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DILJA/154: Ackermanns "Freikauf" stellt die Klassenjustiz bloß (SB)


Ackermanns "Freikauf" stellt die Klassenjustiz bloß


Im Frühjahr 2000 tobte zwischen zwei europäischen Großunternehmen, dem deutschen Mannesmann-Konzern und seinem britischen Konkurrenten Vodafone, eine sogenannte Übernahmeschlacht. Wie im Monopolkapitalismus nicht nur üblich, sondern zwingend notwendig, weil jedes Unternehmen dem Zwang zur Kapitalakkumulation unterliegt, wollte ein Hai (Vodafone) einen anderen (Mannesmann) fressen. Hätte dies nach Ansicht beider Konzernführungen zum beiderseitigen Vorteil geschehen können, wäre es gar nicht erst zu dieser "Schlacht" gekommen. Doch Mannesmann wollte nicht. Zunächst nicht. Solange nicht, bis "Prämien" und "Abfindungen" in Höhe von 57 Millionen Euro an führende Manager und Aufsichtsräte flossen.

Geflossen sind Millionenzuwendungen an die früheren Mannesmann- Aufsichtsräte Josef Ackermann (heute Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank), Joachim Funk und den IG-Metall-Vorsitzenden Klaus Zwickel ebenso wie an Klaus Esser, der den Abwehrkampf gegen die Vodafone-Übernahme dann "erfolglos" führte. Dies brachte sie und zwei weitere Manager im Jahre 2004 vor Gericht. Sie wurden der "gemeinschaftlichen Untreue in einem besonders schweren Fall" bzw. der Beihilfe zur Untreue angeklagt. Nach Ansicht von Staatsanwalt Johannes Puls, der in der im Januar 2004 vor dem Düsseldorfer Landgericht eröffneten Hauptverhandlung die Anklage vertrat, haben sich die Angeklagten "auf Kosten der Mannesmann AG unrechtmäßig bereichert".

Doch die Frage, wer in einem solchen Betrugsfall eigentlich der Geschädigte ist (Paragraph 266 des Strafgesetzbuches, in dem die Untreue behandelt wird, setzt einen finanziellen Schaden durch eine vorsätzliche Pflichtverletzung eines mit der Betreuung fremder Vermögensinteressen Beauftragten voraus), scheint nicht einmal unter den beteiligten Staatsanwälten unstrittig zu sein.

Während Staatsanwalt Puls 2004 von einer unrechtmäßigen Bereicherung zulasten der Mannesmann AG respektive ihrer Aktionäre ausging, führte Dirk Negenborn, einer der Anklagevertreter in dem nach nur wenigen Verhandlungstagen am 29. November 2006 eingestellten zweiten Verfahren, zur Begründung der zwischen Gericht, Anklage und Verteidigung einvernehmlich ausgehandelten Verfahrenseinstellung an, daß der angeblich letztlich Geschädigte, diesmal Vodafone, dem Geschäft doch zugestimmt hätte. Es sei doch "theoretisch denkbar", so argumentierte Negenborn, daß die Millionenprämien nicht zum Schaden des Unternehmens gezahlt wurden, sondern "möglicherweise eine Anreizwirkung" entfaltet hätten.

Die juristischen Spitzfindigkeiten um die Frage, welches der beiden beteiligten Unternehmen denn nun eigentlich der Geschädigte sei, läßt sich mit dem Gerechtigkeitsempfinden in der Bevölkerung und mit den Interessen der betroffenen Belegschaften nicht in Übereinstimmung bringen. Es stinkt nach Schiebung und Bestechung, wenn Entscheidungsträger in einem Konzern nach Millionenprämien plötzlich ihre Einwilligung, zu der sie zuvor nicht bereit waren, geben. Mit den Mitteln des Strafrechts in einem kapitalistischen Staat, dessen Justiz selbstverständlich den Anforderungen einer solchen Klassenherrschaft Genüge tut, einem solchen von den meisten Menschen als "Unrecht" empfundenen Vorfall beikommen zu wollen, hieße jedoch, sich grundlegend über die vorherrschenden Verhältnisse täuschen zu lassen.

Die Angeklagten, die schon 2004 mit ihrer Empörung über das ihnen zugemutete Gerichtsverfahren kaum hinter Berg hielten, teilen dieses Unrechtsempfinden bis heute nicht. Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann hatte seine Position seinerzeit gegenüber dem Norddeutschen Rundfunk mit folgenden Worten klargestellt:

Meine Position ist klar. Wir wissen ja von allen Rechtsgutachten, daß wir alles rechtmäßig gemacht haben. Ich stehe auch voll dazu. Das ist etwas, was ich schon dutzendemal in der Welt gemacht habe, viele meiner Kollegen auch. Und ich bin sehr der Meinung, daß Leistung honoriert werden muß und auch honoriert werden soll. Und insofern habe ich natürlich überhaupt kein schlechtes Gewissen.

Bekanntlich endete das Verfahren von 2004 nach halbjähriger Verhandlungsdauer mit Freisprüchen, die jedoch in der Revision vom Bundesgerichtshof kassiert wurden. Die Freisprüche seien, so befand der BGH, "rechtsfehlerhaft" und hielten "einer rechtlichen Überprüfung nicht stand". Im übrigen hätten sich die Angeklagten, auch dies die Auffassung des BGH, der das Mannesmann-Verfahren an eine andere Kammer des Düsseldorfer Landgerichts zur erneuten Verhandlung zurückverwies, wie "Gutsherren" aufgeführt, obwohl sie doch nur "Gutsverwalter" gewesen wären. Ein hübsches Bild, das vielleicht geeignet ist, die hochgekochten Wogen der Empörung über die Freisprüche von 2004 erst einmal zu glätten. Die 10. Strafkammer des Düsseldorfer Landgerichtes mußte sich nun etwas einfallen lassen, um die von ihm absolut unerwünschte Verurteilung der Angeklagten zu umgehen.

Ein abermaliger Freispruch hätte dem Düsseldorfer Landgericht nach der Revisionsentscheidung des BGH schlecht zu Gesicht gestanden. Eine Verurteilung kam aus anderen Gründen nicht in Frage, und so einigten sich die Prozeßbeteiligten in trauter Einigkeit binnen kurzem auf eine Vereinbarung, die ihren jeweiligen Interessen zwar entsprach, die landauf, landab jedoch abermals als purer "Freikauf" empfunden wurde. Zur Rechtfertigung wurden vom Gericht Gründe angeführt, bei denen sich Angeklagte in "normalen" Strafverfahren verwundert die Augen gerieben hätten. Die Einstellung sei sinnvoll, so hieß es, weil sonst ein womöglich sehr langes Verfahren gedroht hätte. Außerdem sei zu berücksichtigen, daß einer der Angeklagten - Ackermann - eine Bank zu leiten hätte - ein Argument, das ansonsten nicht einmal ein Kassierer derselben Bank für sich hätte in Anspruch nehmen können.

Das Verfahren gegen Ackermann und seine fünf Mitangeklagten wurde gegen die Zahlung von Geldauflagen - wohlbemerkt, keine Geldbuße oder -strafe, was rechtlich eine Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit bzw. Straftat bedeutet hätte - in Höhe von insgesamt 5,8 Millionen Euro rechtskräftig eingestellt. Diese Gelder, die sinnfälligerweise einem Zehntel des Gesamtbetrages der in der Übernahmeschlacht gezahlten "Prämien" und damit dem biblischen Zins entsprechen, sollen zu 60 Prozent an die Staatskasse und zu 40 Prozent an gemeinnützige Organisationen gehen, was bereits zu hunderten Anfragen an das Düsseldorfer Gericht geführt hat.

Für eine Beteiligung an der Beute, der Eindruck muß sich aufdrängen, wird die Frage, ob und wenn ja gegen wen hier ein Strafurteil zu fällen wäre, fallengelassen. Die Empörung, die dieser Freikauf ausgelöst hat, korrespondiert allerdings mit der grundsätzlichen Bereitschaft, sich den staatlichen Normen zu unterwerfen und diese als verbindlich auch dann anzuerkennen, wenn sie in ihrem Kern eine Gesellschaftsordnung ermöglichen und beschützen, in der eine verhältnismäßig kleine Elite ihre Interessen zu Lasten einer immer größer werdenden verarmten Bevölkerungsmehrheit systematisch durchzusetzen imstande ist.

Der Einwand Ackermanns, so etwas würden er und seine Kollegen ständig machen, ist insofern zutreffend. Schließlich ist es immanenter Bestandteil des monopolkapitalistischen Systems und mit ihm des die Staatsgrenzen überschreitenden Neoliberalismus, daß auch zwischen den weltweit agierenden Konzernen ein Konkurrenzkampf tobt, bei dem die einen von den anderen gefressen werden. Wer die Geschädigten einer solchen Entwicklung sind, läßt sich mit den Mitteln eines Strafverfahrens schon deshalb nicht ausloten, weil das Strafrecht in erster und letzter Linie Eigentümerinteressen schützt, weshalb im Falle der Mannesmann- Übernahme durch Vodafone von der deutschen Staatsanwaltschaft auch nur untersucht werden kann, ob in diesem oder jenem Konzern die Interessen der Anteilseigner in strafwürdiger Weise geschädigt wurden.

Die Strafjustiz gibt sich in diesem Verfahren als das zu erkennen, was sie stets gewesen ist - ein Repressionsinstrument zur Aufrechterhaltung der herrschenden Eigentumsordnung, in der Verletzungen der Eigentumsrechte (Diebstahl etc.) im allgemeinen scharf geahndet werden, die miteinander in Konkurrenz stehenden Unternehmensinteressen im Streitfall jedoch relativ friedlich abgewickelt werden, damit der Gesamtapparat nicht durch das Schlachtgetöse ins Wanken gerät. In die allgemeine Empörung, mit der dieses Nicht-Urteil des Düsseldorfer Landgerichts, die Verfahrenseinstellung gegen Geldauflage, in Presse und Öffentlichkeit quittiert wurde, mischen sich denn auch Stimmen, die ihrer Sorge um die Glaubwürdigkeit der Strafjustiz und damit des Staates Ausdruck verleihen.

So zeigten sich Linkspartei und Grüne, aber auch die CSU- Landesgruppe sowie die Gewerkschaft der Polizei einig in ihrer Ablehnung der Düsseldorfer Entscheidung. Der Marburger Strafrechtler Georg Freund brachte das allgemeine Unbehagen mit den Worten auf den Punkt, daß so der Eindruck bestehen bliebe, "daß man die Großen laufen läßt". Er erläuterte allerdings nicht, warum es nicht begrüßenswert sein sollte, wenn ein solcher keineswegs unbegründeter Eindruck nicht sofort wieder vom Tisch gefegt werden kann.

Doch auch der ehemalige BGH-Richter und Linkspartei-Politiker Wolfgang Neskovic bezeichnete die Verfahrenseinstellung lediglich als "empörend". Dabei hätte ein rechtskundiges Mitglied einer Partei mit linkem Anspruch bei dieser Gelegenheit verdeutlichen können, daß die Gesellschaftsutopie Sozialismus erst noch erstritten werden muß, weshalb das gegenwärtige Rechtssystem keineswegs nur in Einzel- oder Extremfällen empörungswürdige Mängel aufweist, und daß es dessen ureigenste Funktion ist, die Interessen der in diesem Fall von Josef Ackermann und anderen Mannesmann-Managern repräsentierten Klasse am Rechtsempfinden der Bevölkerungsmehrheit vorbei durchzusetzen. Sich der Empörung zu bedienen, auf die auch CSU-Politiker wie beispielsweise Landesgruppenchef Ramsauer setzen ("Ich denke, wie solche Freikaufaktionen auf das Rechtsgefühl der Bürger wirken, so wirken sie auch auf mich"), dokumentiert den Verzicht der Linkspartei, auf die Entwicklung einer klaren, kritischen und anlaßunabhängigen Position gegenüber der Strafjustiz hinzuarbeiten und dieser das Wort zu reden.

Erstveröffentlichung am 5. Dezember 2006

24. Januar 2007



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