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ÖFFENTLICHES RECHT/074: Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht abschaffen (DAV)


Deutscher Anwaltverein (DAV) - Berlin, 23. August 2010

NGOs: Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht abschaffen

- PRO ASYL, Interkultureller Rat und Deutscher Anwaltverein monieren Ungerechtigkeiten und einen zu hohen Verwaltungsaufwand -


Berlin (DAV/PA/IR). Mit der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts im Jahre 2000 wurde die so genannte Optionsregelung für Kinder nicht deutscher Eltern eingeführt. Danach erhalten diese Kinder mit der Geburt in Deutschland neben der Staatsangehörigkeit der Eltern auch die deutsche Staatsangehörigkeit, wenn die Eltern schon acht Jahre in der Bundesrepublik Deutschland leben. Auf Antrag erhielten im Rahmen der Reform auch die seit 1990 in Deutschland geborenen Kinder nicht deutscher Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit zugesprochen.

Der Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht führt nach Auffassung von PRO ASYL, Deutschem Anwaltverein (DAV) und Interkulturellem Rat in Deutschland (IR) zu einer durch nichts zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung von "Optionskindern" und zu einem vollkommen überflüssigen Verwaltungsaufwand. Negativ betroffen sind insbesondere Kinder aus Haupt- und Ureinwandererfamilien, beispielsweise aus der Türkei oder Serbien. Die drei Organisationen fordern deshalb erstmals gemeinsam die ersatzlose Abschaffung dieses Optionszwangs.

"Mit dem Optionszwang beharrt der Gesetzgeber auf dem Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeit, obwohl dieser gerade dabei ist, auf den Müllhaufen der Geschichte transportiert zu werden", erläutert Rechtsanwalt Victor Pfaff vom DAV-Ausschuss Ausländer- und Asylrecht. In Deutschland würden rund 4,5 Millionen Mehrfachstaater leben, ohne dass der deutsche Staat damit je das geringste Problem gehabt hätte. Knapp 53 Prozent aller Einbürgerungen in Deutschland würden unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit vorgenommen.

Die generelle Hinnahme der Mehrstaatigkeit bei in Deutschland geborenen Kindern sei deshalb und aus einem weiteren Grund der richtige Weg. "Sie davon abhängig zu machen, ob der andere Staat aus der Staatsangehörigkeit entlässt, bedeutet, dass der deutsche Gesetzgeber die Entscheidung, wer Mehrstaater bleibt und wer nicht, weitgehend der Willkür ausländischer Gesetzgeber überlässt", betont Pfaff. Deshalb müsse sich z. B. ein Deutsch-Türke für eine seiner Staatsangehörigkeiten entscheiden, während ein Deutsch-Marokkaner diese Entscheidung nicht treffen müsse.

"Die Optionspflicht drängt junge Menschen aus der deutschen Staatsangehörigkeit heraus", erklärt Marei Pelzer von PRO ASYL. So vergrößere sich die Kluft zwischen Wahlvolk und Bevölkerung immer mehr. Dies sei mit dem Demokratieprinzip und mit dem Selbstverständnis einer modernen Einwanderungsgesellschaft nicht vereinbar. Das deutsche Optionsmodell sei einmalig in Europa. In Frankreich beispielsweise erhielten Kinder von Ausländern nach dem ius soli die französische Staatsangehörigkeit, ohne auf die Nationalität ihrer Eltern verzichten zu müssen. Pelzer: "Deutschland sollte den Optionszwang zugunsten eines modernen Geburtsortrechts endlich aufgeben.

Der Interkulturelle Rat in Deutschland bezeichnet den Optionszwang als ein Instrument der Desintegration. Hierzu Torsten Jäger, Geschäftsführer der Organisation: "Wir beklagen zu Recht konstant zu niedrige Einbürgerungszahlen. Es ist deshalb ganz unsinnig, Kinder, die seit ihrer Geburt Deutsche sind, über die Optionspflicht mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit zu bedrohen." Die Optionspflicht sei außerdem ungerecht! Sie schaffe Deutsche "erster", "zweiter" und "dritter" Klasse. "Das gefährdet sowohl den gesellschaftlichen Zusammenhalt als auch individuelle Integrationsprozesse", so Jäger weiter. Daher habe der Interkulturelle Rat im Juni 2009 den Aufruf "Sie gehören zu uns! - Wider den Optionszwang für Kinder unseres Landes" initiiert, der von zahlreichen prominenten Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft getragen werde und dem sich bereits mehrere tausend Menschen angeschlossen hätten.

Mit Vollendung des 18. Lebensjahres werden die "Optionskinder" dazu aufgefordert, sich zu entscheiden. Von der Optionspflicht sind allerdings die Kinder nicht betroffen, deren Eltern Staatsbürger eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder aber eines Landes sind, das seine Bürger nicht aus der Staatsangehörigkeit entlässt.

Die ersten Betroffenen wurden im Jahre 2008 von den zuständigen Ausländerbehörden und Regierungspräsidien angeschrieben und aufgefordert, für eine der beiden Staatsbürgerschaften zu optieren. "Optionskinder" der Geburtenjahrgänge 1990 bis 2008 gibt es in der Bundesrepublik rund 385.000.

Anfang 2010 haben die Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen Gesetzentwürfe in den Deutschen Bundestag eingebracht, die die Streichung des Optionszwangs aus dem Staatsangehörigkeitsrecht vorsehen. Das Parlament wird sich im Herbst dieses Jahres daher mit dem Thema befassen müssen. Deshalb, so die Vertreter der drei Organisationen, sei es an der Zeit, dass die Bundesregierung die Optionspflicht endlich in verfahrens- und materiellrechtlicher Hinsicht überprüfe. Darauf habe sie sich im Oktober 2009 in ihrem Koalitionsvertrag verständigt.

Pfaff, Pelzer und Jäger erklärten abschließend, ihre Organisationen würden sich gemeinsam und aktiv an diesem Überprüfungsprozess beteiligen. Bei objektiver Abwägung aller Argumente könne am Ende dieses Prozesses kein anderes Ergebnis stehen als die ersatzlose Streichung der Optionspflicht und die Hinwendung zu einem modernen Staatsangehörigkeitsrecht - inklusive Geburtsortprinzip und dem gelassenen Umgang mit mehrfachen Staatsangehörigkeiten.

Pressemitteilung und weitere rechtspolitische Informationen auch über www.twitter.com/anwaltverein.


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Anlage zur Pressemitteilung Nr. 25/10 vom 23. August 2010

Der Optionszwang ist Unsinn!

Ein Beispiel:

Auf eine Einladung hin treffen sich zehn Jugendliche, alle 18 Jahre alt geworden, alle seit 18 Jahren deutsche Staatsangehörige.

Bei sechs von ihnen sind beide Elternteile ausländischer Staatsangehörigkeit. Sie selbst sind aber Deutsche kraft ius soli geworden (Paragraph 4 Abs. 3, Paragraph 40 b StAG): Wenigstens ein Elternteil hatte zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes ein unbefristetes Aufenthaltsrecht und seit mindestens acht Jahren rechtmäßig den gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Also haben alle sechs mindestens eine weitere Staatsangehörigkeit: der eine die türkische, seine Freundin auch, der dritte die litauische, der vierte die marokkanische, der fünfte die serbische, der sechste die iranische. Die restlichen Jugendlichen stammen aus binationalen Verbindungen mit einem deutschen Elternteil. Also haben auch sie zwei Staatsangehörigkeiten.

Man diskutiert und stellt fest: Mit Vollendung des 23. Lebensjahres werden nur noch sieben, vielleicht acht Mehrfachstaater sein. Es trifft vor allem die aus Haupt- und Ureinwandererfamilien: den Serben und die Türkin, vielleicht auch ihren Freund, den Türken.

Von den zehn versammelten Freunden kann also Mehrfachstaater bleiben: der Litauer als Unionsbürger, der Marokkaner und der Iraner, weil beide Staaten - wie viele andere Staaten auch - nicht aus der Staatsangehörigkeit entlassen. Schlechte Karten haben der Serbe (er muss für seine Entlassung recht hohe Gebühren zahlen; ob das zumutbar ist , ist umstritten) und die Türkin, es sei denn, sie bekäme vor Vollendung des 23. Lebensjahres ein Kind. Dieses würde als "echter" Mehrstaater auf die Welt kommen, behielte auch beide Staatsangehörigkeiten und die Mutter hätte nun Erfolg mit ihrem Antrag auf Beibehaltungsgenehmigung der doppelten Staatsangehörigkeit. Als Mutter eines deutschen Kindes würde man ihr nicht mehr zumuten, auf ihre deutsche Staatsangehörigkeit zu verzichten.

Aber ihr Freund, der Deutsch-Türke? Kann ihm zugemutet werden, in der Türkei Wehrdienst zu leisten, damit er die deutsche Staatsangehörigkeit behält? Oder sich unter Ableistung eines Dienstes von "nur" einem Monat und für 7.500 Euro bei den türkischen Behörden vom Wehrdienst freizukaufen? Denn nur dann wird er aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen. Kommt man zu dem Ergebnis, dass dies unzumutbar ist, ist die Beibehaltungsgenehmigung zu erteilen.


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Quelle:
Pressemitteilung Nr. 25/10 vom 23. August 2010
Deutscher Anwaltverein (DAV)
Pressesprecher Swen Walentowski
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2010