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VÖLKERRECHT/060: Gaza-Offensive - Norwegische Anwälte klagen gegen israelische Führung (Tlaxcala)


Tlaxcala - das Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt

Pressemitteilung vom 20. April 2009

Klage gegen Israel in Norwegen


Am 22. April 2009 wird eine Gruppe norwegischer Anwälte der Nationalen Staatsanwaltschaft für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens und anderer schwerer Straftaten eine Klage vorlegen.

Die Klage ist gemäß den Artikeln 102 bis 109 des norwegischen Strafrechts abgefaßt, die sich auf Kriegsverbrechen und die schwere Verletzung der internationalen Menschenrechte beziehen, und richtet sich gegen den israelischen Angriff auf Gaza im Zeitraum vom 27. Dezember 2008 bis zum 25. Januar 2009

Bei den fraglichen Vergehen handelt es sich um:

das Töten von Zivilisten und weitere unmenschliche Taten, die erhebliches Leid verursachen,
massive Zerstörung privaten und öffentlichen Eigentums mit dem Ziel, Schrecken zu verbreiten,
gezielte Angriffe auf Krankenhäuser, Gesundheitseinrichtungen, Ambulanzen und andere Fahrzeuge, die einen Anspruch auf Schutz genießen, und auf ihr Personal,
massive Terrorangriffe, die sich vor allem gegen die Bevölkerung von Gaza richteten,
den illegalen Einsatz von Waffen gegen zivile Ziele, darunter weißer Phosphor, DIME-Waffen (Dense Inert Metal Explosive) und Flechette-Granaten.

Die Klage richtet sich gegen die folgenden politischen und militärischen Führer in Israel:

den ehemaligen Ministerpräsidenten Ehud Olmert
die ehemalige Außenministerin Tzipi Livni
den ehemaligen Verteidigungsminister Ehud Barak
den Generalstabsschef Generalleutnant Gabi Ashkenazi
den Kommandanten des IDF-Hauptquartiers, Generalmajor Avi Mizrahi
den Kommandanten der israelischen Marine, Admiral Eliezer Marom
den Kommandanten der israelischen Luftwaffe, Generalmajor Ido Nehoshtan
den Kommandanten des Kommandos Süd, Generalmajor Yoav Galant
den Kommandanten der Givati-Brigade, Oberst Ilan Malka
den Kommandanten der Golani-Brigade, Oberst Avi Peled

Die Angeklagten bildeten das Zentralkommando des israelischen Angriffs auf Gaza. Sie tragen damit die volle Verantwortung für die Kriegsverbrechen, die Israel im Krieg gegen Gaza begangen hat. Die drei Erstgenannten sind darüber hinaus Mitglieder des israelischen "Kriegskabinetts". Es besteht kein Zweifel daran, daß diese Personen über die Aktionen in Gaza informiert waren, diese befahlen oder befürworteten und daß sie sich über die Folgen im klaren waren. Auf jeden Fall haben sie - in Kenntnis der Verstöße gelangt - nichts gegen diese unternommen, obwohl sie dazu in der Lage gewesen wären.

Die Absicht, die Israel mit den Aktionen in Gaza erklärtermaßen verfolgte, war die kollektive Bestrafung der dortigen Bevölkerung, um der Hamas einen Schlag zu versetzen. Das haben die israelischen Armeekommandanten vor und während des Krieges klar ausgesprochen. Diese Feststellung wurde durch die politische Führung, insbesondere Shimon Perez, unterstützt, der am 14. Januar erklärte: "Unser Ziel war es, der Bevölkerung von Gaza einen schweren Schlag zu versetzen, so daß sie die Lust daran verliert, weiter auf uns zu schießen. So ist es."

Aus diesem Grund sind wir der Meinung, daß die in dieser Klage genannten Verbrechen mit Absicht begangen wurden. Auf jeden Fall ist deutlich aus den Äußerungen der Beschuldigten zu schließen, daß Israel während der Aktionen grundlegende Regeln des internationalen Kriegsvölkerrechts verletzt hat, unter anderem die Verpflichtung, zwischen militärischen und zivilen Zielen zu unterscheiden. Es ist zugleich offensichtlich, daß die zivilen Schäden, im Verhältnis zu den israelischen Angriffen auf militärische Ziele, ein solches Ausmaß hatten, daß sie durch die militärischen Ergebnisse, die erreicht wurden, nicht zu rechtfertigen sind.

Im Verlauf der Offensive wurden ungefähr 1434 Palästinenser getötet. 90% von ihnen waren Zivilisten, davon ungefähr 288 Kinder und 121 Frauen. Es ist auf jeden Fall davon auszugehen, daß die Zahl der Toten weiter steigen wird, weil noch immer Leichen aus den Ruinen geborgen werden. Abgesehen davon sterben viele der am schwersten Verletzten noch in der Folge. Es wurden darüber hinaus mehr als 5.300 Palästinenser verwundet, darunter 1.872 Kinder und 800 Frauen. Viele Verletzungen sind extremer Natur, und die Ärzte halten den Einsatz von weißem Phosphor und von DIME-Waffen in dichtbesiedelten Gegenden für ursächlich. Schätzungsweise 100.000 Palästinenser wurden infolge des Angriffs aus ihren Häusern vertrieben.

Der materielle Schaden in Gaza ist sehr umfassend, da systematisch alle Bereiche der Gemeinschaft in Gaza angegriffen wurden, einschließlich der Wohnhäuser, ziviler Verwaltungsgebäude, Geschäftshäuser, Landwirtschaft, Gesundheitseinrichtungen, Kultureinrichtungen, Schulen, Kindergärten, Einrichtungen von Nichtregierungsorganisationen und Infrastruktur wie Kommunikation, Energieversorgung, Wasser- und Abwassersysteme. Insgesamt wurden 15.500 private Behausungen, 36 Gebäude der öffentlichen Verwaltung, 268 Kindergärten, Schulen und Universitäten sowie 52 Moscheen beschädigt oder völlig zerstört. Die Landwirtschaft, und damit die Nahrungsmittelproduktion für die Bevölkerung Gazas, wurde durch die weiträumige Zerstörung von Ackerland, von Bewässerungsanlagen und durch die Tötung von 35.750 Rindern, Schafen und Ziegen sowie von über einer Million Federvieh besonders schwer getroffen. Insgesamt wurden 107 Industriebetriebe völlig oder zum Teil zerstört. Der ökologische Schaden, der angerichtet wurde, ist erheblich.

Für den Fall, daß die Beschuldigten nach Norwegen reisen, wird deren Verhaftung gefordert, ansonsten müssen sie im Rahmen der internationalen Polizeizusammenarbeit, der auch Norwegen angeschlossen ist, gesucht und verhaftet werden. Darüber hinaus wird gefordert, daß sie angeklagt und bestraft werden. Norwegen hat die Pflicht und auch das Recht, dafür zu sorgen, daß diese Strafverfolgung stattfindet.

Dies ergibt sich aus dem norwegischen Strafrecht und aus den humanitären Verpflichtungen, die Norwegen eingegangen ist - darunter die Genfer Konvention von 1949 mit den Zusatzprotokollen von 1977 und die Statuten von Rom für den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) von 1998.

Hinzu kommt, daß Norwegen, aufgrund seines langzeitigen Engagements im Nahen Osten - durch Entsendung von UNO-Soldaten, Friedensvermittlung und jetzt durch den Vorsitz der Internationalen Geberkonferenz für Palästina - ein besonderes Motiv hat, die schweren Kriegsverbrechen an unschuldigen Zivilisten in der Region zu verfolgen. Darüber hinaus ist Norwegen durch seine jüngere Geschichte nicht unvertraut mit Invasion, Unterdrückung und Kriegsverbrechen.

Wir vertreten zudem verschiedene Einzelpersonen, die in Norwegen leben und im Sinne des Strafrechts als Opfer betrachtet werden können, weil sie in Verbindung mit den Verbrechen, die diese Klage umfaßt, nahe Verwandte sowie Besitztümer verloren haben. Diese Opfer stellen sich hinter das Verfahren und werden im Verlauf der Strafverfolgung Schadenersatz beanspruchen.

Oslo, 20. April 2009

die Anwälte Loai Deeb, Pål Hadler, Bent Endresen,
Geir H¢in, Harald Stabell und Kjell M. Brygfjeld


Übersetzung aus dem Englischen
(unter Konsultation der norwegischen Fassung):
Redaktion Schattenblick

Die norwegische Originalfassung sowie die Übersetzungen ins Englische, Arabische, Französische, Spanische und Italienische
sind bei Tlaxcala unter http://www.tlaxcala.es/detail_artistes.asp?lg=es&reference=315 zu finden


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Quelle:
Tlaxcala - das Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt
E-Mail: tlaxcala@tlaxcala.es
Internet: www.tlaxcala.es


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2009