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DILJA/159: Feuertod in Polizeihaft - vor Gericht ein "Selbstmord" (SB)


Oury Jalloh 2005 in Dessauer Polizeizelle lebendig verbrannt

Polizei und Staatsanwaltschaft schließen Fremdverschulden aus und bezichtigen das Opfer der Selbsttötung


Ein junger Mann in angetrunkenem Zustand wird auf offener Straße einer Personenkontrolle durch die Polizei unterzogen. Weil er seine Papiere nicht vorzeigen will, werden die Polizeibeamten handgreiflich. Der 21jährige wird mit Schlägen traktiert und schließlich aufs Revier gebracht. Dort wird er zunächst einer Leibesvisitation unterzogen und dann in eine Ausnüchterungszelle im Keller des Gebäudes verbracht. Dieser Raum ist voll verfliest, es befinden sich darin - der späteren Zeugenaussage einer Reinigungskraft zufolge - außer einer unbeschädigten, feuerfesten Matratze keine weiteren Gegenstände. Der junge Mann wird "fixiert", d.h. mit Handschellen an seinen ausgestreckten Armen und Beinen gefesselt sowie an Haken festgebunden, die sich knapp über der Matratze an der Wand befinden.

Zwei Stunden später ist Oury Jalloh tot. Er verbrannte bei lebendigem Leib. Einem ersten, später allerdings von den Ermittlungsbehörden zurückgehaltenen Obduktionsbericht zufolge waren seine Handgelenke gebrochen. Als Todesursache wird ein Hitzschlag angegeben, dem der Gefesselte sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers in der auf über 350 Grad Celsius erhitzten Zelle erlag. Einer zweiten, von den Anwälten der Familie des Toten beantragten Obduktion zufolge wies dessen Leichnam zudem ein gebrochenes Nasenbein auf.

Die naheliegende Vermutung, es könnte sich um ein Tötungsdelikt, um nicht zu sagen Mord gehandelt haben, wird durch das Verhalten der verantwortlichen Polizeibeamten noch verstärkt. In der Dienststube gab der Rauchmelder Alarm, wurde vom Dienstgruppenleiter jedoch ausgeschaltet. Nicht nur einmal, sondern, wie dieser selbst später zugeben sollte, zweimal. Als aus der mit der Zelle verbundenen Gegensprechanlage lautes Prasseln und verzweifelte Rufe zu hören waren, wurde von dem Dienstgruppenleiter entgegen jeder Dienstvorschrift der Ton leiser gestellt. Eine Kollegin wies ihn auf die Geräusche hin und stellte den Ton wieder lauter. Doch erst als der Lüftungsschalter für den gesamten Zellentrakt Alarm schlug, setzten sich die Beamten in Bewegung. Als sie die Tür zur Zelle des jungen Mannes öffneten - so erklärten sie später -, sei ihnen so starker, schwarzer und beißender Rauch entgegengeschlagen, daß sie nicht mehr helfen konnten.

Zu diesem Zeitpunkt war der Gefesselte womöglich schon tot. Sechs Wochen nach Jallohs Tod erklärte Staatsanwalt Folker Bittmann auf einer Pressekonferenz: "Die Polizei hat viele Fehler gemacht. Sie haben zum Tod von Oury Jalloh geführt." Die Polizei hatte schon unmittelbar nach dessen Feuertod behauptet, Jalloh habe das Feuer selbst gelegt. Staatsanwalt Bittmann schloß sich dieser Version an und erklärte auf der Pressekonferenz, Jallohs Tod sei ein Unglücksfall oder eine Selbsttötung gewesen. "Es gibt keinerlei Anzeichen für die vorsätzliche Tat eines Dritten", so Bittmann wörtlich.

Die Unglückstheorie mußte fallengelassen werden, weil sich in der vollständig mit Fliesen ausgestatteten Zelle außer der noch dazu feuerfesten und als unentflammbar geltenden Matratze keine weiteren Gegenstände befunden hatten. Die Staatsanwaltschaft hatte zunächst noch behauptet, die Matratze sei beschädigt gewesen und habe deshalb Feuer gefangen. Nach Aussage der Putzkraft war die Matratze jedoch unbeschädigt gewesen. Da in der ausgebrannten Zelle die Überreste eines Feuerzeuges gefunden worden sein sollen - bei dem es sich nach Lage der Dinge auch um eine Mordwaffe gehandelt haben könnte -, wurde mit Hilfe dieses Fundes eine Selbsttötungstheorie entwickelt.

Die Staatsanwaltschaft will glauben machen, daß der an Händen und Füßen Gefesselte noch genug Bewegungsraum gehabt haben könnte, ein bei seiner Durchsuchung übersehenes Feuerzeug aus seiner Hosentasche zu ziehen und sich selbst damit anzuzünden. Ein Motiv für eine solche Tat konnte die Staatsanwaltschaft allerdings nicht liefern. "Das Motiv für eine Selbstentzündung bleibt unklar", so Staatsanwalt Bittmann auf der Pressekonferenz. In der Zeit vor seinem Tod soll der 21jährige noch ganz normal - was immer das unter diesen Umständen heißen soll - mit den Polizisten gesprochen haben.

Hätte sich dieser Fall in Chile zur Zeit der Pinochet-Diktatur oder in Südafrika während des Apartheid-Regimes ereignet, hätten die Schlußfolgerungen nach allgemeinem Dafürhalten auch in der westlichen Welt wohl auf der Hand gelegen. Dieser Feuertod eines 21jährigen Afrikaners in einer Polizeizelle ereignete sich jedoch nicht in einer der bekannten Diktaturen, sondern in einem demokratischen Rechtsstaat, nämlich in Deutschland. Genauer gesagt in Dessau, wo vor über zwei Jahren, am 7. Januar 2005, der aus Sierra Leone stammende Asylbewerber Oury Jalloh unter Umständen ums Leben kam, die nun vor dem Landgericht Dessau in dem am 27. März gegen zwei Polizeibeamte eröffneten Strafverfahren angeblich geklärt werden sollen. Zu Prozeßbeginn wiederholte Oberstaatsanwalt Christian Preissner mit der Selbsttötungsthese die bis dahin konsequent verfolgte Ermittlungslinie der Staatsanwaltschaft. Laut Preissner hätten die Ermittlungen ergeben, daß der alkoholisierte und an Händen und Füßen gefesselte Mann mit seinem Feuerzeug seine Matratze angezündet habe.

Die gegen zwei Polizeibeamte nun erhobenen Anklagen sollen diese These stützen. So wird dem 44jährigen Streifenpolizisten Hans- Ulrich M. Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen, weil er bei der Untersuchung des jungen Mannes dessen Feuerzeug übersehen haben soll. M. bestreitet dies. Vor Gericht sagte er aus, er habe bei Jalloh ein Taschentuch, ein Handy sowie eine Brieftasche gefunden, ein Feuerzeug sei aber "mit Sicherheit nicht" dabei gewesen. Er habe alle Taschen abgetastet, so M., der dann noch erklärte: "Ein Feuerzeug hätte ich mit Sicherheit gespürt". Selbst wenn dem Beamten M. eine solche Dienstpflichtverletzung nachgewiesen werden könnte, wäre dies schwerlich, wie die Staatsanwaltschaft es jedoch tut, als "Körperverletzung mit Todesfolge" aufzufassen.

Der 46jährige Dienstgruppenleiter Andreas S. wurde der fahrlässigen Tötung angeklagt, weil er den Zellenrauchmelder zweimal ausgeschaltet und ignoriert habe. Hätte er dies nicht getan, so die Argumentation der Staatsanwaltschaft, hätte Oury Jalloh, der sechs Minuten nach Ausbruch des Feuers gestorben war, noch gerettet werden können. Die Anklagebehörde geht somit von unterlassener Hilfeleistung aus und klammert die Frage, wer das Feuer außer dem Opfer noch gelegt haben könnte, vollkommen aus. An die juristischen Bewertungen der Staatsanwaltschaft ist das Landgericht Dessau allerdings nicht gebunden. Theoretisch könnte es von der Anklage abweichen und der Frage nachgehen, ob nicht doch ein Fremdverschulden - durch die angeklagten Beamten und/oder Dritte - vorliegen könnte.

Beim Dienstgruppenleiter S. kommt erschwerend hinzu, daß zwei Jahre vor Jallohs Tod, im November 2002, unter seiner Aufsicht in derselben Zelle schon einmal ein Mensch unter bis heute ungeklärten Umständen ums Leben gekommen war. Ein 36jähriger Obdachloser war damals, wie die spätere Obduktion ergeben hatte, an inneren Verletzungen und einem Schädelbruch gestorben. Die Polizei hatte angegeben, ihn bereits verletzt aufgegriffen zu haben. Da ein Arzt ihm Gewahrsamstauglichkeit attestiert hatte, wurde er in die Zelle des Dessauer Polizeireviers verbracht, in der er dann später starb. Das damalige Ermittlungsverfahren gegen S. war mit der Begründung eingestellt worden, es könne nicht ausgeschlossen werden, daß der Mann auch bei schnellerer Hilfe - er war stundenlang unbeaufsichtigt geblieben - gestorben wäre. Der Frage, woher seine schweren und letztlich tödlichen Verletzungen stammten und ob diese ihm womöglich erst im Polizeigewahrsam zugefügt worden sein könnten, wurde von seiten der Staatsanwaltschaft nie nachgegangen. Inzwischen wurde S. vom Dienst suspendiert.

Mit einem schnellen Urteil im Fall Jalloh ist nicht zu rechnen. Der Vorsitzende Richter der 6. Strafkammer des Landgerichts Dessau, Manfred Steinhoff, geht von 20 weiteren Verhandlungstagen aus, so daß eine Entscheidung nicht vor Ende Juni fallen wird. Schließt sich das Gericht der von Polizei und Staatsanwaltschaft mit eigentlich intelligenzbeleidigender Sicherheit aufgestellten Selbsttötungsthese an, derzufolge sich ein an Händen und Füßen gefesselter Mensch selbst angezündet haben soll, wäre der Schulterschluß der angeblich geteilten Staatsgewalt zugunsten der Staatsräson zur Vollendung gebracht.

Der demokratische Rechtsstaat, der von sich behauptet, daß durch die Gewaltentrennung in die Funktionsbereiche Exekutive, Legislative und Judikative eine "Mäßigung der Staatsgewalt erreicht werden" (Rechtswörterbuch) würde, könnte im Fall Jalloh auf den Prüfstand gestellt werden. Sollten sich die als unabhängig geltenden Richter tatsächlich als ein die Exekutive wirksam kontrollierendes Element innerhalb der staatlichen Ordnung erweisen wollen, müßten sie mit allergrößter Sorgfalt und Ernsthaftigkeit der angesichts der näheren Umstände dieses grauenhaften Feuertodes ganz sicher nicht von der Hand zu weisenden Möglichkeit eines mit Absicht durchgeführten Tötungsdeliktes nachgehen.

Wird jedoch die abstruse Selbsttötungstheorie nicht nur gleichermaßen von Polizei und Staatsanwaltschaft vertreten, sondern am Ende des nun laufenden Verfahrens auch noch vom Landgericht Dessau durch ein entsprechendes Urteil festgeschrieben, erleidet die Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates einmal mehr Schiffbruch. Wie auch könnten Menschen Vertrauen in Institutionen entwickeln, die sie vor Übergriffen der Staatsgewalt zu beschützen vorgeben, wenn in einem Fall, der, wie der innenpolitische Sprecher der PDS-Landtagsfraktion in Sachsen- Anhalt, Matthias Gärtner, es formulierte, "gewaltig stinkt", die Justiz alles tut, um die Polizei vor Nachforschungen zu schützen?

Um der Glaubwürdigkeit des Rechtsstaates willen wären schonungslose Ermittlungen und gegebenenfalls weitere juristische Schritte das Gebot der Stunde. Im Sinne der Staatsräson, der auch die Judikative als integraler Bestandteil des Gewaltmonopols de facto verpflichtet ist, wäre dies allerdings der größtmögliche Fehler. Die zuständige Staatsanwaltschaft "löste" dieses Dilemma, in dem sie - schon um den Anschein zu erwecken, dem Legalitätsprinzip, das sie zu Ermittlungen verpflichtet, Genüge zu tun - gegen zwei beteiligte Polizeibeamte Anklage erhob, dies jedoch auf eine Weise, die auf eine Reinwaschung der Polizei von dem bislang weitgehend unausgesprochenen Mordvorwurf im Fall Oury Jalloh abzielt. Sollte das Landgericht Dessau in seiner Entscheidung der Prozeßstrategie der Staatsanwaltschaft im Kern folgen, würde die polizeiliche (Schutz-) Behauptung, das Brandopfer habe sich selbst angezündet, per Urteilskraft festgeschrieben.

Die Judikative würde sich damit als effizienter Pfeiler des Gesamtgerüsts staatlicher Herrschaft erweisen - effizient allerdings nicht in Hinsicht auf den behaupteten Schutz betroffener und letztlich aller Menschen vor staatlicher Gewalt, sondern in Hinsicht auf den reibungslosen Ablauf der gesamten Maschinerie. Eine Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols, die sich aus dem bis heute ungeklärten grausamen Feuertod Oury Jallohs ableiten ließe, würde damit schon im Vorwege abgewehrt. Den angeklagten Polizeibeamten könnte dabei die Rolle von Bauernopfern zugedacht sein, die der Staatsräson zuliebe strafrechtlich belastet und unter Umständen geringfügig bestraft werden, nur um zu beweisen, daß nicht sein kann, was nicht sein darf.

4. April 2007



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