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PROZESSE/017: Sammeltermin Hausbesetzung, Castorblockade (nirgendwo)


Prozess zum Castor 2011 und zur Finanzamtsbesetzung (Autonomes Zentrum Altona) 2011 vor dem Amtsgericht Hamburg-Mitte

Informationen zum Hintergrund und ein Kurzbericht vom ersten Prozeßtag

vom 19. und 21. Mai 2014



Am 23. April 2011 wurde das ehemalige, seit Jahren leerstehende Finanzamt in Hamburg-Altona von Aktivist*innen besetzt. Im gleichen Jahr im November fuhr der bisher am längsten blockierte Castortransport der Geschichte nach Gorleben.

Einem*r Aktivist*in, der*die damals nach dem Gesetz noch jugendlich war, wird nun vorgeworfen im Rahmen der Blockadeaktivitäten gegen den Castor einen gefährlichen Eingriff in den Schienen- und Straßenverkehr sowie Hausfriedensbruch bei der Hausbesetzung in Altona begangen zu haben. Beide Vorwürfe wurden zu einer - trotz Jugendstrafrecht - öffentlichen Verhandlung zusammengelegt. Am 20.05.2014 fand nun vor dem Amtsgericht Hamburg-Mitte der erste Verhandlungstag gegen den*die Aktivist*in statt.

"Warum kommt es erst lange nach den Presse-Echos der Aktionen zu meinen Prozessen? In wessen Namen wird hier was kriminalisiert? Was soll eine mögliche Strafe bezwecken?", fragt der*die Angeklagte*r.

Insgesamt wurden nach der Besetzung des AZ Altona Strafbefehle gegen 40 Personen verhängt, acht Prozesse gegen Besetzer*innen haben bislang überwiegend Einstellungen ergeben. "Städtischer Leerstand ist das eigentliche Verbrechen in einer Stadt, in der allein 700 Personen auf der Warteliste der Fachstelle für Wohnungslose stehen", meint der*die Angeklagte dazu. "Das einzig richtige Urteil wäre ein Freispruch. Kriminell bin nicht ich, sondern diejenigen, die Häuser leer stehen und verrotten lassen!" Immerhin wurde nach der Besetzung der vorher leerstehende Raum u.a. wieder zur künstlerischen Nutzung vermietet.

Weiter wird dem*der Angeklagten vorgeworfen, im Rahmen der Blockaden gegen den Castortransport im November 2011 einen Polizeiwagen mit Reifen blockiert und damit einen "gefährlichen Eingriff in den Schienen- und Straßenverkehr" begangen zu haben. Dieser Transport war mit 126 Stunden der am längsten blockierte in der Geschichte begleitet von vielfältigem Widerstand dagegen.

"Mein Protest gegen den Castor steht sowohl im Zusammenhang mit der Atomkatastrophe von Fukushima im März 2011 als auch mit den Atomtransporten, die nach wie vor fast täglich auf den Straßen, Flüssen und Schienen durch ganz Deutschland stattfinden und vom Atomausstieg nicht umfasst sind", erklärt der*die Angeklagte.

Der Hamburger Hafen ist dabei eine wichtige Drehscheibe für die weltweiten Atomtransporte. So brannte dort am 01.05.2013 der ConRo-Frachter "Atlantic Cartier", beladen u.a. mit Munition, Ethanol sowie mehreren Fässern stark ätzendem, hochgiftigem und radioaktivem Uranhexafluorid (UF6), welches zur Herstellung von Brennelementen für Atomkraftwerke weltweit verwendet wird. Gleichzeitig fand in nur ca. 1 km Luftlinie der Kirchentag in Hamburg mit über 100.000 Besucher*innen statt. "Ich war schockiert von der Beinahe-Atomkatastrophe im Hamburger Hafen letztes Jahr. Deswegen halte ich mehr Widerstand für notwendig", ergänzt der*die Angeklagte. Weitere Personen sind durch Werks- und Schienenblockaden der Atomfabriken in Gronau und Lingen bereits von Repression betroffen.

Insgesamt hat das Gericht 15 Polizeizeug*innen geladen. Anhand dieses Prozesses soll auch grundsätzlich das immer wieder gewalttätige Vorgehen der Polizei bei Aktionen und Demonstrationen sowie Repressionsfolgen thematisiert werden. Auseinandersetzungen mit der Polizei sowie Verurteilungen durch die Systemjustiz kann eine Traumatisierung bei Aktivist*innen auslösen und ist somit ein politisch relevantes Thema, was allzu oft unterschätzt wird, wenn nicht sogar unsichtbar bleibt.

Dazu der*die Betroffene, der*die selbst über vierzig Stunden am Stück in Gewahrsam der Willkür und Diskriminierung einiger Beamt*innen ausgesetzt war, noch Wochen danach darunter litt und sogar aufgefordert wurde, für die durch den Freiheitsentzug entstandene Kosten aufzukommen: "Ich möchte trotz der Vorwürfe und möglicher Repression öffentlich zu emanzipatorischem Aktivismus ermutigen, auch vor Gericht. Deshalb gehe ich damit an die Öffentlichkeit."

Bemerkung: Das Pronomen des*der Betroffenen ist so, da er*sie sich weder als Mann noch als Frau, also Transgender, definiert.

Quelle:
http://nirgendwo.info/hamburg/


Hamburg - Castor-/Hausbesetzungsprozess vorerst ausgesetzt

Mitteilung vom 21. Mai 2014


Der gestrige, erste Prozesstag zum Castor- und Hausbesetzungsprozess hatte noch nicht einmal begonnen, da war er auch schon wieder vorbei. Nach insgesamt fünf Minuten entschied der zuständige Richter das Verfahren abzusetzen, ohne dass die Hauptverhandlung überhaupt eröffnet wurde.

Der Grund: ein Befangenheitsantrag gegen den Richter aufgrund einer angeblichen Verstrickung eines seiner Angehörigen in einen der Tatvorwürfe. Da zog auch das Argument der Staatsanwältin nicht, die unbedingt weiterverhandeln wollte und anregte, das Verfahren wegen Hausfriedensbruch aufgrund des zu erwartendenen geringeren Strafmaßes nach § 154 StPO gleich einzustellen. Außerdem scheint ihre Realität an der Stadtgrenze aufzuhören, wo wohl offensichtlich (einige) ihre Vorurteile anfangen. Anders ist ihre Aussage "dann könnte man ja auf dem Land keine Verhandlungen führen" bezogen auf die Verwandtschaftsbeziehungen des Richters wohl kaum zu interpretieren.

Bereits vor der Verhandlung fanden sich ca. 15 Menschen vor dem Eingang des Gerichts zusammen, hängten Anti-Atom- und Hausbesetzungstransparente auf und stimmten bei Musik, Kaffe und belegten Broten auf die Verhandlung ein. Die Polizei hielt sich bis auf Meckern "wegen Tisch aufstellen" angenehm zurück, nachdem sie anfangs noch mit einem Mannschaftswagen die eintreffenden Unterstützer*innen in Empfang nahm.

Und die fünf geladenen, auswärtigen Polizeizeug*innen zum Castorvorwurf, die eigentlich gestern hätten aussagen sollen, "dürfen" sich erneut auf eine Reise in die schöne Hansestadt freuen.

Wann es weitergeht, hängt von der Entscheidung des Befangenheitsantrags ab.

In Kürze mehr.

Quelle:
http://nirgendwo.info/blog/2014/05/21/hh-castor-hausbesetzungsprozess-vorerst-vertagt/#more-1440


Weitere Informationen:

Besetzung des ehemaligen Finanzamts Altona:
http://az4altona.blogsport.de

Prozesse und Repression gegen Anti-Atom-Aktivist*innen:
http://nirgendwo.info

*

Quelle:
nirgendwo
E-Mail: atomtransporte@nirgendwo.info
Internet: http://nirgendwo.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2014