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PROZESSE/010: Oury Jalloh - Simulation gerichtlicher Aufklärung (Grundrechtekomitee)


Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Pressemitteilung vom 8. März 2012

Simulation gerichtlicher Aufklärung

von Wolf-Dieter Narr und Dirk Vogelskamp
(Prozessbeobachter des Komitee für Grundrechte und Demokratie)


Zu den Entscheidungen des Landgerichts Magdeburg vom 5./6. März 2012 im Strafverfahren um den Verbrennungstod des Asylsuchenden Oury Jalloh, das Verfahren einzustellen, erklärt das Komitee für Grundrechte und Demokratie:

Die erste große Strafkammer des Magdeburger Landgerichts täuscht die Aufklärung des Verbrechens im Dessauer Gewahrsamskeller der Polizei lediglich vor. Sie hat längst vor dem polizeilichen Lügengespinst und den spekulativen "gutachterlichen" Mutmaßungen kapituliert. Das Verfahren vor dem Magdeburger Landgericht ist gescheitert. Die Kammer hatte die Todesumstände des Asylsuchenden Oury Jalloh erneut aufzuklären. Sie bleiben im Halbdunklen.

Um dieses Scheitern gerichtlicher Aufklärung zu kaschieren, regte die Kammer vergangenen Montag (5. März 2012) an, das Verfahren nach § 153 a StPO gegen eine Geldauflage einzustellen. Dazu musste zuerst der Tatbestand der Körperverletzung mit Todesfolge in den der fahrlässigen Tötung gemildert werden. Die rechtswidrigen polizeilichen Eingriffe in Oury Jallohs körperlicher Unversehrtheit von seiner Ingewahrsamnahme über die gewaltsame Fesselung an Händen und Füßen bis zu seinem Flammentod werden derart aus dem Weg geräumt. Die Dessauer Polizei, die Oury Jalloh diesen rechtswidrigen Zwangsmaßnahmen unterwarf, wird gerichtlich entlastet. Der polizeigemachte Tod Oury Jallohs wird zu einem fahrlässigen Vergehen erklärt - einem bedauerlichen Unfall. Damit kann die innenministeriell produzierte Fiktion, dass das staatliche Gewaltmonopol im Dessauer Polizeirevier andauernd rechtsstaatsgemäß ausgeübt wurde, aufrechterhalten bleiben. Selbst dann, wenn sich in diesem Ungeheuerliches ereignet. Die Dessauer und sachsen-anhaltinische Polizeiwelt ist in Ordnung. Gerichtliche Aufklärung aber versagt, wenn dem polizeilichen Gewaltzusammenhang, der Oury Jallohs Tod bewirkte, tabugleich ausgewichen wird.

Dazu hat wesentlich die exekutiv weisungsgebundene Staatsanwaltschaft beigetragen. Trotz auffälliger Widersprüche hielt sie unbeirrt an der von einem polizeigenehmen Gutachter fabrizierten Hypothese fest: Oury Jalloh habe das Feuer in der Gewahrsamszelle selbst entzündet. Statt arrangierter Mord Selbsttod. Die Staatsanwaltschaft sollte und wollte offensichtlich am polizeilichen Gewaltkontext nicht rühren. Sie griff nur ein, wenn Aussagen der Polizeizeugen aus der Fahrrinne staatsanwaltlicher Anklage zu schwappen drohten. Ansonsten blieb sie aufklärungsresistent und überließ es im Wesentlichen den Vertreterinnen der Nebenklage, Licht in die rußgeschwärzte Dessauer Polizeigewahrsamszelle zu bringen. Auch darum blieb es beim Halbdunkel. Die Staatsanwaltschaft Dessau hat somit gegen ihren Auftrag, verwaltungsintern die Polizei zu kontrollieren, verstoßen. Ein wichtiges Element der Gewaltenteilung hat versagt.

Folgerichtig hat die Nebenklage am Dienstag, den 6. März 2012 einen Befangenheitsantrag gegenüber der gesamten Kammer gestellt. Sie sei nicht mehr an Aufklärung interessiert, sondern betreibe nur noch eine rasche Beendigung des Verfahrens. Über den Befangenheitsantrag wird ein dreiköpfiges Richtergremium des Landgerichtes bis zum 12. März 2012 entscheiden.

Schon jetzt lässt sich festhalten, die gerichtliche Kontrolle polizeilichen Gewalthandelns hat folgenreich versagt. Dieses Strafverfahren hat Aufklärung lediglich simuliert. Es hat die menschenrechtlich fundierte Rechtssicherheit zusätzlich verletzt - zumal für Migrantinnen und Migranten. Die Institution Dessauer Polizei und ihr Übermaß an ausgeübter Zwangsgewalt wurden gerichtlich nicht hinterfragt. So hat das Gericht nicht zu einem menschen- und grundrechtsgemäßen Umgang der Polizei insbesondere mit Menschen anderer Herkunft beigetragen. Die strukturellen Bedingungen der Polizeiarbeit bleiben bestehen. In ihnen nisten ein Übermaß an Gewalt und Diskriminierung.

Die vom Bundesgerichtshof entschiedene Revision des widerspruchsvollen Urteils der Dessauer Strafkammer hat sich im Magdeburger Verfahren als mehrfach teure Farce entpuppt. Die drückendsten Kosten tragen Angehörige und Freunde Oury Jallohs. Ihnen wurde die gerichtlich mögliche, gar heilsame Wahrheit nicht zuteil. Alle, die auf die eigenen und folglich die Menschenrechte anderer aufmerken, wie sie gelten müssten, nähme man sie ernst, haben durch das Magdeburger Revisionstäuschungsverfahren Schaden erlitten.


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Quelle:
Pressemitteilung vom 8. März 2012
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. März 2012