urteile eingelegte Berufung abgelehnt. Die Berufungsrichter begründeten ihre ablehnende Entscheidung zudem damit, daß das erstinstanzliche Gericht sich ein Videoband angesehen habe, auf dem zu sehen gewesen sei, wie ein Geschoß aus Richtung des MOVE-Hauptquartiers geflogen sei (!) und den Polizeibeamten getroffen habe. Besagte Videoaufnahmen weisen allerdings einen erheblichen Mangel auf, worauf die inhaftierten MOVE-Mitglieder im März 2003 in einer Erklärung aufmerksam machten:

Während unseres Prozesses wurden drei Videobänder der Polizei als Beweismittel präsentiert, und jedes dieser Bänder enthält scharfe Aufnahmen bis zu dem Moment, in dem Ramp getroffen wurde. Genau an der Stelle sollen die drei Kameras 'nicht funktioniert' haben, und die Aufnahmen werden erst in dem Moment wieder klar, als Ramp bereits am Boden lag. Und auf wundersame Weise sind alle drei Bänder nach dem Prozeß 'verschwunden'.

Mumia Abu-Jamal hatte - selbstverständlich - während seiner Tätigkeit als Rundfunkjournalist auch über das Vorgehen der Polizei gegen die MOVE-Gruppe berichtet. Und um MOVE war es 1978 schließlich auch auf der Pressekonferenz gegangen, auf der Bürgermeister Frank Rizzo durch seine an Mumia Abu-Jamal gerichteten Worte, dieser müsse für sein "Treiben" - also für das, was er sagt und schreibt! - zur Verantwortung gezogen werden, eigentlich schon angekündigt hatte, was später mit dem unbequemen Journalisten, der die "Stimme der Unterdrückten" genannt wird, geschehen würde.

Am 13. Mai 2005 wurde das MOVE-Hauptquartier in der Osage Avenue erneut angegriffen. Und wieder machte die Polizei von ihren Schußwaffen Gebrauch, in wenigen Stunden wurden 10.000 Schuß Munition abgefeuert. Von einem Polizeihubschrauber aus wurde schließlich eine Bombe - das FBI hatte dafür den Plastiksprengstoff geliefert - auf das Haus geworfen. Bundes- und Stadtpolizei sahen tatenlos zu, wie elf Menschen, unter ihnen fünf Kinder, in den Flammen umkamen. Die Feuerwehr wurde daran gehindert, den Brand zu löschen. Das Feuer griff auf die umliegenden Häuser über, von denen 60 bis auf die Grundmauern niederbrannten. Ramona Africa, die neben dem damals 13jährigen Birdie Africa als einzige überlebt hatte und anschließend zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden war, erklärte in einem 1996 produzierten Film über Mumia Abu-Jamal und MOVE:

Mir bleibt von den Ereignissen am 13. Mai am meisten im Gedächtnis haften, wie wir herausriefen, daß wir herauskommen und die Kinder herausbringen wollen, wie die Kinder selbst hinausschrien 'Wir kommen raus, sie bringen uns raus', und daß jeder Versuch herauszukommen von Sperrfeuer aus den Polizeiwaffen verhindert wurde.

Und wieder war es Mumia Abu-Jamal - inzwischen aus der Todeszelle heraus - der anprangerte, was es anzuprangern galt und beim Namen nannte, was die Polizei in Philadelphia auf Anordnung des damaligen Bürgermeisters Wilson Goode mit einer Gruppe schwarzer Menschen getan hatte, die eine andere, gemeinschaftliche Lebensform entwickelt hatten. Das Mitglied der "Killer-Elite" Ed Rendell, der nicht nur 1978 gegen die MOVE-9 Mordanklage erhoben, sondern auch 1981/82 die Ermittlungen gegen Mumia Abu-Jamal geleitet und ihn als vermeintlichen "Polizistenmörder" vor Gericht gebracht hatte, bekräftigte ungeachtet all der Gegenbeweise und Ungereimtheiten, die im Fall des streitbaren Journalisten die offizielle Tatversion längst ins Wanken gebracht hatten, noch 1995 in seiner damaligen Eigenschaft als Bürgermeister Philadelphias, es sei richtig gewesen, Mumia Abu-Jamal zum Tode zu verurteilen.

30. Mai 2007



Copyright 2007 by MA-Verlag
Nachdruck und Wiedergabe, auch auszugsweise, nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.
Redaktion Schattenblick, Dorfstraße 41, 25795 Stelle-Wittenwurth
Telefon 04837/90 26 98 · Fax 04837/90 26 97
E-Mail:ma-verlag.redakt.schattenblick@gmx.de
Internet:www.schattenblick.de