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VÖLKERRECHT/061: Völkerrecht erfordert eine Welt ohne Atomwaffen (IALANA)


IALANA
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms

Erklärung der IALANA zu der Konferenz "Frieden durch Recht?"
Berlin, 25. Juni 2009


Aus Anlass der Konferenz "Frieden durch Recht?" am 26./27.06.09 veröffentlichte die IALANA die beigefügte Erklärung "Das Völkerrecht erfordert eine Welt ohne Atomwaffen. Diese ist notwendig, möglich und realistisch."

In der Erklärung heißt es u.a.:
Die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama in Prag, dass die USA nunmehr eine atomwaffenfreie Welt anstreben und konkrete Schritte dahingehend einleiten werden, kann der Beginn einer vollständigen atomaren Abrüstung werden. Dazu liegt den Vereinten Nationen der von der internationalen IALANA und anderen Organisationen ausgearbeitete Entwurf einer "Nuklearwaffen-Konvention" vor, die von UN-Generalsekretär Ban zwischenzeitlich allen UN-Mitgliedsstaaten zur Prüfung übersandt worden ist. Dieser detailliert ausformulierte Entwurf eines bindenden Vertrages über das Verbot und die Abschaffung aller Atomwaffen sieht Schritte vor, mit denen die Atomwaffenstaaten gemeinsam und gleichzeitig unter strenger Kontrolle ihre Sprengköpfe und Trägersysteme auf Null reduzieren sollen.

Die IALANA wendet sich gegen die nukleare Teilhabe der Bundesrepublik und fordert den sofortigen Abzug aller Atomwaffen aus Deutschland.


Das Völkerrecht erfordert eine Welt ohne Atomwaffen.
Diese ist notwendig, möglich und realistisch.


1. Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung, die immer wieder geltend macht, das nukleare Abschreckungssystem habe in den Zeiten des "Kalten Krieges" und darüber hinaus bis heute seine Wirksamkeit und Funktionsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt und so den Frieden gesichert, gab es in Wirklichkeit in den vergangenen 60 Jahren zumindest zwanzig (1) äußerst kritischer Situationen, in denen die Welt am Rande des nuklearen Infernos stand und in denen - wie es der frühere US-amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara formuliert hat - das Überleben der Menschheit allein glücklichen Zufällen zu verdanken ist. (2) Diese Situationen sind im Einzelnen gut dokumentiert. (3)

Wir stellen fest: Die "Abschreckungslogik", die bis heute der Sicherheitspolitik Deutschlands und der NATO-Staaten zugrunde liegt, baut auf der Annahme auf, der potenzielle Gegner könne von einem nuklearen oder nichtnuklearen Angriff dadurch wirksam abgeschreckt werden, dass man ihm für diesen Fall einen vernichtenden militärischen Gegenschlag androht, der für sein Land zu unannehmbaren Folgen und Schäden, möglicherweise sogar zur vollständigen Vernichtung in einem atomaren Inferno führen werde. Um die eigene Fähigkeit und Bereitschaft zu einer solchen Gewalt-Reaktion "glaubwürdig" demonstrieren und vermitteln zu können, sind nach dieser "Logik" nukleare und nicht-nukleare Bewaffnungen, entsprechende militärische Ausrüstungen, logistische Einrichtungen, Strategien und Einsatzdoktrinen erforderlich.

Grundlegender Bestandteil für ein Funktionieren dieser "Abschreckungslogik" ist denknotwendig stets, dass man es mit einem rational kalkulierenden Gegner zu tun hat, der in kritischen Situationen auf der Basis hinreichender ihm zur Verfügung stehender Informationen ausschließlich wohl überlegte rationale Entscheidungen trifft. Das heißt: Das Abschreckungskonzept kann schon nach seiner eigenen "Logik" nicht funktionieren, wenn es um die Abschreckung eines "irrationalen" Gegners geht. Historische Beispiele für solche "abschreckungsresistenten" Gegner waren jedenfalls im 20. Jahrhundert, dem blutigen "Zeitalter der Extreme" (Eric Hobsbawm), nicht gerade selten. Man stelle sich nur vor, sie hätten über Atomwaffen verfügt.

Aber auch dann, wenn man es mit einem prinzipiell "rationalen Gegner" zu tun hat, ist die Funktionsfähigkeit der nuklearen (wie auch der so genannten konventionellen) Abschreckung davon abhängig, dass diesem Gegner hinreichende zeitliche, informationelle und logistische Kapazitäten zur Verfügung stehen, um kritische Entscheidungssituationen analysieren, abschätzen und beurteilen zu können sowie hieraus verantwortliche praktische Folgerungen zu ziehen. Bei sehr kurzen Vorwarnzeiten und in zugespitzten Krisensituationen ist es eher illusionär anzunehmen, diese Voraussetzungen seien auf Seiten aller Konfliktbeteiligten hinreichend gewährleistet.

Schließlich funktioniert die "Abschreckungslogik" auf der Grundlage der ihr zugrunde liegenden Annahmen auch dann nicht oder stößt jedenfalls an gefährliche Grenzen, wenn menschliche Fehleinschätzungen oder "technisches Versagen" wirksam werden.


2. Die sog. Palme-Kommission, an der neunzehn bedeutende Politiker und Fachleute aus Ost und West, Nord und Süd, darunter der frühere deutsche Bundesminister und Abrüstungsexperte Egon Bahr, mitgewirkt haben, hat in der Hochphase des Kalten Krieges die lebensbedrohlichen Konsequenzen der Abschreckungsdoktrin eingehend analysiert und daraus bemerkenswerte Schlussfolgerungen gezogen, die sie in einem Alternativ-Konzept "gemeinsamer Sicherheit" zusammen gefasst hat: "In der heutigen Zeit kann Sicherheit nicht einseitig erlangt werden. Wir leben in einer Welt, deren ökonomische, politische, kulturelle und vor allem militärische Strukturen in zunehmendem Maße voneinander abhängig sind. Die Sicherheit der eigenen Nation lässt sich nicht auf Kosten anderer Nationen erkaufen."
Im nuklearen Zeitalter der gegenseitig gesicherten Zerstörung ist Sicherheit nicht mehr vor dem potenziellen Gegner, sondern nur noch mit ihm, d.h. als gemeinsame Sicherheit zu erreichen.


3. Die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama in Prag, dass die USA nunmehr eine atomwaffenfreie Welt anstreben und konkrete Schritte dahingehend einleiten werden, kann der Beginn einer vollständigen atomaren Abrüstung werden. Dazu liegt den Vereinten Nationen der von der internationalen IALANA und anderen Organisationen ausgearbeitete Entwurf einer "Nuklearwaffen-Konvention" vor, die von UN-Generalsekretär Ban zwischenzeitlich allen UN-Mitgliedsstaaten zur Prüfung übersandt worden ist. Dieser detailliert ausformulierte Entwurf eines bindenden Vertrages über das Verbot und die Abschaffung aller Atomwaffen sieht Schritte vor, mit denen die Atomwaffenstaaten gemeinsam und gleichzeitig unter strenger Kontrolle ihre Sprengköpfe und Trägersysteme auf Null reduzieren sollen (http://lcnp.org/mnwc/index.htm).


4. Bereits in seinem auf Verlangen der UN-Generalversammlung erstellten Rechtsgutachten vom 8.7.1996 hatte der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH) die Drohung mit Atomwaffen und deren Einsatz als Verstoß gegen das geltende Völkerrecht bezeichnet. Außerdem hatte der IGH entschieden: "Es besteht die völkerrechtliche Verpflichtung aller Staaten, Verhandlungen im guten Glauben aufzunehmen und abzuschließen, die zu atomarer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle führen."

Die Atomwaffenstaaten und ihre Verbündeten missachten diese verbindliche völkerrechtliche Abrüstungs-Verpflichtung aus Artikel VI des Nichtverbreitungsvertrages (NPT) seit Inkrafttreten des Vertrages im Jahre 1970. Das haben Anfang Januar 2009 auch Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Hans-Dietrich Genscher und Egon Bahr in ihrem in der FAZ erschienenen gemeinsamen Aufruf zu Recht heftig kritisiert. IALANA wird zusammen mit anderen Organisationen auf der Konferenz "Frieden durch Recht?" am 26./27. Juni 2009 in Berlin darüber beraten, ob und ggf. wie der Internationale Gerichtshof in Den Haag und ggf. auch nationale Gerichtshöfe erneut mit der Missachtung dieser zentralen Abrüstungsverpflichtung aller Staaten aus Art. VI NPT befasst werden können.

Gemeinsam mit anderen Nichtregierungsorganisationen wird IALANA zudem - wie in den 90er Jahren vor dem ersten Gutachtenantrag der UN-Generalversammlung zur Illegalität der Androhung und des Einsatzes von Atomwaffen, der zu dem Rechtsgutachten vom 8.7.1996 führte - bei UN-Mitgliedsstaaten dafür werben, dass die UN-Generalsversammlung die Erfüllung der Pflicht zur atomaren Abrüstung von dem Internationalen Gerichtshof konkret prüfen lässt. Der IGH soll klarstellen, wie Art. VI NPT auszulegen und umzusetzen ist. In welcher Frist müssen ernsthafte Verhandlungen begonnen werden? In welcher Frist und mit welchem Ergebnis sind sie abzuschließen?

Dabei geht es auch um die Nichterfüllung der völkerrechtlichen Pflichten der deutschen Bundesregierung, die an der sog. "nuklearen Teilhabe" der Bundeswehr bis heute hartnäckig festhält. Obwohl der Nichtverbreitungsvertrag und der 2+4-Vertrag zwingend jede unmittelbare und mittelbare Mitverfügung über Atomwaffen verbieten, sollen nach den bisherigen Planungen im Einsatzfall in Büchel in der Südeifel stationierte Bundeswehr-Piloten mit Tornado-Flugzeugen der Bundeswehr die Atombomben zu den Zielorten fliegen und abwerfen. Die Bundesregierung scheut sich dabei nicht, einerseits die "nukleare Teilhabe" als unverzichtbaren Beitrag zum NATO-Bündnis zu bezeichnen, andererseits aber gleichzeitig den Soldaten in der Zentralen Dienstvorschrift 15/2 (Druckschrift Einsatz Nr. 03 Humanitäres Völkerrecht in bewaffneten Konflikten) - zu Recht - den Einsatz von Atomwaffen zu verbieten. Das ist nicht nur widersprüchlich, sondern widerspricht auch der rechtlichen Fürsorgepflicht gegenüber den Piloten.


Anmerkungen
(1) vgl. etwa den Vorfall vom 26.9.1983, als der 44jährige Oberstleutnant Stanislaw Petrow die diensthabende Einheit der Kommandozentrale im Raketenwarnsystem Serpuchow-15 bei Moskau befehligte. Nach Mitternacht wurde plötzlich Atomalarm ausgelöst. Der sowjetische Oko-Satellit aus der Kosmos-1382-Klasse meldete gegen 0.40 Uhr den Anflug einer amerikanischen Minuteman-Rakete. Sekunden darauf folgten Hinweise auf den Start eines zweiten, dritten, vierten und fünften Geschosses, die alle geradewegs auf die UdSSR zusteuern. Dem diensthabenden Offizier bleiben in einem solchen Fall nur fünf bis zehn Minuten, um die Flugkörper zweifelsfrei zu identifizieren. Danach hätte Juri Andropow, der damalige KPdSU-Generalsekretär und sowjetische Oberkommandierender, informiert werden müssen. Hätte dieser sich zum Abwehrschlag entschlossen, wären sieben Minuten später Interkontinental-Raketen des Typs SS-18 in Richtung Washington, New York und diverser US-Militärbasen gestartet - wie es die geltende Doktrin von der "gesicherten gegenseitigen Zerstörung" vorsah. Doch Oberstleutnant Petrov zögerte, weil das Bodenwarnsystem das vom Satelliten ausgesandte Signal nicht bestätigte. Möglich, dass der Satellit durch die Einwirkung kosmischer Strahlung irritiert wurde. "Man kann die Vorgänge unmöglich in ein paar Minuten gründlich analysieren", erklärte Petrov den Vorfall 20 Jahre später, "sondern sich nur auf die Intuition verlassen". In jener Nach zum 26. September 1983 entschied Petrov intuitiv und ging von einem Fehlalarm aus. Stanislaw Petrov wurde für sein Handeln weder gerügt noch ausgezeichnet. Erst über zwei Jahrzehnte später verlieh ihm die US-amerikanische Association of World Citizens am 21. Mai 2004 "für die Verhinderung des III. Weltkrieges" den "Weltbürgerpreis". Auch danach noch ereigneten sich ähnliche Vorfälle, etwa am 25. Januar 1995, als russische Techniker auf ihren Radarschirmen den Abschuss einer US-amerikanischen Forschungsrakete von Andoya, einer kleinen Insel vor der norwegischen Küste aufspürten. Was auf ihren Radarschirmen wie die Spur weiterer Raketen aussah, waren die abgesprengten Stufen des Raketenantriebs dieser Forschungsrakete. Deren Start war zwar absprachegemäß den russischen Militärs vorher angekündigt worden, aber diese Ankündigung hatte die Techniker an den Radarschirmen aus einem nicht geklärten Grund nicht erreicht. Nur wenige Minuten später hätte der damalige - physisch schwer angeschlagene und alkoholabhängige - russische Präsident Boris Jelzin die Entscheidung über einen nuklearen Gegenschlag treffen müssen (vgl. dazu Peter Markl, Atomkrieg aus Irrtum (http://wienerzeitung.at/app_support/print)

(2) "I want to say - and this is very important, at the end we lucked out. It was luck that prevented nuclear war. We came that close to nuclear war at the end." (so wörtlich in dem 2003 mit einem "Oscar" preisgekrönten Film "The Fog of War. Eleven Lessons from the Life of Robert S. McNamara" von Errol Morris, zit. nach:
http://ecoglobe.ch/nuclear/d/drs15201.htm (26.05.2009);
vgl. auch Robert McNamara/ James Blight, 2001, S. 180 ff

(3) vgl. dazu etwa Philips, 20 Mishaps That Might Have Started Accidential Nuclear War
(http://skeptically.org/onwars/id7.html <26.05.2009>);
Sagan, Scott D., The Limits of Safety. Organizations, Accidents, and Nuclear Weapons, Princeton, 1993; S. 53 ff, 117 ff, 156 ff, 204 ff


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Quelle:
Erklärung vom 25. Juni 2009
IALANA Geschäftsstelle, Schützenstr. 6a , 10117 Berlin
Tel. (030) 20 65-48 57, Fax (030) 20 65-48 58
E-Mail: info@ialana.de
Internet: www.ialana.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2009