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MELDUNG/227: Jungen Deutschen mit zwei Staatsbürgerschaften droht Verlust des deutschen Passes (idw)


Bertelsmann Stiftung - 04.02.2013

Jungen Deutschen mit zwei Staatsbürgerschaften droht Verlust des deutschen Passes

Rechtsgutachten: "Gefahr der Rechtsunsicherheit" für Migrantenkinder - Bertelsmann Stiftung spricht sich für Abschaffung der Optionspflicht aus



Seit dem 1. Januar müssen in Deutschland geborene Kinder von Nicht-EU-Ausländern, die die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen und ihr 23. Lebensjahr vollenden, eine ihrer zwei Staatsbürgerschaften abgeben: die ihrer Eltern oder die deutsche. So regelt es im Staatsangehörigkeitsrecht die "Optionspflicht". In einem Rechtsgutachten für die Bertelsmann Stiftung bemängelt der Rechtswissenschaftler Professor Kay Hailbronner "Rechtsunsicherheit und Unklarheit" der gesetzlichen Regelung und empfiehlt eine "intensive und verständliche Aufklärung der Optionspflichtigen".

Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts im Jahr 2000 hat Deutschland den hier geborenen Kindern von Ausländern das Recht eingeräumt, zusätzlich zur Staatsangehörigkeit ihrer Eltern auch den deutschen Pass zu erhalten. Dieses Recht gilt für Kinder von Nicht-EU-Ausländern allerdings nur bis zur Volljährigkeit (Ausnahme: Schweiz). Dann erreicht die "Optionskinder" ein Brief der kommunalen Ausländerbehörde, der sie faktisch auffordert, bis spätestens zu ihrem 23. Lebensjahr die Staatsbürgerschaft der Eltern abzulegen. Ansonsten würde ihnen der deutsche Pass entzogen. Das betrifft fast eine halbe Million Kinder. In diesem Jahr stehen die ersten 3.300 jungen Doppelstaatler vor der Pflicht, sich von einem ihrer beiden Pässe zu trennen, ab 2018 sind es jährlich bis zu 40.000.

Professor Hailbronner, renommierter Experte für Ausländer- und Asylrecht, unterstreicht in seinem Gutachten, das geltende Recht eröffne zwar Spielräume für Anträge auf Beibehaltung beider Staatsangehörigkeiten. Diesem Antrag ist zuzustimmen, wenn die Aufgabe der ausländischen Staatsbürgerschaft unmöglich oder unzumutbar ist. Allerdings ist nicht bundesweit geregelt, wann das zutrifft. Insofern enthalte die Regelung "Gefahren der Rechtsunsicherheit und Unklarheit über den Bestand der deutschen Staatsangehörigkeit". Hailbronner kommt zu dem Schluss, "der Unsicherheit sollte durch einheitlich geltende Verwaltungsvorschriften begegnet werden".

Außerdem betont der Rechtswissenschaftler, dass die Optionspflichtigen intensiv und verständlich über das Gesetz aufgeklärt werden müssen, insbesondere über ihre Erklärungspflichten und die damit verbundenen Rechtsfolgen. Eine Studie des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge hatte gezeigt, dass 34 Prozent der Optionskinder nicht wissen, dass sie ihren deutschen Pass verlieren, falls sie nicht nachweisen, ihren ausländischen Pass abgegeben zu haben.

Entstanden war die Optionspflicht als politischer Kompromiss. Die damalige Bundesregierung wollte im Jahr 2000 allen in Deutschland geborenen Kindern von ausländischen Eltern, die seit mindestens acht Jahren rechtmäßig in Deutschland lebten, dauerhaft den deutschen Pass verleihen. Die Opposition hingegen wollte die damit verbundene doppelte Staatsbürgerschaft verhindern. So einigte man sich darauf, dass in Deutschland geborene Kinder, deren Kinder nicht aus einem EU-Land stammen, den deutschen Pass erhalten, sich dann jedoch im Alter zwischen 18 und 23 Jahren von einer der beiden Staatsangehörigkeiten trennen müssen. "Faktisch unterteilen wir die hier geborenen und aufgewachsenen Kinder ausländischer Eltern damit in Bürger erster und zweiter Klasse: Die einen dürfen beide Staatsbürgerschaften behalten, die anderen nicht", sagte Ulrich Kober, Integrationsexperte der Bertelsmann Stiftung.

Nicht nur aus diesem Grund spricht sich Kober dafür aus, die Optionspflicht ersatzlos zu streichen. Die Regelung schaffe das Risiko, dass jemand seine deutsche Staatsbürgerschaft infolge von Unkenntnis oder rechtlichen Unklarheiten verliert. "Das wäre aus Integrationsperspektive eine Katastrophe - nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für das Einwanderungsland Deutschland. Wir brauchen dringend mehr qualifizierte Zuwanderung - da ist es völlig unverständlich, wieso wir einer halben Million jungen Deutschen mit Ausbürgerung drohen. Das ist kein gutes Signal für Offenheit und Willkommenskultur2, sagte Kober.

Ohnehin widerspreche das Ziel, doppelte Staatsbürgerschaften zu vermeiden, immer mehr der Realität eines Einwanderungslandes. Dies lasse sich auch daran ablesen, dass Deutschland heute bereits bei jeder zweiten Neu-Einbürgerung den Antrag auf Mehrstaatigkeit bewillige.

Erst vor zwei Wochen berichteten Medien über den Fall einer 23 Jahre alten Hanauerin, die in Hessen geboren und aufgewachsen ist und Anfang Januar gegen ihren Willen die deutsche Staatsbürgerschaft verlor. Die Frau hatte zu spät beantragt, aus der türkischen Staatsangehörigkeit entlassen zu werden, um den deutschen Behörden fristgerecht den Nachweis zu erbringen, dass sie ihren türkischen Pass abgegeben habe. Nun bleibt ihr nur der Weg, ein Einbürgerungsverfahren zu beantragen.

Um Optionspflichtige besser über ihre Möglichkeiten zu informieren, hat die Bertelsmann Stiftung Informationen zur möglichen Beibehaltung beider Staatsbürgerschaften auf einer eigenen Website zusammengestellt: www.beibehaltungsantrag.de. Dort zur Einsicht steht auch das Gutachten von Prof. Dr. Dr. h.c. Kay Hailbronner "Rechtliche Rahmenbedingungen der Beibehaltungsregelung bei Optionskindern", Gütersloh 2012.

Weitere Informationen unter:
http://www.bertelsmann-stiftung.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution605

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Bertelsmann Stiftung, Ute Friedrich, 04.02.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2013