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URHEBERRECHT/116: Probleme des Urheberrechts aus interdisziplinärer Perspektive (WZB)


WZB Mitteilungen - Nr. 136/Juni 2012
Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung

Kollektive Kreativität

Probleme des Urheberrechts aus interdisziplinärer Perspektive

von Jeanette Hofmann



Über das Urheberrecht wird heftig öffentlich diskutiert. Welchen Beitrag liefert die Forschung zur Klärung grundsätzlicher Fragen? Die Betrachtung unterschiedlicher Disziplinen zeigt, dass Phänomene wie das Werk, der Autor, aber auch die Metapher des geistigen Eigentums durch das Urheberrecht zur gesellschaftlich-ästhetischen Norm erhoben worden sind. Das Urheberrecht reguliert nicht nur Märkte, es verallgemeinert auch Annahmen über den schöpferischen Prozess. Die Digitalisierung aktualisiert Probleme, die bereits in der Konzeption des Urheberrechts angelegt sind.

Die aktuelle Kontroverse über das Urheberrecht ist durch eine Frontstellung zwischen Autoren und Internetnutzern geprägt. Ein Blick auf die Beiträge verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen zu diesem Thema zeigt, dass weder Digitalisierung noch Umsonstkultur allein Ursache sind für den Akzeptanzverlust des Urheberrechts. Das Internet hat vielmehr Dilemmata zum Vorschein gebracht, die schon in seiner Konstruktion angelegt sind. Es könnte die gegenwärtige Auseinandersetzung bereichern und entspannen, wenn das Konstrukt des "geistigen Eigentums" im Spiegel seiner historischen Entwicklung, der rechtswissenschaftlichen Vorbehalte und der ökonomischen Wirkungsanalysen betrachtet wird.

Die Literatur- und die Musikwissenschaft haben sich mit dem Urheberrecht als Erzählung über den kreativen Schaffensprozess befasst. Studien über die literarische und musikalische Praxis des 17. und 18. Jahrhunderts zeigen, dass das heutige Verständnis eines abgeschlossenen und unveränderlichen Originals, dessen Schaffung einem Künstler zugeordnet werden kann, eine relativ junge Erfindung ist. Diese fasst erst allgemein Fuß mit der Diskussion über den verbreiteten Büchernachdruck und die Anerkennung geistigen Eigentums Ende des 18. Jahrhunderts. In der Musik der frühen Neuzeit hat die Aufführungspraxis für eine ständige Weiterentwicklung musikalischer Werke gesorgt. Musikalische Schöpfungen wurden durch Aufführungen angetrieben, die sich wiederum an den jeweiligen Anlässen und deren Publikum ausrichteten. Weil die einzelne einmalige Darbietung und der direkte Kontakt zwischen Künstlern und Publikum eine bestimmende Rolle spielten, befanden sich die Werke gewissermaßen immer im Fluss. So entstanden Kompositionen wie die "Zauberflöte" durch eine Technik des adaptiven Rekombinierens. Alles in allem wurden 43 Melodien identifiziert, die das Genie geliehen hat: 33 bei sich selbst und immerhin 10 bei Kollegen. Ein prominentes Beispiel aus der Literaturgeschichte sind die Werke von William Shakespeare: Die Vielfalt der bekannten Versionen etwa der Tragödie "King Lear" legt nahe, dass die Vervielfältigungen des Texts als Anlass für Anpassungen genutzt wurden und die heute rechtlich so wichtige Unterscheidung zwischen Original und Kopie in der frühen Neuzeit selbst dann noch keine entscheidende Rolle spielte, als der Buchdruck identische Kopien möglich machte.

Parallel zur Verfestigung des Werksbegriffs durchlief auch die Rolle des Schöpfers eine grundlegende Transformation. Bis zum Aufkommen des Geniekults in England und Deutschland Mitte des 18. Jahrhunderts, der nicht länger die kulturelle Praxis, sondern die individuelle Leistung des Autors ins Zentrum rückte, gehörte die Nachahmung im Rahmen etablierter ästhetischer Regeln zum wichtigsten Stilmittel in der Kulturproduktion. Bis dahin galt der nachahmende Schriftgelehrte als Handwerker, dessen Status sich nicht grundlegend von dem des Druckers unterschied. Erst die Epoche der Romantik verortete die Quelle kulturellen Schaffens in den besonderen Fähigkeiten des Individuums, das nun Besitzansprüche an sein Werk stellte.

Solche Befunde rütteln am Urmythos des Urheberrechts, weil sie deutlich machen, dass das neu geschaffene Original, das einem Genie-Autor zuordenbare Werk, lediglich eine von mehreren Erscheinungsformen kultureller Produktion ist. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung sind der Genie-Autor und sein Werk nicht zuletzt durch die urheberrechtliche Kodifizierung zum Normal- und Referenzfall geworden. Die kulturellen Praktiken der Nachahmung und Weiterentwicklung hat das allerdings nicht verdrängen können. Augenfällig wird die heutige Bedeutung von Imitation und kumulativem Fortschritt in der Wissenschaft, aber auch in Bereichen wie Architektur, Design und Mode, die sich durch Imitation oder Zitat wechselseitig Reverenz erweisen. Die Rekombination und Varianz digitaler Video- und Musikrepertoires wie das remix oder mashup scheinen sich unmittelbar an Mozarts Arbeitsweise anzulehnen.

Die digitale Technik erleichtert kollektive Produktionsformen, und in ausgewählten Bereichen wie der Online-Enzyklopädie Wikipedia oder der Entwicklung quelloffener Software privilegiert sie das Werk gegenüber den beitragenden Autoren. Die peer production (Yochai Benkler) versteht sich als Alternative zur rechtlichen und ästhetischen Norm des Genie-Autors. Wie das Kopieren und Imitieren im Internet handelt es sich nicht um neue Verfahren, sondern um den Rückgriff auf kulturgeschichtlich längst bekannte Schaffensformen.

Der Begriff des geistigen Eigentums ist vor allem in der deutschen Rechtswissenschaft bis heute umstritten. Viele Experten ziehen den Ausdruck Immaterialgüterrecht vor - so auch das aus diesem Grund jüngst umbenannte Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München. Die Debatte über die Eigentumsfähigkeit kultureller Leistungen reicht bis in die Formierungsphase des Urheberrechts zurück. Im Kern dreht sie sich um die Frage, ob der Eigentumsbegriff, der ja einen exklusiven Nutzungsanspruch begründet, auch auf kulturelle Schöpfungen angewendet werden kann, die schwer abgrenz- und zuordenbar, aber auch leicht kopier- und modifizierbar sind. Eigentum an einer Sache setzt die Kontrolle darüber voraus - eine Anforderung, die für immaterielle Güter in digitalen Umgebungen schwerer denn je durchzusetzen ist.

Die verbreitete Analogiebildung zwischen materiellem und immateriellem Eigentum, die sich unter anderem in begrifflichen Neuschöpfungen wie der "Raubkopie" niederschlägt, hat in der Rechtswissenschaft Kritik hervorgerufen. Beobachtet wird nämlich, dass rhetorische Figuren wie der "Diebstahl geistigen Eigentums" eine Recht konstituierende Wirkung ausüben. Wenn der genuine Unterschied zwischen materiellem und immateriellem Eigentum rechtlich eingeebnet und das digitale Kopieren als Straftat geahndet wird, beschneidet das nicht nur die Kommunikation im Internet, die ja auf fortwährenden Kopiervorgängen beruht, sondern auch den Spielraum für kreative Ausdrucksformen.

Der Begriff des geistigen Eigentums wird aus juristischer Sicht aber auch kritisiert, weil er die komplexen Beziehungen, Regeln und Verfahren der wirtschaftlichen Inwertsetzung von Informationsgütern nur unzureichend abbildet. Aus einer Governance-Perspektive betrachtet, die alle relevanten Akteure und Koordinationsformen in den Blick zu nehmen versucht, erweisen sich die urheberrechtlich verbrieften Verwertungsansprüche lediglich als ein Baustein in einem umfassenden Arrangement von Verträgen, Organisationen und Geschäftsmodellen. Welche Rechte haben die Urheber an ihren Werken? Wie verteilen sich die Gewinne zwischen Urhebern und zwischen Urhebern und Verwertern? Wie steht es um die Nutzungsrechte für digitale Güter? Die gegenwärtigen Spielregeln, aber auch die Konzentration der Kulturgütermärkte erschließen sich nicht aus den exklusiven Rechten der einzelnen Urheber, sie reflektieren vielmehr den singulären Charakter von Informationsgütern und die durch lange Schutzfristen begünstigten Verwertungsmonopole.

Worin besteht nun das Problem des Urheberrechts im digitalen Zeitalter? Hier lohnt ein Blick auf die ökonomische Theorie. Information und Wissen gelten ihr als Inbegriff des öffentlichen Guts. Denn erstens nimmt Wissen durch Nutzung nicht ab, es ist also beliebig reproduzierbar. Zweitens ist es nahezu unmöglich, die Ausbreitung von Informationen zu verhindern, die einmal in Umlauf sind. Weil die Gewinnaussichten unter solchen Bedingungen unsicher sind, stellt der private Sektor öffentliche Güter nicht im gesellschaftlich wünschenswerten Umfang her. Diesem Marktversagen soll das Urheberrecht begegnen: Der Staat schafft damit rechtliche Rahmenbedingungen, die das öffentliche Gut Information in ein privates verwandeln, so dass eine kommerzielle Verwertung profitabel wird. Kreative Leistungen werden mit eigentumsförmigen Ausschlussrechten versehen; ein temporäres Verwertungsmonopol sorgt dafür, dass die Vermarktung von kulturellen Gütern allein den Schöpfern bzw. den Verwertern ihrer Werke vorbehalten ist.

Aus wohlfahrtsökonomischer Sicht zieht die Beschränkung des freien Zugangs zu öffentlichen Gütern allerdings Verschwendung nach sich, weil weniger Menschen mit Informationsgütern versorgt werden, als unter gegebenen Kosten möglich wäre. Die durch Ausschlussrechte verursachte Unternutzung wird zusätzlich verstärkt durch den Umstand, dass Informationsgüter nicht nur Konsumobjekte sind, sondern auch Produktionsfaktoren, die die Grundlage für neues Wissen bilden. Wissen entwickelt sich kumulativ; wir stehen bekanntermaßen alle auf den Schultern von Riesen und erzeugen neues Wissen unter Rückgriff auf vorhandene Informationsquellen. In dem Maße, in dem das Urheberrecht vergangene kulturelle Leistungen schützt, erschwert es die Entstehung neuer Kulturgüter und behindert folglich Innovationen.

Genau darin besteht aus ökonomischer Sicht das Dilemma informationeller Schutzrechte: Zwar trägt es zur Schaffung von Informationsgütern bei, indem es Investitionen schützt und ihre Vermarktung absichert, jedoch um den Preis einer ineffizienten Verteilung und der Verteuerung künftiger Innovationen. Besonders drastisch zeigt sich dieses Problem im Bereich der Softwareentwicklung, wo die Nutzung eines prinzipiell begrenzten Repertoires technischer Lösungen durch ein Dickicht von sich überlappenden Schutzrechten geprägt ist. Ein vielzitiertes Beispiel ist das moderne Smartphone, das moderaten Schätzungen zufolge mindestens einige 10.000 Patente auf sich vereint.

Die neue Bedeutung des Urheberrechts als Regulierungsrahmen für die digitale Welt fordert auch die sozialwissenschaftliche Forschung heraus. Aufbauend auf den wirtschafts-, literatur-, musik- und rechtswissenschaftlichen Erkenntnissen zur Entwicklung und Wirkung des Urheberrechts, entstehen derzeit vermehrt Diskursanalysen, die die rhetorischen Strategien der beteiligten Akteure und ihren Einfluss auf den Politikverlauf beispielsweise im Zusammenhang mit Urheberrechtsreformen untersuchen. Im Bereich der internationalen Beziehungen richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Aushandlung grenzüberschreitender Abkommen wie ACTA, die auf eine verbesserte Durchsetzung von Schutzrechten zielen. Dabei geht es um das Netzwerk der beteiligten Organisationen und seine Ziele wie etwa die Privatisierung des Rechtsvollzugs.

Zugleich stoßen die staatlichen und privaten Reforminitiativen auf zunehmendes sozialwissenschaftliches Interesse. Beispiele dafür sind das von den Wissenschaftsorganisationen unterstützte Open Access-Publikationsverfahren für die akademische Literatur oder die internationale Creative Commons-Lizenz, die das Urheberrecht gewissermaßen aufschnürt, so dass Kreative einzelne Rechte an ihren Werken abzutreten können. Auch Google Books, das Projekt einer privatwirtschaftlichen digitalen Bibliothek, das wissenschaftlichen Einrichtungen Zugang zur Literaturdatenbank verkaufen möchte, erfordert eine Modifikation des Urheberrechts. Allen drei Initiativen gemeinsam ist die zunehmende Bedeutung privater technischer und vertragsförmiger Normen in der transnationalen Regulierung digitaler Informationsflüsse. Die Regelungshoheit über diese Informationsflüsse im Internet ist Gegenstand von Kooperation wie auch Konkurrenz zwischen privaten und staatlichen Akteuren, genauer: zwischen Internetwirtschaft, Zivilgesellschaft, staatlichen und intergouvernementalen Organisationen.

In der Wirtschaftsforschung schließlich wird die Bedeutung des Kopierens und Imitierens als Innovationstechnik entdeckt. Genauer besehen, lässt sich fast jedes erfolgreiche Produkt auf einen Vorläufer bzw. Ideengeber zurückführen. Deshalb gilt die public domain, das heißt die Werke und Verfahren, deren Gebrauch nicht durch Urheber- oder Patentrecht geregelt ist, inzwischen als wichtige Ressource für die Innovationsfähigkeit einer Branche. Ein offensichtliches Beispiel hierfür ist die Erfolgsgeschichte des Internet, dessen technische Standards entwickelt und zur allgemeinen Nutzung freigegeben wurden, bevor der Trend zur Privatisierung der Informationstechnik einsetzte.


Jeanette Hofmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Kulturelle Quellen von Neuheit und Direktorin am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Sie forscht zu den Themen Regulierung des Internet, Urheberrecht und digitale Gesellschaft. Sie ist Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestags Internet und digitale Gesellschaft.
jeanette@wzb.eu

Literatur
Dritter Zwischenbericht der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft". Urheberrecht. Drucksache 17/7899, 23.11.2011. Berlin: Deutscher Bundestag, online:
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/078/1707899.pdf
(Stand: 15.05.2012).

Hofmann, Jeanette: "Private Ordering in the Shadow of Copyright Law: Google Books as a Blueprint". In: Andreas Busch/Jeanette Hofmann (Hg.): Politik und die Regulierung von Information. Politische Vierteljahresschrift, Sonderband 46. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft (im Erscheinen).

Gehlen, Dirk von: Mashup - Lob der Kopie. Frankfurt a.M.: edition suhrkamp 2011.

Kawohl, Friedemann/Kretschmer, Martin: "Johann Gottlieb Fichte, and the Trap of Inhalt (Content) and Form. An Information Perspective on Music Copyright". In: Information, Communication & Society, Vol. 12, No. 2, 2009, S. 205-228.

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Quelle:
WZB Mitteilungen Nr. 136, Juni 2012, Seite 11-14
Herausgeber:
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung
Professorin Jutta Allmendinger Ph.D.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2012