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MELDUNG/087: Skandalprozess wegen Mülldiebstahl vorläufig beendet (Containerprozess)


Pressemitteilung vom 28. Oktober 2010

Skandalprozess wegen Mülldiebstahl vorläufig beendet

Zum Strafprozess gegen zwei Menschen, die abgelaufene Lebensmittel bei sich hatten, am 28. Oktober vom Amtsgericht Döbeln


Hintergrund:

Am Abend des 13.04.2010 wurden zwei Menschen auf dem Parkplatz des Marktkaufs in Döbeln (Sachsen) von einer Polizeistreife angehalten und kontrolliert. Sie führten einen Anhänger voller abgelaufener, aber noch genießbarer Lebensmittel mit sich. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, diese aus den Tonnen des Supermarktes entnommen zu haben. Obwohl Marktkauf keine Anzeige erstattete, erhielten die zwei Angeklagten Strafbefehle wegen Diebstahls über 10 und 20 Tagessätze. Begründet wurde dies mit einem angeblichen besonderen öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung. Die beiden Angeklagten legten Widerspruch ein. Nachdem die Hauptverhandlung am 13.10.2010 vertagt worden war, wurde der Skandalprozess wegen Mülldiebstahls nun am 28.10. vorläufig beendet.

Foto: Vor einem Transparent mit der Aufschrift 'Was ist schon MÜLL. Lebensmittelvernichtung stoppen!' jongliert eine Aktivistin mit Keule, Pflanzen und Lebensmitteln.

Aktion vor dem Amtsgericht Döbeln am 28.10.2010
Foto: http://nirgendwo.info/containerprozess

Mit kreativen Aktionen soll den Menschen und der Presse in Döbeln klar gemacht werden, dass die Verwendung abgelaufener Lebensmittel keine Straftat darstellt, da die weltweite Lebensmittelvernichtung und der damit assoziierte weltweite Hunger das eigentliche Verbrechen ist und dass das eigentliche "besondere öffentliche Interesse" nur sein kann, die Lebensmittelvernichtung sofort zu stoppen.


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Döbeln, 28.10.2010
PRESSEMITTEILUNG

Skandalprozess wegen Mülldiebstahl vorläufig beendet

Der Prozess um den Diebstahl von Müll wurde am heutigen Donnerstag vom Amtsgericht Döbeln vorläufig beendet. Er hat bisher bundesweit für Aufruhr gesorgt, zahlreiche Medien berichteten und der sächsische Landtag muss sich derzeit mit einer kleinen Anfrage dazu auseinandersetzen.

Das Verfahren gegen Frederik V. wurde gegen Auflage von 10 Stunden gemeinnütziger Arbeit eingestellt. "Ich betrachte mich in keinster Weise als schuldig, meine Zeit ist mir aber zu kostbar, um mich mit Gerichten rumzuärgern" erläutert er. Christof N. beantragte eine Aussetzung des Verfahrens, um in Ruhe entscheiden zu können, ob auch er dem Einstellungsangebot zustimmt. Andernfalls muss der Prozess gegen ihn neu von vorne verhandelt werden.

Den beiden jungen Männern wird vorgeworfen, noch genießbare Lebensmittel aus den Containern der Marktkauf-Niederlassung in Döbeln entwendet zu haben. Am ersten Prozesstag vor zwei Wochen wurde bis nahezu 22 Uhr verhandelt und ein Zeuge vernommen. Dennoch konnte weder geklärt werden, woher die Lebensmittel, mit denen die Angeklagten angetroffen wurden, stammen, noch, ob hier die Tatbestandsmerkmale für einen Diebstahl überhaupt gegeben wären. Stattdessen häuften sich die Verfahrensfehler seitens der vorsitzenden Richterin Süß.

Offensichtlich müde vom ersten Verhandlungstag, wollte die Richterin das Verfahren abkürzen. Sie brachte gleich zu Beginn, als noch viele Interessierte in den Eingangskontrollen steckten, eine Einstellung des Verfahrens ins Gespräch. Obwohl die Beweislage und die juristische Einstufung mehr als dürftig war, kam für die Staatsanwaltschaft nur eine Einstellung nach § 153a, in diesem Fall gegen Erbringen gemeinnütziger Arbeit, in Betracht. Eine Einstellung nach § 153 ohne Auflagen sei "juristisch bedenklich". Frederik V. sagt dazu: "Bedenklich ist vielmehr die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft, die sich im Vorfeld kein Bild vom Tathergang machte, sich keine Mühe gab, auch entlastende Umstände zu erörtern, aber dennoch ein besonderes öffentliches Interesse konstruierte, um den Strafbefehl erstellen zu können. Im krassen Widerspruch dazu hieß es, politische Inhalte hätten hier nichts zu suchen."

Dementsprechend wollten Staatsanwalt Lang und Richterin Süß die Arbeit auch bei einem explizit unpolitischem Verein abgeleistet wissen. Voraussetzung der Angeklagten war jedoch, die sog. Sozialstunden bei einem Träger, der sich mit Ungerechtigkeiten in der Lebensmittelproduktion auseinandersetzt, ableisten zu können. Staatsanwalt und Richterin, beide sichtlich nervös, wollten weitere Verhandlungstage wohl vermeiden und überließen den Angeklagten dementsprechend nach mehreren Pausen die Entscheidung über den Träger.

Frederik V. stimmte der Einstellung zu obigen Konditionen unter Protest aus pragmatischen Gründen zu. "Was ich hier erlebt habe, ist an Absurdität kaum zu überbieten! Es wird mich dennoch nicht daran hindern, Lebensmittel vor ihrer Vernichtung zu retten."

Christof N. setzte die Aussetzung des Verfahrens durch, um in Ruhe abzuwägen "Die Beweislage verlangt eigentlich einen Freispruch. Ob ich weitere Tage und Wochen in diesen lächerlichen Prozess investieren will, muss ich nun in den kommenden 3 Wochen entscheiden. Bis dahin habe ich hoffentlich auch die Akte." bemerkt er zynisch.

Foto: Transparent mit der Aufschrift 'Was ist schon MÜLL. Lebensmittelvernichtung stoppen!' vor dem Eingang zum Amtsgericht Döbeln.

Vor dem Eingang zum Amtsgericht Döbeln
Foto: http://nirgendwo.info/containerprozess

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Quelle:
http://nirgendwo.info/containerprozess
E-Mail: containerprozess@nirgendwo.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2010